«Ich dachte mir, ich bin ekelig. Ich kann nicht so sein»
Sehenswert und ein bisschen schwul: «Kranitz – Bei Trennung Geld zurück» (Achtung, Spoiler!)
Um die Beziehungen seiner Kundschaft zu reparieren, ist dem unkonventionellen Paartherapeuten Klaus Kranitz keine Wahrheit zu direkt und kein Mittel zu abwegig. Unter den sechs Folgen ist auch der Auftritt eines Männerpaares.
Eine «normale» Paartherapie hält Klaus Kranitz nur für teure Trennungsbegleitung. Sein Selfmade-Ansatz verspricht den schnellen Erfolg. Er bringt stockende Zweisamkeit wieder zum Laufen – in wenigen Sitzungen (drei Termine kosten 1500 Euro!) und mit Geld-zurück-Garantie! Um die Beziehungen seiner Kundschaft zu reparieren, ist dem unkonventionellen Paartherapeuten keine Wahrheit zu direkt und kein Mittel zu abwegig.
Jan Georg Schütte ist in dieser Rolle ein kleines bisschen sympathischer als das TV-Ekel Stromberg: Der Grimme-Preisträger («Altersglühen»), zugleich Regisseur und Co-Autor, verkörpert brillant den ebenso raffinierten wie abgründigen Titelhelden der sechsteiligen Serie, produziert u.a. von Klaas Heufer-Umlauf. Das Ganze ohne Drehbuch.
Das exzellent besetzte Ensemble nutzte die spielerische Freiheit des Impro-Formats, um die Besonderheiten und Absurditäten ihrer ungewöhnlichen Charaktere spontan vor laufender Kamera zu entwickeln, und das gelingt ausgesprochen gut . Als Vorlage diente das erfolgreiche ARD-Hörspiel «Paartherapeut Klaus Kranitz – Bei Trennung Geld zurück», das seit 10. Oktober erneut in der ARD Audiothek und im Radio bei Bremen Zwei zu hören ist. Seit Mitte Oktober stehen die Folgen auch in der ARD Mediathek zur Verfügung.
Sechs Paare kommen zur Beratung in die Praxis des Selfmade-Therapeuten Klaus Kranitz, immer Heteros, bis Tom und Toto auftauchen: «T’n’T» Sie sind ein hippes, aufstrebendes Influencerpaar und «nur» Freunde, wie man zuerst glaubt. Von dem Besuch beim Paartherapeuten versprechen sich die beiden eine coole Show für ihren Kanal. Aber dann entwickelt sich in dieser Folge eine bewegende Geschichte über Schwulsein, Outing und Coming-out, über Verdrängung und internalisierte Homophobie mit einer Intensität, wie man sie selten im Fernsehen zu sehen bekommt, schon gar nicht im deutschen (den Mangel an Diversität belegt eine aktuelle Studie – MANNSCHAFT berichtete). Was hier verhandelt wird, ist klug, empathisch und nie peinlich wie so oft, wenn Homosexualität im deutschen Fernsehen verhandelt wird.
Um nicht allzuviel zu spoilern: Erst wird der eine von ihnen zwangsgeoutet, ohne schwul zu sein, dann outet sich überraschend der andere. Und die Netzgemeinde ist immer live dabei. Sehr sehenswert agieren hier die beiden Jungschauspieler Gustav Schmidt, festes Ensemblemitglied am Theater Bonn, und Bjarne Meisel, der erste Bühnen- und Fernseherfahrungen im Jugendensemble vom Friedrichstadtpalast Berlin sammelte.
Als ehemaliger Immobilienmakler zeichnen sich Kranitz‘ Therapien durch direkten, pragmatischen Zugriff und Effektivität aus. Bei ihm gibt es kein langes Herumreden, kein Forschen in der Kindheit, kein Wühlen in alten Abläufen. Die Paare geraten durch die unkonventionellen und schrägen Massnahmen von Kranitz in eine muntere Achterbahnfahrt des Beziehungswahnsinns. Doch am Ende bleiben sie zusammen. In welcher Form auch immer.
Homosexualität nicht als abzuarbeitendes Problem, sondern als Menschen mit anderen Geschichten als Heteros zu zeigen, passiert im Fernsehen immer noch selten. Diese ZDFneo-Serie schafft das jetzt aber ganz gut.
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