Ernüchterung ein Jahr nach Coming-out von Hitzlsperger
Vor einem Jahr machte Thomas Hitzlsperger als erster prominenter deutscher Fussballprofi seine Homosexualität öffentlich und sorgte für Aufsehen. Der frühere Nationalspieler wollte anderen Profi-Sportlern Mut machen. Doch hat sein Schritt etwas bewirkt? Text: Jonas Scholl
Der Hype war kurz und heftig, die Ernüchterung vieler schwuler Fans noch grösser. «Als sich Thomas Hitzlsperger geoutet hat, da haben wir pro Tag bestimmt 30 bis 40 Interviews geführt», erinnert sich Dirk Brüllau vom internationalen Netzwerk Queer Football Fanclubs (QFF) an das spektakuläre Interview des früheren Fussball-Nationalspielers. Sein Telefon habe nicht mehr stillgestanden. «Doch nach knapp zwei Wochen war das Thema wieder vom Tisch.» Homophobie: Verbände stecken Köpfe in den Sand Daran hat sich seiner Meinung nach auch ein Jahr nach dem Coming-out von Hitzlsperger nichts geändert. Brüllaus Kritik richtet sich vor allem an die Chefetagen des Deutschen Fussball-Bundes (DFB) und der Bundesligavereine: «Die Fussballvorstände steckten in Bezug auf Homophobie und Sexismus wieder die Köpfe in den Sand.»
DFB-Chef Wolfgang Niersbach hatte Hitzlsperger vor einem Jahr die Unterstützung zugesagt, dessen Vorgänger Theo Zwanziger auf «eine positive Wirkung auf die Gesellschaft und den Profifussball der Männer» gehofft. Doch «die aktiven Profi-Spieler werden weiterhin Angst haben und ein Coming-out scheuen», meint Brüllau, in dessen Vereinigung rund 30 schwul-lesbische Fanclubs wie «Andersrum auf Schalke» oder die «Rainbow Borussen» für mehr Toleranz werben.
«Das Coming-out von Thomas Hitzlsperger hat sehr viel bewirkt», meint hingegen Jörg Litwinschuh, der Vorsitzende der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld. Die Einrichtung erforscht seit 2011 die Lebenswelten von homo-, trans- und intersexuellen Menschen. «Über dieses Coming-out» wurde wirklich am hinterletzten Stammtisch in dem kleinsten Dorf in Deutschland diskutiert.»
Schliesslich gebe es auch spürbare Erfolge: «Es hat seither deutlich mehr Coming-outs von Schiedsrichtern und Trainern im Amateurbereich gegeben». Zwar seien prominente Vorbilder wichtig. Doch Hitzlsperger habe eine «Graswurzelbewegung» losgetreten. Die Veränderung im Fussball komme aus der Basis: «Das ist wahnsinnig wichtig.»
Brüllau spricht dem Coming-out von Hitzlsperger durchaus eine positive Wirkung zu: «Wir besitzen in Hitzlsperger eine ganz neue Identifikationsfigur. Ergo war das Coming-out für die Fans ein Etappenziel – mehr aber auch nicht.» So seien etwa die Fan-Kurven in Bezug auf Schmähungen gegen sexuelle Minderheiten «etwas sensibler» geworden. Aber noch immer gebe es in Ostdeutschland keinen schwullesbischen Fanklub.
Schwule Fans leiden immer noch unter Fangesängen «Ich äussere mich zu meiner Homosexualität», hatte Hitzlsperger vor einem Jahr der Wochenzeitung «Die Zeit» gesagt, «weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte». Er wolle Mut machen. Seine Offenheit wurde gepriesen, von Prominenten, Spielern, der Bundesregierung. «Ich denke, ich habe die Diskussion angeregt. Aber natürlich müssen wir die Gespräche über Homosexualität und Homosexualität im Profisport weiterführen», zieht Hitzlsperger in dem Schwulenmagazin «Männer» (Februar) relativ positiv Bilanz.
[quote align=’right‘]«Verantwortlich sind also wohl die Spieler, die nicht den Mut aufbringen.»[/quote]Doch noch immer hat sich kein aktiver Profi-Kicker aus der Bundesliga geoutet. Noch immer leiden schwule Fans unter den Pöbeleien auf den Rängen, unter Schmähgesängen und Beschimpfungen. Woran liegt das? «Man kann nicht behaupten, dass der Fussball schuld ist, weil er in seiner Gesamtheit homophob wäre», erklärt Hitzlsperger. «Verantwortlich sind also wohl die Spieler, die nicht den Mut aufbringen.»
Sportwissenschaftlerin Tanja Walther-Ahrens sieht kaum Veränderungen im Fussball. «Sein Schritt war nicht mal ein Startschüsschen, das müssen wir jetzt rückblickend sagen», sagte die ehemalige Bundesliga-Fussballerin der ARD-Recherche-Redaktion Sport über Hitzlsperger. Die renommierte Wissenschaftlerin engagiert sich seit Jahren gegen Homophobie im Fussball und ist unter anderem Delegierte der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF).
Walther-Ahrens kritisierte die Reaktion der 36 Clubs der 1. und 2. Bundesliga der Männer auf eine schriftliche Anfrage der ARD-Recherche-Redaktion Sport zum Thema. Nur ein Viertel habe sich inhaltlich geäussert, darunter die Erstligisten FC Augsburg, Werder Bremen, Borussia Dortmund, Hannover 96, der 1. FC Köln und der SC Paderborn. «Das ist traurig und zeigt, dass sich eben doch relativ wenig bewegt», sagte Walther-Ahrens.
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