Dr. Gay – Woher kommt unser Selbsthass?
Fragen? Sorgen? Das Expertenteam von «Dr. Gay» ist für dich da
Diskriminierungen und Feindseligkeiten gegen LGBTQ haben ihren Ursprung in Unwissenheit, Angst, Vorurteilen und Hass. Seltsam aber wird es dann, wenn Angriffe von Menschen aus den eigenen Reihen kommen. Wieso hassen wir uns selbst?
Zwei Begriffe vorweg, um den Selbsthass in der LGBTIQ-Community besser zu verstehen:
Heteronormativität Heteronormativ bedeutet, dass Heterosexualität als Standard angesehen wird. Heterosexualität wird in der Gesellschaft als «Normalität» und als ideologisch akzeptierte Form der Sexualität festgelegt und anerkannt. Sie wird im Kontext der heterosexuellen Sozialisierung erwartet und vorausgesetzt.
Zwei Beispiele: Ein Junge wird an einem Familienfest gefragt, wann er denn endlich eine Freundin nachhause bringt. Ein Mädchen wird ständig darauf hingewiesen, dass sie ja aussehe wie ein Junge. In beiden Beispielen geht es darum, die Heteronormativität zu etablieren. Solche Situationen sollen den Betroffenen das Gefühl geben, anders zu sein und nicht dazu zu gehören: Wer nicht reinpasst, dem wird schnell zu spüren gegeben, was die Norm ist.
Internalisierte Homonegativität Wir alle sind beim Aufwachsen solchen Ideen, Werten, Gesetzen und Grenzen unseres gesellschaftlichen Umfelds ausgesetzt. Wir werden ständig daran erinnert – auch, wenn es heute viel subtiler und freundlicher daherkommt als früher. Je nachdem wie das Umfeld aussieht, kann es noch gewaltvoller werden: Nicht cis-heterosexuell zu sein ist dann «falsch», «unmoralisch», «krank» oder «etwas, wofür man sich schämen muss». Menschen übernehmen solche Überzeugungen und akzeptieren die vorherrschenden Haltungen in der Gesellschaft.
Das bleibt nicht folgenlos für queere Jugendliche: Auch sie sind, wie alle, dieser Homonegativität ausgesetzt. Es kommt zu einer psychologischen Reaktion: Sie nehmen diese Negativität auf, halten sie irgendwie für wahr und wenden sie gegen sich selbst an. Es kommt zu einem tiefen Selbstwertgefühl, zu Selbsthass oder sogar zu Ekel vor der eigenen Sexualität und Identität. Bei Gefühlen sexueller Anziehung entstehen dann Konflikte, die manchmal viele Jahre andauern können.
Der sehnlichste Wunsch ist es dann, «normal», also heterosexuell zu sein. In der Folge können Teile der eigenen Sexualität verdrängt und der Lebensstil und die ausgelebte Sexualität von anderen LGBTQ-Menschen vehement kritisiert oder abgelehnt werden. Es wird wahnsinnig viel Energie investiert, um möglichst als cis-straight durchzugehen oder es wird versucht, den eigenen «Fehler» mit beruflichem Erfolg und angepasster Biederkeit zu kompensieren.
Ein Fachbegriff für diese psychologische Reaktion ist internalisierte Homonegativität: Sie macht ein erfülltes Leben schwierig und senkt vor allem auch das Selbstwertgefühl. Das wiederum kann zu psychischen Problemen wie Angstzuständen, Depressionen oder einen selbstzerstörerischen Lebensstil führen. Da sich vieles im Unterbewusstsein abspielt, nehmen Menschen mit internalisierter Homonegativität das oft nicht als Problem wahr. Solange aber die Erkenntnis fehlt, ist eine Besserung schwierig.
Positive Sichtbarkeit Aktuelle Veränderungen und die daraus resultierende positive Sichtbarkeit von queeren Menschen in der Gesellschaft, der Werbung oder den Medien tragen dazu bei, dass sich junge Queers immer weniger komplett ausgeschlossen fühlen müssen und auch sehen, wie erfüllend ein schwules oder trans Leben sein kann. Warum aber nehmen dann gleichzeitig die Übergriffe auf LGBTIQ zu?
Wir wissen nicht, ob es tatsächlich zu mehr Gewalt kommt, oder ob einfach die jahrelange Arbeit unserer Community gefruchtet hat: Wir lassen uns auch nicht mehr alles gefallen. Wir sind sichtbar und wir wehren uns. Zum Beispiel, indem wir Übergriffe bei der Polizei oder der Helpline melden. Und mit diesem Mut und Selbstbewusstsein auch schrittweise die internalisierte Homonegativität aus uns raus kriegen.
Was tun, wenn du von Hass oder Diskriminierung betroffen bist? Wer in der Schweiz das Ziel von homophober oder transphober Gewalt (Hate Crime) wurde, kann den Vorfall hier melden: https://www.lgbt-helpline.ch/gewalt-erlebt/. Gleichzeitig ist es empfehlenswert, den Vorfall auch bei der Polizei zu melden und Anzeige zu erstatten. In Deutschland bietet der Weisse Ring eine anonyme Anlaufstelle, in Österreich der Opfer-Notruf. In Zürich spannten Partylabels zusammen, um gegen LGBTIQ-feindliche gewalt vorzugehen (MANNSCHAFT berichtete).
Wenn du dich unwohl fühlst, mit dir selbst nicht zufrieden bist oder du dein Verhalten als selbstschädigend und destruktiv empfindest, können dich Fachpersonen beraten. Wende dich an eine Fachstelle für Infos und Kontakte: drgay.ch
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