Anastasia Biefang: Es gibt richtig dumme Fragen
Die Trans-Perspektive: Die MANNSCHAFT-Kolumne
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr in Brandenburg, Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia» und ist stellvertretende Vorsitzende der Interessenvertretung der queeren Angehörigen der Bundeswehr, QueerBW. Ihren Dienst versieht sie neuerdings in Bonn im Cyberkommando und schreibt regelmässig eine Kolumne* für MANNSCHAFT.
«Anastasia, hast du eigentlich einen Penis oder eine Vagina?» Diese Frage hat mir nicht meine sechsjährige Nichte gestellt, sondern vor ein paar Wochen irgendein Typ in einer Bar. Versteht mich bitte nicht falsch. Diese Frage, obwohl offensichtlich total übergriffig und respektlos, schockiert mich als trans Frau schon lange nicht mehr. Dafür habe ich sie schon zu oft gehört. Aber an diesem Abend wollte ich es endlich wissen.
Warum quatscht dieser Typ, mit dem ich höchstens zwei oder drei Höflichkeitsfloskeln ausgetauscht hatte, mich blöd von der Seite an, um zu erfragen wie es zwischen meinen Beinen aussieht? Ihn nett anlächelnd erwiderte ich, ob er diese Frage allen Frauen stellt, denen er noch keinen Cocktail ausgegeben hat. «Nein, natürlich nicht, aber du bist ja trans. Da wird man das wohl doch dürfen.»
Das sass. So einfach ist das also. Für mich als trans Frau gelten andere Regeln, andere Umgangsformen. Soziale Distanz gleich null, Intimsphäre nicht existent. Er hat das Recht zu wissen, was zwischen meinen Beinen ist. Man stelle sich vor: Dort könnte sich ja ein Penis befinden, der ihn als gestandenen Mann in die sexuelle Orientierungslosigkeit treibt! Sein Selbstbild als heterosexueller Kerl könnte in Frage gestellt werden.
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Vielleicht aber wollte er sich auch eine lang ersehnte sexuelle Fantasie erfüllen, auf Brüste und Penis hoffend, um seinen Fetisch dann mit mir zu befriedigen. Meine Gefühlswelt ist natürlich nachrangig. Ich werde reduziert und objektifiziert.
Die Faszination und ungehemmte Neugierde von cis Personen an unseren Geschlechtsteilen, egal ob trans Frau oder trans Mann, vermag ich nur schwer zu erklären (siehe etwa Buck Angel – MANNSCHAFT berichtete). Ich habe diese und andere unmöglichen Fragen in Clubs gestellt bekommen. In der U-Bahn. Unerwartet im Supermarkt in der Schlange an der Kasse stehend, von cis Frauen und cis Männern. Und das meistens ohne erkennbares Schamgefühl ihrerseits. Die Erkenntnis über mein Genital scheint wichtiger, die Selbstverständlichkeit mit der gefragt wird, ist erschreckend. Man nimmt sich das Recht, da ich offensichtlich anders bin, abweichend von der «Norm». Neugierde und Interesse scheinen berechtigt und stellen Hemmschwellen in den Schatten. Das habe ich doch wohl zu verstehen.
Nein, es geht dich nichts an! Mein Genital ist meine Privatsache. Ob ich schon eine Geschlechtsangleichung hatte oder ob noch irgendwelche Operationen anstehen, geht dich ebenso wenig an. Und soll für dich keinen Unterschied machen. Der soziale Kontakt mit einer trans Person ist nicht mit einem kostenlosen Kurs in Gender Studies gleichzusetzen und schon gar nicht auf Kosten meiner Intimsphäre.
Du musst keine Angst haben. Ich werde dir schon kommunizieren, wenn es mir danach ist oder mir wichtig erscheint. Nämlich nur dann, wenn eine Beziehungsebene oder Intimität erreicht ist, in der ein Safe-Space entsteht, in dem Vertrauen gewachsen ist und Kommunikation angstfrei erfolgen kann. Ich entscheide selbstbestimmt, wann ich mein Intimstes preisgebe. Erst dann, vorher nicht. Lern es endlich und akzeptier mich einfach so wie ich bin. Denn dann respektierst du uns und wir begegnen uns auf Augenhöhe. Und du ersparst dir vielleicht auch, dir einen Cocktail aus dem Gesicht wischen zu müssen.
In ihrer letzten Kolumne forderte Anastasia mehr Bildung zum Thema Trans.
Selbstbestimmung für trans und inter Jugendliche auf gutem Weg
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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