«Shwule Grüsse vom Balkan» (19) – Ringel, Ringel, Reihern
Jaschas Geheimnis
Aleksandar bekommen Rotwein und Gemüse nicht. Während er mit den Nachwirkungen kämpft, hat Jascha ganz andere Pläne.
«I was Made For Lovin’ You», galoppiert es durch Aleks’ EarPods, als er in Begleitung seines Freundes Jascha seine Wohnung betritt und «ihrem» Lied lauscht. Nachdem sie das Essen mit Aleks’ Eltern und Bruder gut überstanden haben, will Aleks wissen, warum sich Jascha in den Gesprächen so bedeckt gehalten hat.
«Bedeckt?», fragt Jascha unschuldig. Wie das Lamm, das sich beim Familienessen gaumenerregend auf dem Tisch geräkelt hatte, ihn als Veganer aber völlig kaltliess. «Du bist meiner Familie ständig ausgewichen, als sie mehr über dein Leben und deine Familie wissen wollte», ergänzt Aleks. «Nun ja …», verlängert Jascha sein Schweigen, «meine Vergangenheit ist halt meine Sache.» «Aha», gluckst Aleks, «dafür hast du aber meinem Bruder ziemlich viele Fragen über seine Fussballkarriere und sein Privatleben gestellt.» Jascha zuckt mit den Schultern: «Und wenn schon. Ich bin einfach interessiert.» «Du hast ihn gelöchert wie ein schmieriger Boulevardreporter!», reizt ihn Aleks weiter.
Jascha bleibt still. Denn Aleks hat ins Schwarze getroffen. Jascha verdient sein Geld zwar mit Schreiben, wie er ihm beim ersten Date erzählt hat, aber nicht als Redakteur für einen Food-Blog. In Tat und Wahrheit arbeitet er für ein Klatschmagazin. Mit dem Auftrag, den Fussballnachwuchsprofi Alen Mihailović zu porträtieren und dabei das eine oder andere Geheimnis aufzuspüren. Und Aleks hat ihm mit seiner Liebe Tür und Tor dafür geöffnet, ahnt indes nichts davon.
«Ich erkläre dir das später mal, ja? Ich habe meine Vergangenheit selbst noch nicht verarbeitet», zieht sich Jascha aus der Affäre und schmachtet Aleks mit seinen grossen Augen an. Wie der gestiefelte Kater aus Disneys Shrek. Was Aleks wieder zerfliessen lässt. Wie die Bratbutter in Paul Bocuses Pfannen. «Aber klar doch, mein Hübscher. Lass dir Zeit», säuselt Aleks Jascha zu. Der wiederum merkt, dass Aleks zu verknallt ist als zu wittern, was wirklich Sache ist. «Das mache ich. Aber nun ist es Zeit, zum zweiten Dessert überzugehen», verführt Jascha Aleks, der sich ihm prompt hingibt. Und kurz darauf im Bad übergibt. Zuerst röhrend und prustend, dann bröckelnd und würgend.
«Alles in Ordnung?», streicht Jascha Aleks über die Stirn, der über der Keramikschüssel hängt, keucht und presst, als gebäre er oral gerade einen Blauwal. Dazwischen nickt und japst er. Ehe erneut ein Strahl aus Ajvar, Lammresten und Rotwein in die Kloschüssel donnert. «Sollen wir zum Arzt gehen?», fragt ihn Jascha besorgt. Aleks winkt ab. Er habe das in der Kombination mit Rotwein schon einmal gehabt: Offenbar verträgt er Rotwein mit Gemüse bzw. Ajvar nicht.
Aleks’ Ringel, Ringel, Reihern setzt sich bis in die Morgenstunden fort. Als er leergeräumt zum Schlafzimmer schlurft, ertappt er Jascha durch den Türspalt, wie dieser in Aleks’ Tagebuch blättert und sich auf einem Stück Papier Notizen macht. Erzürnt will ihn Aleks zur Rede stellen, hält aber inne:
Was hat er mit meinem Tagebuch vor?
Das Blättern der Seiten schlägt um in ein wildes Schlackern, während sich die Kugelschreiberfurchen immer tiefer ins Notizpapier graben.
‹Von wegen «I was Made For Lovin’ You» – du falscher Frosch!›, enerviert sich Aleks innerlich und stampft vor dem Zimmer bewusst etwas laut auf, damit ihn Jascha hört und das Tagebuch sowie die Notizen rechtzeitig verschwinden lassen kann. Beim Betreten des Schlafzimmers lässt sich Aleks nichts anmerken. Jascha zupft nervös am Bettlaken: «Ist alles wieder gut, Schatz?» Bei dieser Frage hätte Aleks gleich noch eine Runde Ringel, Ringel, Reihern einschlagen können, hätte er noch etwas im Magen: «Ja, bin nun einfach schlapp und will nur noch schlafen», antwortet er kurz und legt sich hin. «Schlaf gut, Schatz», küsst ihn Jascha auf die Wange. «Du auch.»
Aleks gibt sich schläfrig. Aber in seinem Gehirn herrscht gerade ein Gedankengewitter. Er weiss, dass ihn Jascha anlügt und seine Familie im Fokus hat. ‹Wozu will er so viele Details wissen? Und warum tut er so geheimniskrämerisch?› Alex kommt ihm zwar noch nicht auf die Spur, will ihn jedoch mit Argusaugen beobachten.
*Wir schreiben in dieser Kolumne «shwul» statt «schwul», um den Balkan-Slang wiederzugeben. Weitere Hintergründe zur Kolumne «Shwule Grüsse aus dem Balkan» erfährst du im Interview mit dem Autor Predag Jurisic.
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