Offizielle «Outing-Tage»? Streit um Diversity bei der Bundeswehr
Der Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr widerspricht einer positiven Darstellung zur Situation von LGBTIQ in der Truppe
Kürzlich sprach die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München von «Outing-Tagen» bei der deutschen Truppe. Prof. Dr. Merith Niehuss behauptete auch, dass die Bundeswehr mit ihrem gezielten Diversity-Management der Restgesellschaft mittlerweile einen Schritt voraus sei, und dass man das vor allem dem «Feminismus» zu verdanken habe. Ist das wirklich so? Und ist die Bundeswehr inzwischen tatsächlich eine Traumarbeitgeberin für LGBTIQ?
«Der feministische Einfluss auf die Bundeswehr ist groß», hatte Merith Niehuss vor einer Woche in einem Interview mit der Zeitung «Die Welt» gesagt: «Die Bundeswehr folgt hier einem gesellschaftlichen Trend. […] Vergessen Sie nicht, es gibt diverse Horte von Männlichkeit in dieser Gesellschaft. Denken Sie an Kirchen, denken Sie an Leistungssport, der nach Geschlechtern getrennt ist. Frauenfußball guckt man mal, Männerfußball ist aber der interessantere Sport. Die Bundeswehr ist durch die Frauen aber zwei Schritte weiter gegangen: Nicht nur die Frauen und die Gleichstellungsfrage haben Eingang gefunden, sondern zugleich auch die Diversity-Frage. Damit ist die Bundeswehr dem Rest der Gesellschaft wieder voraus, wo diese Frage nicht diskutiert wird.»
Soll praktisch heissen, dass auch Homosexualität und Transidentität laut Niehuss in der Bundeswehr kein Tabu mehr seien.
Niehuss sagt: «Diversity, etwa Homosexualität oder Transgender oder andere Konzessionen wie Behinderungen, wird in vielen Institutionen nicht diskutiert und verfolgt als Thema. Homosexualität ist im Leistungssport tabu, ein absolutes Tabu. In der Bundeswehr nicht mehr.»
Mehr noch: «Es wird sehr oft geoutet. Wir haben ja nicht nur Beauftragte für Homosexualität in der Bundeswehr. Die Ministerin hat durch den Workshop ‚Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr‘ vom 31. Januar 2017 alle Personen sich outen lassen, die sich outen wollten.»
Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem feministischen Einfluss auf die Bundeswehr und homosexuellen sowie transgeschlechtlichen Menschen?
Gegen Gleichwertigkeit von Homo- und Heterosexuellen Dieser positiven Darstellung der Bundeswehr mit eigenem offiziellen «Outing-Tag» widerspricht der Arbeitskreis Homosexueller Angehöriger der Bundeswehr (AHsAB) in einer Stellungnahme. «Zuerst stellt sich die Frage: Welcher Zusammenhang besteht zwischen dem – ohne Frage spürbaren – feministischen Einfluss auf die Bundeswehr und homosexuellen sowie transgeschlechtlichen Menschen? Sind es nicht die Betroffenen selbst, die ihre Rechte erkämpfen und für diese jeden Tag aufs Neue eintreten müssen», fragt der 2002 gegründete Verein mit Sitz in Berlin.
Er verweist darauf, dass es im November erneut die Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU) gewesen sei, die eine Gleichwertigkeit von Homo- und Heterosexuellen in Frage stellte. «Sie stimmte nicht zuletzt auch gegen die Ehe für Alle. Demnach ist der feministische Einfluss nicht automatisch ein positiver Einfluss, wenn es z.B. um die Gleichstellung und Gleichbehandlung von allen Menschen – unabhängig ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Identität – geht. Auch finden wir es problematisch, bezogen auf die feministische Bewegung, von einem gesellschaftlichen Trend zu sprechen. Es ist kein Trend, sondern Zurecht das Einfordern der Gleichstellung und Gleichbehandlung von Frauen und Männern.»
Viele zivile Unternehmen sind deutlich weiter Konkret zur Akzeptanz von Homosexuellen und Trans*-Menschen in der Bundeswehr, sagt der AHsAB: «Wenn [Frau Niehuss] meint, dass sich die Führung mit diesem Thema mittlerweile auseinandersetzt, hat sie Recht. Sich mit der Thematik in der Führung auseinanderzusetzen allein reicht jedoch nicht aus! In weiten Teilen der Truppe ist es ein Tabu. Aus unserer ehrenamtlichen (nicht vom Bundesministerium für Verteidigung geförderten) täglichen Arbeit wissen wir, dass es abhängig von Dienstort, Truppengattung, Dienstgrad und Karrierezielen noch immer schwer bis unmöglich ist, ein freies und selbstbestimmtes Leben zu führen. Bei Opfern von Mobbing, Diskriminierung und Gewalt gibt es auch in der Bundeswehr noch Angst damit offen umzugehen. Auch ist die Bundeswehr im Bereich Diversity nicht dem Rest der Gesellschaft voraus, wie die Präsidentin für sich feststellte. Viele zivile Unternehmen sind hier deutlich weiter.»
Erektion beim Appell: Militärphantasien im Schwulenporno
Dass es in der mittleren und unteren Ebenen der Bundeswehr beim Thema Diversity und Aufbrechen von althergebrachten Gender-Modellen gewaltig krachen kann, wurde 2018 überdeutlich, als im Sommer das Militärhistorische Museum Dresden seine Ausstellung «Gewalt und Geschlecht: Männlicher Krieg – Weiblicher Frieden?» eröffnete.
Die Schau hinterfragte Genderklischees, in der Gesellschaft ebenso wie in der Armee, stellte verblüffende Zusammenhänge her und widerlegte vielfach liebgewonnene Rollenmodelle, besonders was «friedliebende Frauen» anbelangt. Es gab Abteilungen zu «Frauen und Gewalt» bzw. «Frauen und linker wie rechter Terrorismus», es gab Abteilungen zu Frauen und Trans*-Menschen in der Kampftruppe – und im grandiosen Katalog gab es Essays wie «Erektion beim Appell: Militärphantasien im Schwulenporno» oder «Der General-Verdacht» zum Fall Kießling.
Zwangsversetzung vs. Überzeugungsarbeit Die Folge? Museumsleiter Gorch Pieken wurde zwangsversetzt, also praktisch gefeuert. Wie man diversen Zeitungsberichten entnehmen konnte, war das besonders eine Folge des Rumorens über solch fortschrittliches Diversity-Denken in den mittleren und unteren Strukturen des Museums, nicht in der Führungsebene.
Denn ja, es ist richtig, dass sich unter der Führung von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) «sehr viel getan hat», wie auch der AHsAB betont: «Und dafür sind wir ihr sehr dankbar!» Doch es bedürfe auch weiterhin «viel Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit» und ein «gelebtes aktives Diversity-Management», um die Utopie von völliger Gleichstellung zu erreichen.
In einem Statement gegenüber der Tageszeitung «taz» sagte Jens Marschner, Vorstandsmitglied des AHsAB und Hauptmann in der Bundeswehr, dass man «keine generalisierenden Aussagen» zum Thema Coming-out in der Bundeswehr treffen könne: «Man kann nicht allgemein sagen, dass ein Coming-Out in der Bundeswehr problematisch ist.» Beispielsweise in Köln oder an anderen Orten, an denen LGBTIQ-Personen schon lange im Stadtbild sichtbar sind, gäbe es wenige Probleme. «In anderen Bereichen, gerade in besonders männlich geprägten Berufsbildern wie den Fallschirmspringern oder anderen Kampfverbänden oder auch in Dienststellen aus stark katholisch geprägten Gegenden, gibt es teilweise noch größere Vorbehalte gegenüber schwulen, lesbischen und bisexuellen Soldaten.»
(Auf die unheilige Allianz von Kirchen und Konservativen sowie der Kampftruppe wird auch in «Gewalt und Geschlecht» wiederholt eingegangen, was nochmal zu einer Welle des Protestes geführt hatte.)
Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion Im Verteidigungsministerium existiere zwar das Stabselement «Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion» und die «Ansprechstelle Diskriminierung und Gewalt in der Bundeswehr», betont Jens Marschner, aber diese Stellen würden «nach militärischer Logik» besetzt: «Nur selten findet man hier selbst Betroffene, welche aufgrund ihrer Erfahrungen Hilfesuchenden helfen können», heißt es im Schreiben der AHsAB. «Oft besteht Angst, sich unmittelbar an Vorgesetzte zu wenden», meint Jens Marschner. Er fordert, dass in den Personalräten neben Gleichstellungs- und Schwerbehindertenbeauftragten auch Beauftragte für die Themen sexuelle Orientierung und sexuelle Identität berufen werden müssten.
Es gibt Sorge, dass ein Outing in viel mehr Bereichen bekannt wird, als gewünscht
Auch den sogenannten «Outing-Tag», den die Präsidentin der Universität der Bundeswehr München so lobend erwähnt, will der AHsAB nicht unkommentiert im Raum stehen lassen: «Die Feststellung von Prof. Niehuss, dass die Bundeswehr ‚Beauftragte für Homosexuelle‘ habe und der Workshop ‚Sexuelle Orientierung und Identität in der Bundeswehr‘ ein ‚Outing-Tag‘ war, ist falsch!»
Ein öffentliches Outing sei weder Intention des Workshops gewesen, noch seien die Betroffenen aufgefordert worden, sich «jetzt» zu outen. «Ein Outing kann nicht befohlen werden. Es wird erst dann erfolgen, wenn sich Betroffene sicher fühlen und keine Angst vor Benachteiligung oder Gewalt haben müssen.»
Laut Interview mit Jens Marschner haben etliche LGBTIQ-Personen auch Sorge, dass ein Outing «in viel mehr Bereichen bekannt wird, als gewünscht». Dadurch würde man dann «viel weitläufiger geoutet», ein Coming-out wäre «nicht mehr selbst bestimmbar». Was allerdings kein Alleinstellungsmerkmal von Outings in der Bundeswehr ist, sondern jeden betrifft.
Aufgrund der schwierigen Lage fordert der AHsAB: «Für ein aktives Diversity-Management fordern wir Diversity-Beauftragte bis auf Einheitsebene. Diese Funktionen sind offen auszuschreiben und durch Freiwillige zu besetzen. Der AHsAB e.V. möchte als gemeinnütziger Verein im psychosozialen Netzwerk der Bundeswehr aufgenommen werden. Wir haben an fast jedem Standort Mitglieder, die bereit sind, ihre Erfahrungen und Expertise zur Verfügung zu stellen.»
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