Darum gibt es in Griechenland jetzt viele «Professionelle Homosexuelle»

Der Hintergrund ist ernst: Es geht um Missbrauch und Vergewaltigung

Symbolbild: Hugo Herrera/Unsplash
Symbolbild: Hugo Herrera/Unsplash

In Griechenland bezeichnen sich plötzlich Frauen und Männer als «Professionelle Homosexuelle» auf Facebook. Die teils spassige Solidaritätsaktion hat einen ernsten Hintergrund. Von Alexandra Amanatidou

Dimitris Lignadis ist ein bekannter Schauspieler und Regisseur, der seit August 2019 und bis vor einigen Wochen Intendant des Nationaltheaters in Athen war. Der 56-Jährige, der mittlerweile in Untersuchungshaft sitzt, soll zwei Männer missbraucht und vergewaltigt haben, während sie noch minderjährig bzw. in der Pubertät waren. Weitere Fälle sind zwar bekannt geworden, können aber nicht mehr gerichtlich verfolgt werden, weil sie verjährt sind.

Dimitris Lignadis (Mitte) bei seiner Verhaftung (Foto: Eurokinissi via ZUMA Wire/dpa)
Dimitris Lignadis (Mitte) bei seiner Verhaftung (Foto: Eurokinissi via ZUMA Wire/dpa)

Für Empörung in der griechischen LGBTIQ-Community sorgte zuletzt die Äusserung des Verteidigers des Regisseurs. Alexis Kougias erzählte in Fernsehsendungen, die Enthüllungen seien von «Professionellen Homosexuellen» gemacht worden. Seine Äusserung sorgte für Verwirrung und ihm wurde häufig die Frage gestellt, was er genau damit meine. In einem TV-Interview im Privatsender Antenna sagt er, er meine damit Menschen, die sich «einen Lebensstil ausgesucht haben, in dem sie nicht arbeiten und mit Homosexuellen sexuelle Beziehungen führen». Hinzu stellte er die Zeugen als unglaubwürdig und unmoralisch dar, weil sie homosexuell sind und zum Teil mittlerweile ins Ausland leben.

Kurz danach fingen die Reaktionen auf Facebook an. Sowohl Männer als auch Frauen posteten Witze, etwa dass man ein Studium in Homosexualität abschliessen kann und kommentierten empört die Aussagen des Anwalts. Manche aktualisierten ihre Berufsangaben im Profil oder fügten ein Design ihrem Bild zu, auf dem «Professioneller Homosexueller» stand.

Einer von ihnen ist Nikos Skoplakis. Auf der Frage, warum er mitmacht, erzählt er: «Ganz einfach: Wir wollen eine laute Antwort auf der elenden Aussage Kougias geben», aber auch der Regierung, die «den Hass gegenüber der LGBTIQ Community schürt». Ein anderer Nutzer, Marios Theodoris, traf die Entscheidung, seine Arbeitsinfo zu «Profi Homosexueller» zu ändern, um sich über diese Aussage lustig zu machen, und sagt: «Ich habe das Gefühl, dass ‘Profi Homosexueller‘ mittlerweile eine andere Bedeutung bekommen hat.» Es zeige einen gemeinsamen Kampfgeist und Solidarität gegenüber marginalisierten Gruppen, so Theodoris.

Er ist der erste offen schwule Minister in Griechenland

Einige Promis machten auch mit, wie etwa der Sänger Foivos Delivorias oder die Journalistin Elena Akrita. Der bekannte Schauspieler Giorgos Kapoutzidis, der sich seit Jahren offen zu seiner Homosexualität äussert, teilte zuletzt mit, er sei ein «arbeitsloser Homosexueller», weil er zurzeit Single sei.

Die Regierung versucht, jede Verantwortung von sich zu weisen. Obwohl die Kulturministerin Lina Mendoni den Schauspieler als Intendant des Nationaltheaters angestellt hatte, behauptet sie, weder sie noch der Premierminister Kyriakos Mitsotakis waren mit Lignadis befreundet.

«Er ist ein gefährlicher Mensch», teilte sie in einer 45-minutigen Online-Pressekonferenz mit. «Er hat uns betrogen, dank seiner hervorragenden Schauspielerkunst» fügte sie hinzu. Mittlerweile verlangen viele Bürger*innen sowie Abgeordnete der Oppositionspartei den Rücktritt der Ministerin. Auch Journalisten und Journalistinnen in Privatsendern versuchten den Fall kleinzureden. So teilte die Journalistin Ioanna Mandrou auf dem Sender Skai mit, dass Lignadis vom altgriechischen Drama verwirrt war und diese Menschen auf die Probe stellte oder schob die Verantwortung auf den Eltern der angeblichen Opfer.

Der Fall Lignadis kommt zu einer Zeit, da #MeToo den öffentlichen Diskurs in Griechenland dominiert. Der Hashtag, der im Jahr 2017 weltweit bekannt wurde und Frauen eine Plattform gab, um ihre Missbrauchs- und Belästigungserlebnisse mitzuteilten, wurde nach den Äusserungen der Seglerin und Olympiaträgerin Sofia Bekatorou wieder populär. Bekatorou sprach öffentlich von ihrer Vergewaltigung im Alter von 15 Jahren. Bei der jetzigen Bewegung in Griechenland geht es allerdings nicht explizit um Frauenerfahrungen, sondern um eine generelle Kritik an sozialen Machtverhältnissen. Frauen und Männer erzählen von sexuellen Belästigungen sowie körperlichen und sexuellen Missbrauchsfällen, die sie teilweise Jahre davor erlebt habe.

2017 gab es die ersten Belästigungsvorwürfe männlicher Kollegen gegen Kevin Spacey. Spacey hatte sich daraufhin entschuldigt und bei der Gelegenheit selber geoutet (MANNSCHAFT berichtete).Vor einem Jahr sprach er über erstmals über die Identitätskrise nach seinem Karriere-Ende (MANNSCHAFT berichtete).

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