Marcel Mann: Flugangst – und dann ohne Rotwein!

Die neue Ausgabe der MANNSCHAFT+-Kolumne «Mannstruation» spielt über den Wolken

Marcel Mann (Foto: Henrik Pfeifer)
Marcel Mann (Foto: Henrik Pfeifer)

Wenn es beim Fliegen so richtig turbulent zugeht, dann wird der Comedian Marcel Mann schwach …

Ist Flugangst ein Luxusproblem? Fragen wir Karlsson vom Dach … Viele Leute lieben Luxus. Ich liebe Luxusprobleme. Probleme kommen von allein, aber Luxusprobleme muss man sich suchen. Ähnlich wie spannende Momente in der aktuellen Staffel des deutschen Bachelors. Laut Internet gibt es zwei Bedeutungen des Wortes Luxusproblem. Erstens: Problem, das aufgrund mehrerer guter Lösungsmöglichkeiten nicht schwerwiegend ist. Oder aber ein Problem, das im Vergleich zu anderen Problemen eine untergeordnete Rolle spielt.

Hier sind die männlichen Flugbegleiter vor ihren Familien nicht geoutet.

Mir fehlt das Reisen. Seit über einem Jahr habe ich das Land nicht verlassen. Das geht vielen so. Ist nicht schlimm. Ist ein Luxusproblem. Ausser der Grund für Fernweh ist eine mehrjährige Haftstrafe, die noch abzusitzen wäre. Ein ganz anderes Problem. Darin habe ich jedoch keine Expertise. An eine Reise erinner ich mich besonders. Es hätte meine letzte sein können. Triggerwarnung. Folgende Kolumne ist nichts für Menschen mit (Spoiler!) Flugangst. Ich war auf einer Asienreise mit Zwischenstopp in Indonesien. Ein muslimisches Land. Wusste ich vorher auch nicht. Die Airline war auch eher muslimisch. Der Unterschied zu Lufthansa ist lediglich, dass die männlichen Flugbegleiter vor ihren Familien nicht geoutet sind. Ansonsten funktionieren die Anschnallzeichen gleich.

Es war ein später Flug. Die meisten Leute an Bord hatten einen langen Tag hinter sich und seit Sonnenaufgang nichts gegessen, da gerade Ramadan war. Draussen dämmerte es gerade. Es war also an der Zeit, bald eine Mahlzeit zu sich zu nehmen. Problem: Unser Start verzögerte sich etwas. Es war kurz vor Sonnenuntergang, und wir warteten im Flugzeug auf dem Rollfeld. Die Stimmung war leicht unterzuckert. Mit circa 40 Minuten Verspätung hoben wir schliesslich ab. Aus dem Cockpit kam etwa 15 Minuten nach dem Abheben die Durchsage. Durchsagen im Flugzeug beinhalten selten gute Nachrichten. Nie hört man: «Bitte schauen Sie nach oben, öffnen den Mund und erfreuen sich an der lokalen Softeis-Maschine. Hörnchen befinden sich unter ihrem Sitz.» Nie!

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Stattdessen kam: «Bitte bleiben Sie angeschnallt, suchen Sie die Toiletten nicht mehr auf. Unser Bord Service wird sich um etwas verzögern. Wir durchqueren ein Gewitter.» Kaum war das ausgeprochen, wurde es turbulent. Und ich meine nicht Jenny-Elvers-turbulent. Ich meine Houston-wir-haben-ein-Problem-turbulent. Es gab Luftlöcher mit mehr Leere als in Pietro Lombardis Schädel. Kleiner Shoutout an der Stelle 😉

Die Anschnallzeichen leuchteten auf, die Kabinenbeleutung wurde gedimmt. Es war romantisch. Draussen war es mittlerweile dunkel, es blitzte. Das Gewitter nahm nun auch visuell Fahrt auf. Mich beunruhigt sowas nicht wirklich. Abstürzen ist keine grosse Angst von mir. Meine grosse Angst ist eher abzustürzen und es ist ein noch prominenterer Mensch an Bord. Reicht ja schon einer aus einer alten Boygroup. Das wäre echt kacke.

Die Frau neben mir hatte aber offenbar weniger tiefe Gedanken. Irgendwann bemerkte ich, wie die zierliche Asiatin mittleren Alters zu murmeln begann. Ich verstand ihre Sprache nicht. Ich spreche kein Asiatisch. Nur zwischendurch konnte ich ein englisches Wort identifizieren. Jesus. «Please, help me, Jesus.» Diesen Satz konnte ich im Loop hören. Ach, Christen, so dramatisch.

Währendessen begannen die Flügel der Maschine beunruhigend zu wackeln. Ich sah nur das Licht am Ende der Tragfläche, welches in regelmässigen in unterschiedlichen Höhen aufblinkte. Mmm? Muss das so? Kurz habe ich überlegt. Wie wichtig sind so Flügel für ein Flugzeug? Aber dann kam ich zum Schluss, ohne Flügel wäre es nur … Zeug. Aber ein Hubschrauber hat ja auch keine. Hmm? Physik. Dafür hatten wir jetzt keine Zeit.

Irgendwann fiel mir auf, dass die asiatische Frau neben mir undefinierbare Geräusche von sich gab. Ich drehte mich zu ihr und sah dass sie schluchzte. Ich verstand ihre Angst nicht ganz. Ich sass schon mal in Italien im Taxi. So schnell kriege ich keine Angst mehr. Ihr Schluchzen wurde immer stärker. Jesus. Please. Jesus. Bei näherer Betrachtung meiner direkten Nachbarschaft hatten noch mehr Passagiere akkustisches Interesse an Jesus. Um mich herum beteten mindestens sieben Frauen. Wo war ich gelandet? Bei «Sister Act»? I will follow him …

Meine Begleitung fing daraufhin an zu lachen. Der bepisste sich regelrecht. Auf der anderen Seite wurde sich auch gerade bepisst, aber aus anderen Gründen. Zu meiner Linken sass jemand, der die Komik der Situation erkannte, und zu meiner Rechten sass jemand der davon ausging, dass wir alle sterben würden. Ich war noch unentschlossen, für welches Team ich spielte. Ich ging im Kopf durch ob mir irgendwer Prominentes beim Check in aufgefallen war. Ich hatte auch schon ein Glas Wein getrunken … Meine Prioritäten waren leicht verschoben, als mich ein Schrei aus den Gedanken riss. «HELP ME, JESUS!»

Um die Frau zu beruhigen, entschloss ich mich dazu, das in der Situation Angemessene zu tun. Ich begann ihr das Knie zu tätscheln, was aber aufgrund von diversen Luftlöchern darin endete, dass ich ihr den Oberschenkel rieb. Einer völlig Fremden aus einem anderen offenbar religiösen Kulturaum auf beengtem Raum den Oberschenkel zu reiben, erschien mir plausibel. Also rieb ich. Immer schneller. Ich rieb so heftig. Ich war dabei Feuer zu machen. Sie bemerkte das gar nicht. Gut, sie rief HELP ME, JESUS! Aber das tat sie, wie gesagt, schon vor meinem tätlichen Übergriff.

Trotzdem nahm ich schnell meine Hand zu mir. Schliesslich war sie Christin (Autor verdreht die Augen), so dramatisch.

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Wir sind offensichtlich nicht abgestürzt. Nach einer knappen Stunde Achterbahn war alles vorbei. Irgendwann gab es endlich für alle Weltreligionen was zu essen. Ich bestellte einen, mehr als gerechtfertigten, Rotwein. Der ebenfalls durchgeschüttelte Flugbegleiter meinte zu meinem Entsetzen, es gäbe an Bord leider keinen Alkohol. Nun bekam ich Panik. Kein Rotwein? Ich begann zu flüstern: JESUS HEEEELP ME!

Vielleicht hab ich auch geschrien. Da will ich mich nicht festnageln lassen. Aber warum auch nicht nach dem Sohn Gottes rufen. Wir wissen: Jesus hatte ein Händchen für Wein. Ach, das Reisen fehlt mir. Rotwein gab’s jedoch in den letzten Monaten genug.

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