Kino: «Es wurden Tabus gebrochen»
In Filmen sind wir uns gewohnt, dass Kinder sich bei ihren Eltern outen. Bei «Jonathan» ist es umgekehrt. Greg Zwygart sprach mit Hauptdarsteller Jannis Niewöhner über die zentralen Themen des Films und den Liebesakt im Sterbebett als letzten Tabubruch.
Am 6. Oktober startete der Film «Jonathan» in den deutschen Kinos. Schon vor seiner Premiere hat das Drama von Regisseur Piotr J. Lewandowski für viel Aufsehen gesorgt. Am LGBT-Filmfestival «Frameline» in San Francisco wurde «Jonathan» als bester Spielfilm ausgezeichnet. Den Publikumspreis erhielt er vom «Festival des Deutschen Films» und vom LGBT-Filmfestival «Damn These Heels» in Salt Lake City.
Die Geschichte spielt in einer ländlichen Ecke Deutschlands und handelt vom sensiblen Jonathan. Der 23-Jährige bewirtschaftet zusammen mit seiner Tante Martha den Familienbauernhof und kümmert sich rührend um seinen krebskranken Vater Burghardt. Dieser ist aufgrund seines gesundheitlichen Zustands verbittert und lässt die Bemühungen seines Sohnes nur widerwillig zu. Viel mehr wünscht er sich einen Tod in Würde.
Ein unausgesprochenes Familiengeheimnis schwebt über Jonathan – seine Mutter ist früh verstorben und sowohl sein Vater als auch seine Tante weigern sich, miteinander auch nur ein Wort zu wechseln oder Jonathan von der Vergangenheit zu erzählen.
Jonathan ist zunehmend überfordert, bis die junge Pflegekraft Anka als Unterstützung angeheuert wird. Die beiden kommen sich näher und verlieben sich ineinander. Durch Ankas Erfahrung in der Sterbebegleitung kranker Menschen erhält Jonathan einen neuen Einblick in die Situation seines Vaters und versucht, dessen absehbaren Tod zu akzeptieren.
«Er fühlt sich hin- und hergerissen», sagt Jannis Niewöhner, der die Rolle von Jonathan spielt, gegenüber der Mannschaft. «Es ist einerseits die Angst vor der Wahrheit, andererseits die Angst, sie nicht zu erfahren.»
Rätselhafter Eindringling Als plötzlich ein fremder Mann auf dem Bauernhof auftaucht, hängt der Familiensegen definitiv schief. Ron gibt sich als Jugendfreund von Burghardt aus und will sich fortan an dessen Pflege beteiligen. Während Martha mit dem Fremden nichts zu tun haben will, reagiert Jonathan mit Wut und Unverständnis.
Für Jannis Niewöhner ist die Reaktion nachvollziehbar: «Wenn man sich jahrelang um seinen Vater kümmert und dabei Kraft und Energie aufwendet, ist das verständlich. Da kriegt man eine grosse Wut, wenn da einer kommt und sagt, ich mach das schon.»
Rons Gegenwart hat ungeahnte Auswirkungen auf Burghardt. Er zeigt sich lachend, sein Gesundheitszustand verbessert sich. Bald wird dem Zuschauer und auch Jonathan klar: Die beiden haben vor vielen Jahren ineinander die grosse Liebe gefunden. Damit fällt auch die letzte Fassade der sorgsam gehüteten Familiengeheimnisse und Burghardt kann seinem Sohn die Wahrheit nicht länger vorenthalten.
« Es ist einerseits die Angst vor der Wahrheit, andererseits die Angst, sie nicht zu erfahren.»
Eine Auseinandersetzung mit dem Tod Mit poetischen Nahaufnahmen vom Leben auf dem Bauernhof untermalt Regisseur Lewandowski Jonathans Kampf mit sich selbst und seine Suche nach Antworten. Dabei legt nicht nur Jannis Niewöhner, sondern auch André Hennicke in der Rolle von Burghardt und Barbara Auer als Martha grosses schauspielerisches Können an den Tag. Die innere Zerrissenheit steht ihnen ins Gesicht geschrieben, ebenso die unaussprechlichen Geschehnisse aus der Vergangenheit, die das Zusammenleben auf dem Bauernhof für Jonathan täglich zur Qual machen.
«Es war eine wahnsinnig tolle Stimmung am Set», erzählt Jannis. Damit solche Emotionen überhaupt gespielt werden können, müsse grosses Vertrauen entstehen. «Meine Kollegen haben es mir sehr einfach gemacht, indem sie mir das Gefühl gegeben haben, zu Hause zu sein und keine Ängste haben zu müssen.»
Den Bezug zu Jonathan konnte Jannis auf verschiedenen Ebenen herstellen: «Auch ich bin auf dem Land aufgewachsen. Ich stamme aus einer Familie mit sehr viel Liebe. Doch auch hier gibt es Geheimnisse. Dinge werden zum Schutz verheimlicht. Das kennt jeder, wie die Erfahrungen mit der Liebe und dem Tod.»
Liebesszene bricht mit Tabu «Jonathan» ist kein Film über ein Coming-out, auch nicht über das Krebsleiden oder eine gebrochene Familie. «Es ist eine Stärke des Films, dass er sich nicht nur auf eine Sache fokussiert und auch nicht jedes Thema komplett auseinandernimmt», sagt Jannis. Vielmehr soll der Film zum Nachdenken anregen: «Was gibt es in meiner Familie nicht an Offenheit? Wie bewertet man den Tod, wie geht man mit ihm um, was bedeutet er? Im Film steckt eine Mischung von allem drin, vor allem sehen wir einen jungen Mann auf der Suche nach sich selbst.»
Besonders ergreifend ist die Liebesszene zwischen Ron und Burghardt im Krankenbett zwischen medizinischen Geräten und Sauerstoffschläuchen – ein Bruch mit Konventionen gleich auf mehreren Ebenen. Zum einen sind es zwei Männer, die sich auf der Kinoleinwand lieben, zum anderen sind es zwei Menschen im fortgeschrittenen Alter. Vor allem aber macht die Szene deutlich, dass auch Menschen, die im Sterben liegen, ein Bedürfnis nach Liebe und Intimität hegen. Sowohl Jannis als auch die Crew wurden bereits mehrfach auf diese Szene angesprochen. «Es wurden Tabus gebrochen. Man fragt sich, weshalb das noch nicht gezeigt wurde», sagt er. Jannis ist überzeugt, dass die Szene neue Massstäbe gesetzt hat. «Sie setzt ein unglaublich schönes Zeichen, die Liebe ist überall. Wir sehen, dass Zuneigung und der Wunsch nach körperlicher Nähe jenseits von ästhetischen Idealen auch wahnsinnig bewegend und ästhetisch sein kann. Es ist schön zu sehen, was diese Szene ausgelöst hat!» «Jonathan» läuft ab 6. Oktober im Kino.
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