Kein «inter»-Eintrag – Strafanzeige gegen Innenminister Nehammer
Er und weitere Politiker weigern sich, rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen zum Dritten Geschlecht nachzukommen
Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), sein Vorgänger Herbert Kickl (FPÖ) und der Bürgermeister von Steyr, Gerald Hackl (SPÖ), sehen sich mit einer Strafanzeige bei der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen Amtsmissbrauchs konfrontiert, auf Grund ihrer Weigerung, rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen zum Dritten Geschlecht nachzukommen.
Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL), Österreichs LGBTI-Bürgerrechtsorganisation, hofft, dass dem Rechtsstaat nach der bereits zwei Jahre dauernden offenen Rechtsverweigerung nun endlich zum Durchbruch verholfen wird. Das teilten Yannick Shetty (NEOS) und Helmut Graupner vom RKL am Mittwoch mit.
Im Juni 2018 hat der Verfassungsgerichtshof auf Beschwerde von Alex Jürgen entschieden, dass inter Personen ein Grundrecht darauf haben, dass ihr Geschlecht im Zentralen Personenstandsregister und in Urkunden nicht als männlich oder weiblich eingetragen wird und die Geschlechtsbezeichnung inter als ausdrücklich zulässig erklärt. Das oberösterreichische Landesverwaltungsgericht hat daraufhin am 3. Juli 2018 geurteilt, dass das Geschlecht von Alex Jürgen im Zentralen Personenstandsregister, wie beantragt, mit inter einzutragen ist.
Die physischen Geschlechtsmerkmale von Alex Jürgen waren bei der Geburt uneindeutig und entsprachen bereits zum Zeitpunkt der Geburt weder dem männlichen noch weiblichen Geschlecht. Im Laufe der folgenden Jahre wurden die ambivalenten körperlichen Geschlechtsmerkmale zum Teil entfernt, um Alex Jürgens Körper optisch dem eines Mädchens anzupassen. Doch das konstruierte Geschlecht entsprach nicht Alex Jürgens Identifikation. Seit 12 Jahren lebt Alex Jürgen offen als intergeschlechtliche Person, 2016 hatte er die Eintragung eines dritten Geschlechtseintrags beim Standesamt beantragt (MANNSCHAFT berichtete)
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Seit diesem 3. Juli 2018, also seit nun zwei Jahren, ist der Bürgermeister von Steyr verpflichtet, dem Urteil des Landesverwaltungsgerichtes nachzukommen und inter einzutragen. Bis heute ist das nicht geschehen, teilte das RKL mit.
Innenminister Kickl hatte sich gegen das Erkenntnis des oberösterreichischen Landesverwaltungsgerichtes an den Verwaltungsgerichtshof gewandt und aufschiebende Wirkung beantragt. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder die aufschiebende Wirkung bewilligt noch Kickl recht gegeben. Am 14. Dezember 2018 hat er das Erkenntnis des oberösterreichischen Landesverwaltungsgerichts bestätigt. Wie bereits der Verfassungsgerichtshof geurteilt hat, sei inter ausdrücklich zulässig, so das Höchstgericht.
Sechs Tage danach hat Innenminister Kickl dennoch die Bürgermeister (Standesämter) angewiesen, als dritten Geschlechteintrag nur divers zuzulassen. Die Software, die dem Zentralen Personenstandsregister zu Grunde liegt, hat er so geändert, dass nur männlich, weiblich und divers eingetragen werden kann, nicht aber das gerichtlich angeordnete inter.
Im Februar 2020 hat das oberösterreichische Landesverwaltungsgericht bestätigt, dass der Bürgermeister von Steyr seit Juli 2018 verpflichtet ist, den Geschechtseintrag von Alex Jürgen im Personenstandsregister auf inter zu berichtigen. Des Weiteren ist eine Geburtsurkunde mit inter auszustellen. Auch auf diese wartet Alex Jürgen bis heute.
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Trotz der rechtskräftigen Urteile beider Höchstgerichte, des Verfassungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichtshofs, sowie zweier rechtskräftiger Entscheidungen des oberösterreichischen Landesverwaltungsgerichts weigern sich Innenminister Nehammer und der Bürgermeister von Steyr hartnäckig, den Geschlechtseintrag von Alex Jürgen in das gerichtlich angeordnete inter zu berichtigen.
Innenminister Nehammer hat am 10. April 2020 in Beantwortung einer Anfrage des NEOS-Abgeordneten Yannick Shetty erklärt, am Kickl-Erlass festzuhalten, weil dieser Erlass «den im Sinne des Höchstgerichts verfassungskonformen, bundesweit einheitlichen Vollzug des Personenstandsrechts in diesem Bereich» gewährleiste.
«Nach zwei Jahren offener Rechtsverweigerung bleibt kein anderer Weg mehr als die Strafanzeige gegen die verantwortlichen Amtsinhaber», so Helmut Graupner, Präsident des Rechtskomitees LAMBDA (RKL) und Anwalt von Alex Jürgen, «Wir hoffen sehr, dass die Strafjustiz dem Rechtsstaat nun endlich zum Durchbruch verhelfen wird.»
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