Katar warnt vor «warmer Einstellung» zu Homosexualität bei Jugend
In einer regierungsnahen Zeitung erschien ein Artikel, der vor der «Bewerbung» von Homosexualität über soziale Medien warnt – besonders bei Snapchat. Das würde «die Kinder» vom rechten Pfad Gottes abbringen
Das Emirat Katar gibt sich gern weltoffen und modern, zumindest nach aussen. Auch der TV-Sender Al Jazeera hat seinen Sitz in Katar und scheint in der englischen Ausgabe solche Ideale zu spiegeln. Aber die Medien des Landes veröffentlichen oft in ihren arabisch-sprachigen Formaten ganz andere Inhalte. Das Middle East Research Institute hat jetzt einen Artikel ins Englische übersetzt, der in der regierungsnahen Zeitung Al Sharq veröffentlicht wurde. Darin wird vor einer «warmen Einstellung» zu Homosexualität warnt – die Gott bestrafen werde!
Den Artikel hat die lokale Journalistin Na’ima ‘Abd al-Wahhab al-Mutawa’a geschrieben, die Medienberaterin des Auswärtigen Amtes von Katar ist. Er erschien bereits im Juni, erregte aber kaum internationale Aufmerksamkeit. Jetzt hat ihn das Middle East Research Institute (MEMRI) übersetzt – und nun beginnen vor allem LGBTIQ-Nachrichtenportale sich genauer damit auseinanderzusetzen.
Nicht länger schweigen In dem Artikel heisst es bei al-Mutawa’a: «Ein wichtiges Thema, das inzwischen schon als Phänomen bezeichnet werden kann und über das man nicht länger schweigen darf, ist die warme Haltung [warm attitutde], die in vielen sozialen Netzwerken Homosexualität entgegengebracht wird – besonders bei Snapchat. Eine Haltung, die von der natürlichen Ordung abweicht, die Allah für Männer und Frauen vorgesehen hat. Das führt dazu, dass wir in unserer Gesellschaft junge Männer sehen, die aussehen wie Frauen, und junge Frauen, die aussehen wie Männer.»
Betitelt ist der Artikel mit der Mahnung «Haltet abweichende Ideen weg von euren Kindern» [«Keep Deviant Ideas Away from Your Children»]. Denn: «Dieses Phänomen ist typisch für die junge Generation, die Zugang zu allen elektronischen Medien hat. Und diese verbreiten – unglücklicherweise – solche abweichenden Trends, sie befördern sie und veröffentlichen sogar Inhalte, die das Ganze unterstützen.»
Laut der Journalistin gebe es «nicht ein einziges Computerspiel für Kinder, das nicht abweichende und perverse Bilder» enthalte: «Denkt daran, dass Gott die Mitglieder dieser Gruppe bestraft und ihre Städte zerstörte mit dem Blinken seines Auges.» (MANNSCHAFT berichtete über ähnliche Ansichten, die von fundamentalen Muslimen jüngst im arabischen Fernsehen geäussert wurden.)
Das Erbe der Scheicha Das sind Warnungen, die vor allem den erzkonservativen muslimischen Gruppen im Land aus dem Herzen sprechen, denen die Öffnung und Modernisierung, die besonders Scheicha Musa bint Nasser al-Missned mit ihrem Mann Scheich Hamad bin Chalifa Al Thani bis 2013 angestossen hatte (inklusive des Wahlrechts für Frauen), ein Dorn im Auge sind.
Schliesslich ist offiziell der Islam Staatsreligion und die Scharia Hauptquelle der Gesetzgebung, egal wie subtil die Scheicha das mit ihrer grossangelegten Bildungsoffensive unterwandern wollte. (Deren Früchte eben jenen Einfluss auf die «jüngere» Generation haben, von dem Al Sharq nun spricht.)
Was also tun? In dem langen Artikel von al-Mutawa’a schlägt die Medienberaterin vor, dass man mehr unternehmen müsse, um die Kinder Katars vor «Perversionen» zu schützen, die sie vom «richtigen und normalen Pfad» entfernen: «Wie schrecklich ist es, deinen Sohn zu sehen, wie er vom natürlichen Pfad wegdriftet und zu grosser Sünde tendiert, oder deine Tochter, die von ihrem Pfad abkommt und denen folgt, die solche pervertierten Bilder verbreiten und gutheissen.»
Wie schrecklich ist es, deinen Sohn zu sehen, wie er vom natürlichen Pfad wegdriftet und zu grosser Sünde tendiert
Offizielle Regulierungen gefordert Teil des vorgeschlagenen «Reformprogramms» sei es demnach, genderneutrale Puppen zu verbieten und über die offiziellen Regulierungsstellen Apps wie Snapchat zu kontrollieren, damit dort nicht weiter Informationen über «diese vom Weg abgekommene Gruppe junger Menschen» veröffentlicht werden können. Kurz gesagt: Zensur!
Solche Texte seien typisch für die Presse des Landes, teilte das Middle Eastern Research Institute (MEMRI) mit, als es seine englischsprachige Übersetzung mit der Welt teilte. Entsprechende Artikel würden regelmässig veröffentlicht in der Lokalpresse. Die Texte seien normalerweise «extrem kritisch bezüglich Homosexualität und der Gay Community», heisst es. Der vorliegende Artikel sei nur «einer von vielen homophoben Texten», die Al Sharq im Laufe der Jahre veröffentlicht habe. Weitere Beispiele seien ein Text vom Januar, in dem Homosexualität eine «Krankheit» [«sick phenomenon»] genannt werde. Letzten Sommer wurden die Leser der Zeitung sogar aufgefordert, diese «Perversion» aktiv zu bekämpfen.
Scharia-Gesetzgebung und Todesstrafe Wegen der Scharia-Gesetzgebung im Land müssen schwule Männer mit einer Gefängnisstrafe von bis zu drei Jahren und einer Geldbusse rechnen, wenn sie erwischt werden. Wenn es sich um homosexuelle Muslime handelt, droht ihnen theoretisch sogar die Todesstrafe.
LGBTIQ-Mitglieder der einflussreichen Landesfamilien werden daher mit üppigem finanziellen Polster ins Ausland geschickt, wo ihr «perverser» Lebenswandel vor den Medien und der heimischen Öffentlichkeit versteckt bleiben soll, berichtete mir vor Jahren ein katarischer Prinz bei einem Date in Doha. Er selbst wurde inzwischen ebenfalls auf einen Posten im Ausland versetzt, um sich für die glorreiche Bewerbung von islamischer Kunst und Kultur einzusetzen, die im Westen als leuchtendes positives Beispiel gezeigt werden soll.
In Doha selbst wurde 2008 das bei Touristen beliebte Museum für Islamische Kunst eröffnet, entworfen vom Star-Architekten I. M. Pei. So wie der englischsprachige Al-Jazeera-Sender suggeriert es Weltoffenheit und Moderne, kombiniert mit Tradition und Gastfreundlichkeit. Dinge, die man in Katar absolut finden kann, auch wenn die Scheicha nun nicht mehr im Amt ist und offiziell ihr Sohn Tamin bin Hamad das Land regiert.
Qatar Foundation Die aktivistische Scheicha setzt sich mit ihrer QF-Stiftung, der «Qatar Foundation for Education, Science and Community Development», weiter für einen Wandel Katars zu einer Wissensgesellschaft ein, die internationalen Universitäten im Land florieren weiter, viele von ihr ins Leben gerufene Institutionen (wie beispielsweise ein eigenes klassisch-westliches Symphonieorchester) existieren ebenfalls weiter. Im Land selbst leben viele westliche Ausländer, die vom Wirtschaftsboom der letzten Jahrzehnte angelockt wurden und ihrerseits einen offeneren Lebensstil mitbringen. Es werden allerorts Kooperationen mit internationalen Institutionen gepflegt, sei es auf akademischer Ebene oder in den Medien (die BBC hatte sogar ein eigenes Talk-Format, das zwischen 2005 und 2012 aus Doha übertragen wurde).
Es bleibt abzuwarten, ob sich die Modernisierer letztlich durchsetzen werden. Und ob das im Geheimen durchaus florierende LGBTIQ-Leben im Land irgendwann offen und sichtbar stattfinden kann, ohne als «Perversion» und «Gefahr für die Kinder» angesehen zu werden.
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