Jason Collins – der erste schwule aktive Mannschaftssportler der USA

«Ich redete mir ein, der Himmel sei rot, dabei wusste ich immer, dass er blau ist.»

«Die Loyalität gegenüber meiner Mannschaft ist der wirkliche Grund, weshalb ich mich nicht früher geoutet habe.» (Bild: AP Photo, Michael Dwyer)
«Die Loyalität gegenüber meiner Mannschaft ist der wirkliche Grund, weshalb ich mich nicht früher geoutet habe.» (Bild: AP Photo, Michael Dwyer)

Ich bin ein 34-jähriger Center-Spieler der NBA. Ich bin schwarz. Und ich bin schwul.

Text: Jason Collins

Ich habe es mir nicht zum Ziel gemacht, zum ersten offen schwulen Sportler in einem führenden amerikanischen Mannschaftssport zu werden. Da ich es aber bin, freut es mich, das Gespräch zu eröffnen. Ich wünschte mir, dass nicht ich das Kind im Klassenzimmer sein müsste, das die Hand hochstreckt und sagt: «Ich bin anders.» Wenn es nach mir ginge, hätte das jemand anderes schon gemacht. Niemand hat es getan, deswegen strecke ich jetzt meine Hand hoch.

Meine Reise der Selbstentdeckung und -anerkennung begann in meiner Heimatstadt Los Angeles und führte mich durch zwei Highschool-Meisterschaften, die NCAA-Endrunde und «Elite Eight» sowie neun Playoffs in zwölf NBA-Saisons.

Ich habe in sechs professionellen Mannschaften gespielt und in zwei NBA-Finalen mitgewirkt. Hast du schon mal von dem Spiel gehört «Wer kennt Jason Collins»? Wenn jemand in der Liga noch nicht mein Mitspieler war, so hat er bestimmt mit einem Mitspieler meines Mitspielers gespielt. Oder mit dem Mitspieler eines Mitspielers meines Mitspielers.

Jason Collins auf dem Cover der Juni-Ausgabe 2013. (Bild: Mannschaft Magazin/AP Photo/Michael Dwyer)
Jason Collins auf dem Cover der Juni-Ausgabe 2013. (Bild: Mannschaft Magazin/AP Photo/Michael Dwyer)

Jetzt bin ich ein Free Agent (ein NBA-Profispieler, der ohne Einwilligung des alten Vereins zu einem anderen wechseln kann, Anm. d. Red.), im buchstäblichen wie im übertragenen Sinne. Ich habe diesen beneidenswerten Punkt im Leben erreicht, an dem ich mehr oder weniger das tun und lassen kann, was ich will. Und was ich will ist weiterhin Basketball spielen. Ich liebe den Sport nach wie vor und habe immer noch etwas zu bieten. Meine Trainer und Mitspieler wissen das. Gleichzeitig will ich aufrichtig, glaubwürdig und ehrlich sein.

Wieso oute ich mich jetzt? Also: Ich habe 2011 erstmals darüber nachgedacht, als der gesamte Trainings- und Spielbetrieb aufgrund von Uneinigkeiten zwischen Spielergewerkschaften und der NBA, dem sogenannten Spieler-Lockout, eingestellt werden musste. Ich bin ein Gewohnheitstier. Sobald die reguläre Saison beendet ist, konzentriere ich mich darauf, für das kommende Jahr spielbereit zu sein. Aber der Lockout unterbrach meine Gewohnheiten und zwang mich dazu, mich mit mir selbst auseinanderzusetzen und mit dem, was ich wirklich will. Ich trainierte trotz der Verzögerung des Saisonstarts, aber mir fehlte die Ablenkung, die mir Basketball immer gegeben hatte.

Meine Tante Teri, eine Richterin am Superior Court in San Francisco, war die erste Verwandte, bei der ich mich outete. Ihre Reaktion überraschte mich: «Dass du schwul bist, weiss ich schon seit Jahren.» Von diesem Augenblick fühlte ich mich wohl in meiner Haut. Bei ihr konnte ich meine innere Zensur zum ersten Mal ignorieren. Sie gab mir Unterstützung. Die Erleichterung, die ich spürte, war eine Befreiung. Stell dir vor du wirst im Ofen gebacken. Einige von uns sind sich über ihrer Sexualität im Klaren und akzeptieren sie automatisch. Andere brauchen mehr Zeit, bis sie soweit sind. Da kann ich mitreden. Ich war 33 Jahre lang im Ofen.

Als ich jünger war, habe ich mich mit Frauen verabredet. Ich war sogar verlobt. Ich dachte, ich müsse mein Leben auf eine bestimmte Art und Weise leben. Ich dachte, ich müsse eine Frau heiraten und mit ihr Kinder grossziehen. Ich redete mir ein, der Himmel sei rot, dabei wusste ich immer, dass er blau ist.

Endgültig bewusst, dass ich an die Öffentlichkeit treten musste, wurde mir, als mein ehemaliger Mitbewohner an der Stanford Universität Joe Kennedy, heute Kongressabgeordneter in Massachusetts, mir erzählte, dass er bei der Gay Pride Parade 2012 in Boston mitgelaufen sei. Ich bin nur selten auf andere eifersüchtig, aber als ich das hörte, wurde ich grün vor Neid. Ich war stolz auf seine Teilnahme am Umzug, aber wütend, dass ich als ungeouteter schwuler Mann nicht einmal meinen heterosexuellen Freund von den Zuschauerreihen aus anfeuern konnte. Wäre ich gefragt worden, was ich da mache, hätte ich Halbwahrheiten präsentieren müssen. Was für eine Schande, auf einer Feier des schwulen Stolzes lügen zu müssen. Ich will das Richtige tun und mich nicht mehr verstecken. Ich will mitmarschieren für Toleranz, Akzeptanz und Verständnis. Ich will Farbe bekennen und sagen «Ich auch.»

*** Die jüngsten Anschläge auf den Boston-Marathon haben mir vor Augen geführt, dass ich für mein Coming-out nicht auf perfekte Umstände warten sollte. Dinge können sich von einem Augenblick zum anderen ändern. Wieso dann sein Leben nicht gleich wahrhaftig leben? Als ich Joe vor einigen Wochen erzählte, dass ich schwul bin, war er dankbar, dass ich mich ihm anvertraut hatte. Er fragte mich, ob ich mich ihm dieses Jahr anschliessen will. Am 8. Juni werden wir gemeinsam marschieren.

Jason Collins spielte bereits in sechs Vereinen der NBA. (Bild: Keith Allison,CC BY-SA 2.0)
Jason Collins spielte bereits in sechs Vereinen der NBA. (Bild: Keith Allison,CC BY-SA 2.0)

Niemand will in Furcht leben. Ich hatte immer Angst davor, etwas Falsches zu sagen. Ich schlafe nicht gut, ich habe noch nie gut geschlafen. Aber jedes Mal, wenn ich es einer anderen Person erzähle, fühle ich mich stärker und schlafe etwas besser. Es kostet ungeheuer viel Energie, ein so grosses Geheimnis zu hüten. Ich habe jahrelang gelitten und mich enorm angestrengt, eine Lüge zu leben. Ich war überzeugt, dass meine Welt auseinander-fallen würde, wenn jemand davon erfährt. Und doch habe ich mich zum ersten Mal «ganz» gefühlt, als ich zu meiner Sexualität stehen konnte. Ich hatte immer noch denselben Sinn für Humor, die gleichen Angewohnheiten, und meine Freunde halten mir immer noch den Rücken frei.

Ob du es glaubst oder nicht, meine Familie hat schon grössere Schocks überstanden. Es mag heute seltsam klingen, aber meine Eltern haben 1978 nur ein Kind erwartet: mich. Als ich herauskam, gratulierten die Ärzte meiner Mutter zu ihrem 3,2 kg schweren Sohn. «Wartet!» sagte eine Krankenschwester. «Hier kommt noch eins!» Das andere Baby, das acht Minuten später kam und drei Unzen schwerer war, war Jarron. Seither ist er mir immer gefolgt, nach Stanford und in die NBA, und als ein-bisschen-älterer Bruder habe ich immer zu ihm geschaut.

Ich hatte eine glückliche Kindheit in einem Vorort von Los Angeles. Meine Eltern brachten uns Geschichte, Kunst und, vor allem, Motown nahe. Jarron und ich durften keinen Rap hören, bis wir 12 waren. Nach unserem Geburtstag flitzte ich in den Plattenladen und kaufte DJ Quiks Album Quik Is The Name. Ich lernte jede Zeile auswendig. Zu dieser Zeit bemerkte ich leichte Unterschiede zwischen Jarron und mir. Unsere Zwillingsbruderschaft war nicht mehr synchron. Mit seiner Hingezogenheit zu Mädchen konnte ich nichts anfangen.

Ich empfinde es als Segen, dass ich meine Veranlagung erkannte. Obwohl ich mein Verlangen in der High School unterdrückt habe, wusste ich, dass ich mich an jemanden wenden konnte, sobald ich dazu bereit war: meinen Onkel Mark in New York. Ich wusste, wir konnten uns unvoreingenommen unterhalten. Und das taten wir letzten Sommer. Onkel Mark ist schwul. Er und sein Partner sind schon ewig in einer festen Beziehung. Für einen verwirrten Jungen kann ich mir kein besseres Vorbild vorstellen, wenn es um Liebe und Mitgefühl geht.

Ich habe mich erst letztes Jahr bei meinem Bruder geoutet. Seine Reaktion auf mein Frühstücksgeständnis war komplett anders als die von Tante Teri. Er war total verblüfft. Das hätte er nie gedacht. So viel zu Telepathie zwischen Zwillingen. Doch bis zum Abendessen an jenem Tag hat die geschwisterliche Liebe Überhand gewonnen. Zum ersten Mal in unserem Leben wollte er vortreten und mich beschützen.

Meine Grossmutter mütterlicherseits ist besorgt über mein Coming-out. Sie wuchs im ländlichen Louisiana auf und hat die Gemeinheiten der Rassentrennung miterlebt. Während der Bürgerrechtsbewegung hat sie gesehen, wie inmitten der hässlichsten Seiten der Menschheit Heldentaten vollbracht wurden. Sie fürchtet, dass ich Hass und Vorurteile auf mich ziehe. Ich habe ihr erklärt, dass mein Coming-out präventiv sei. Ich will mein Leben nicht von der Angst bestimmt lassen, geoutet zu werden. Es soll meine Mitteilung sein und nicht die eines Boulevardblatts.

*** Das Härteste für mich ist, dass von diesem Schritt meine gesamte Familie betroffen ist. Aber meine Angehörigen haben mir immer wieder gesagt, dass sie für mich da sind, Hauptsache ich bin glücklich. Seit dem College sehe ich wie mein Bruder und unsere Freunde Familien gründen. Windeln wechseln ist eine Menge Arbeit, aber Kinder bringen so viel Freude! Ich bin total begeistert von meinen Nichten und Neffen, und ich kann es kaum erwarten, selber eine Familie zu gründen.

Ich stamme aus einer Familie, die zusammenhält. Meine Eltern gaben mir christliche Werte weiter. Sie unterrichteten in der Sonntagsschule und ich half gerne mit. Ich nehme die Lehren von Jesus ernst, vor allem diejenigen, die sich um Toleranz und Verständnis drehen. Auf Familienausflügen legten meine Eltern Wert darauf, uns neue Dinge zu vermitteln, kulturell wie auch religiös. In Utah besuchten wir den Salt-Lake-Temple der Mormonen. In Atlanta das Haus von Martin Luther King Junior. Diese frühe Auseinandersetzung mit Andersartigkeit hat mich zum Menschen gemacht, der andere bedingungslos akzeptiert.

Jason Collins, damals bei den Atlanta Hawks, und Sasha Pavlović, Stürmer bei den Boston Celtics, während dem zweiten Spiel der NBA-Playoffs 2012. (Joshua Kelly, Wikimedia Commons)
Jason Collins, damals bei den Atlanta Hawks, und Sasha Pavlović, Stürmer bei den Boston Celtics, während dem zweiten Spiel der NBA-Playoffs 2012. (Joshua Kelly, Wikimedia Commons)

Ich lerne, das Rätsel «Ich» zu akzeptieren. Als ich im Februar von den Celtics zu Washington transferiert worden war, habe ich einen Umweg gemacht, um das Dr.-King-Denkmal zu besuchen. Es hat mich inspiriert und bescheiden gemacht. Ich bin sehr bewusst Afroamerikaner, inklusive der harten Umstände der Vergangenheit, die bis heute spürbar sind. Aber ich lasse mich nicht durch meine Rasse definieren, genauso wenig wie ich will, dass meine sexuelle Orientierung das tut. Ich möchte nicht abgestempelt werden und ich lasse es nicht zu, dass ich aufgrund der Eigenschaften anderer schubladisiert werde.

Auf dem Spielfeld akzeptiere ich die Label, die man mir gibt, leichter. Man hat mich «der Profi der Profis» genannt – aufgrund meiner Furchtlosigkeit und meines Einsatzes für meine Mitspieler. Ich greife an und ich foule, Letzteres ist meine Stärke. In der Saison 2004/05 habe ich die Rangliste der Fouls mit 322 geführt. Wenn ich das Spielfeld betrete, weiss ich, dass ich sechs harte Fouls vergeben kann. Mit meinem 213 cm grossen und 115 kg schweren Körper gehe ich auf Spieler wie Jason Kidd, John Wall und Paul Pierce los. Ich opfere mich für andere Spieler. Ich schaue nach meiner Mannschaft wie nach meinem kleinen Bruder.

Ich habe vor keinem Gegner Angst. Ich liebe es, gegen die Besten zu spielen. Auch wenn Shaquille O’Neal in der Hall Of Fame vertreten ist, habe ich mich nie davor gescheut, ihm gehörig auf den Wecker zu gehen. (Bemerkung an Shaq: Meine Schwalben haben nichts mit meiner Homosexualität zu tun.) Mein Mundschutz ist drin, meine Handgelenke getaped. Mach schon, geh auf mich los! Ich werde wieder aufstehen. Ich gebe es nicht gerne zu, und ich bin nicht stolz darauf, aber ich habe einmal einen Spieler so hart gefoult, dass er auf der Bahre hinausgetragen werden musste.

Die Loyalität gegenüber meiner Mannschaft ist der wirkliche Grund, weshalb ich mich nicht früher geoutet habe.

Ich entspreche nicht dem schwulen Klischee. Deswegen werden viele meiner Mitspieler wohl schockiert sein: Dieser Typ ist schwul? Ich war schon immer ein aggressiver Spieler, schon in der High School. Bin ich so offensiv um zu beweisen, dass man als Schwuler nicht weich sein muss? Wer weiss? Die Psychologen sollen das deuten. Meine Motivation wie auch mein Beitrag tauchen nicht in den Boxscores auf und offen gesagt sind mir Statistiken egal. Gewinnen zählt. Ich will als Teamplayer geschätzt werden.

Die Loyalität gegenüber meiner Mannschaft ist der wirkliche Grund, weshalb ich mich nicht früher geoutet habe. Als ich letzten Juli den Free-Agent-Vertrag mit Boston unterzeichnet habe, habe ich mich dafür entschieden, mich den Celtics zu verpflichten und nicht mein Privatleben zur Ablenkung werden zu lassen. Als ich zu den Wizards transferiert wurde, wurde mir die politische Bedeutung eines Coming-outs bewusst. Ich war bereit, mich gegenüber der Presse zu öffnen, aber ich musste mich bis zum Ende der Saison gedulden.

Ein Freund aus Studienzeiten wollte mich überreden, mich dann und dort zu outen. Aber ich war noch nicht so weit. Meine kleine Geste der Solidarität war, die Trikotnummer 98 bei den Celtics und später bei den Wizards zu tragen. Die Zahl hat für die Gay Community eine grosse Bedeutung. Einer der gewalttätigsten Übergriffe gegen Schwule fand 1998 statt. Matthew Shepard, ein Student an der Universität Wyoming, wurde entführt, gefoltert und an einen Drahtzaun gefesselt. Er starb fünf Tage nachdem man ihn gefunden hatte. Im selben Jahr wurde das Trevor-Projekt gegründet. Diese bewundernswerte Organisation bietet Kindern, die Probleme mit ihrer sexuellen Identität haben, Krisenintervention und Suizidprävention an. Und glaub mir, ich kenne dieses Gefühl. Ich habe mich an einer ganz wirren Logik abgekämpft. Wenn ich mein Trikot anzog, war das ein Statement, gegenüber mir, meiner Familie sowie meinen Freunden.

Mein Doppelleben hat verhindert, dass ich enge Freundschaften zu meinen Mitspielern aufbauen konnte.

Im März war die Belastung, meine sexuelle Ausrichtung zu verbergen, fast nicht mehr auszuhalten. Der amerikanische oberste Gerichtshof prüfte die Argumente für und gegen die sogenannte Homoehe. Neun Richter diskutierten weniger als drei Meilen von meiner Wohnung entfernt über mein Glück und über meine Zukunft. Das war meine Chance, gehört zu werden, und ich konnte nichts sagen. Ich wollte keine Fragen beantworten und keine Aufmerksamkeit auf mich ziehen. Nicht solange ich noch am Spielen war.

Ich bin froh, dass ich mich 2013 oute und nicht 2003. Das Klima hat sich verändert, die öffentliche Meinung auch. Und doch haben wir noch einen weiten Weg vor uns. Das Unbekannte macht wohl immer Angst, aber kaum jemand will in eine Zeit zurückkehren, in der Minderheiten offen diskriminiert wurden. Ich bin beeindruckt von den heterosexuellen Sportlern, die den Mund aufgemacht haben: Chris Kluwe, Brendon Ayanbadejo. Je mehr Menschen Stellung beziehen – ob schwul oder hetero – desto besser. Es begann mit Präsident Obama, der in der Rede zu seiner zweiten Amtseinführung den Stonewall-Aufstand von 1969 würdigte, der die Schwulenbewegung in Gang setzte. Und es geht weiter mit Primarschullehrern, die ihre Schülerinnen und Schüler dazu auffordern, das, was sie voneinander unterscheidet, wertzuschätzen.

*** Mein Doppelleben hat verhindert, dass ich enge Freundschaften zu meinen Mitspielern aufbauen konnte. Am Anfang meiner Karriere habe ich mir Mühe gegeben, mich heteromässig zu verhalten, aber je wohler ich mich in meiner Heteromaske fühlte, desto weniger Anstrengung kostete es. In letzter Zeit gab es kaum noch Unterschiede zwischen «Maske an» und «Maske ab». Ich meinerseits stöbere nicht gerne im Privatleben anderer herum und ich hoffe, meine Trainer und meine Mitspieler zollen mir denselben Respekt. Wenn ich mit meiner Mannschaft bin, geht es mir darum, hart zu trainieren und Spiele zu gewinnen. Ein guter Teamkollege unterstützt dich, komme, was wolle.

Ich wurde gefragt, wie andere Spieler auf mein Coming-out reagieren werden. Die Antwort ist: Ich habe keine Ahnung. Ich bin Pragmatiker. Ich hoffe auf das Beste und rechne mit dem Schlimmsten. Die grösste Sorge scheint zu sein, dass sich schwule Spieler in der Umkleide unprofessionell verhalten. Glaub mir, ich habe in meinen 12 Saisons viel geduscht. Mein Verhalten in der Dusche war nie ein Problem und wird auch nie eins sein. Mein Benehmen wird sich nicht verändern. Ich halte mich an das Motto «Was in der Umkleide passiert, bleibt in der Umkleide». Diskretion ist mein oberstes Gebot.

Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich bei niemandem in der NBA geoutet. Ich weiss nicht, was andere Spieler über mich sagen werden. Vielleicht wird sich Mike Miller, mein alter Teamkollege aus Memphis, daran erinnern, wie ich bei ihm in Florida vorbeischaute, und sagen: «Es war schön, sein Teamkollege zu sein, und ich habe ihm meinen Hund verkauft.» Ich hoffe, Spieler erzählen sich solche Geschichten. Vielleicht werden Sie über meinen Charakter sprechen, wie ich als Person so bin.

Was die Reaktion der Fans angeht: Es ist mir egal, was sie mir auf dem Platz zurufen. Ich bin schon ausgebuht worden. Es gab Zeiten, da hätte ich mich am liebsten selber ausgebuht. Oftmals kann eine schlechte Stimmung durchs Gewinnen wieder wettgemacht werden.

Ich bin ein Veteran und verdiene es, gehört zu werden. Ich werde mit gutem Beispiel voran gehen und zeigen, dass schwule Spieler nicht anders sind als heterosexuelle. Ich bin nicht die lauteste Person im Raum, werde aber den Mund aufmachen, wenn etwas nicht stimmt. Und dabei jeden zum Lachen bringen.

Ich habe nie das Rampenlicht gesucht. Auch wenn ich mich vor der Welt oute, will ich meine Privatspähre wahren. Ich mache dieses Statement, um mir Gerüchte und Missverständnisse vom Leib zu halten. Hoffentlich werden mich die Fans dafür respektieren, dass ich mich zu Wort gemeldet habe. Und hoffentlich werden sich die Teamkollegen daran erinnern, dass ich nie ein provokativer Mensch gewesen bin. Ich bin Single. Das ist alles, was gesagt werden muss. Ich sehe keinen Grund, in irgendwelche Details zu gehen.

Schau dir an, was im Militär passiert ist, als die Regel «Frag nicht und sag nichts» («Don’t Ask Don’t Tell» DADT) aufgehoben wurde. Kritiker waren sich sicher, dass geoutete Soldaten sich schädlich auf die Moral der Truppe auswirken und die Zivilisation dem Untergang weihen würden. Doch eine aktuelle wissenschaftliche Studie über alle militärischen Verbände ausser der Küstenwache kommt zu dem Schluss, dass «der Zusammenhalt unter der neuen Richtlinie der Offenheit nicht gelitten hat. Im Gegenteil. Es scheint, dass mehr Offenheit und Ehrlichkeit nach der Aufhebung von DADT zu mehr Verständnis, Respekt und Akzeptanz geführt hat.»

Das Gleiche gilt für den Sport. Doc Rivers, mein Trainer bei den Celtics, sagt: «Willst du etwas schnell erreichen, mach es selbst. Willst du es weit bringen, mach es in einer Gruppe.» Ich will, dass Leute sich zusammenschliessen und Dinge bewegen.

Ich habe mehr Lebensqualität, seit ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden geoutet habe.

Offenheit wird Vorurteile nicht ausrotten können, aber es ist ein guter Anfang. Letzlich läuft alles auf Erziehung und Aufklärung hinaus. Ich setze mich mit jedem Spieler zusammen, der ein Problem mit meinem Coming-out hat. Schwulsein ist keine Entscheidung. Es ist ein schwerer Weg, den man gehen muss, und manchmal auch ein einsamer Weg. Ehemalige Spieler wie Tim Hardaway, der gesagt hat «Ich hasse Schwule» (und dann zu einem Verteidiger der Rechte von Schwulen und Lesben wurde), schüren Homophobie. Tim ist erwachsen. Er hat ein Recht auf seine Meinung. Gott segne Amerika. Aber wenn ich auf einen intoleranten Spieler treffe, werde ich ihn besonders hart blocken. Und dann weiterspielen.

Das Beste, was du tun kannst, ist für deine Überzeugungen einzustehen. Ich habe mehr Lebensqualität, seit ich mich bei meiner Familie und meinen Freunden geoutet habe. Aufrichtig und ehrlich zu sein macht mich glücklich.

Ich bin froh, dass ich mich nicht mehr verstecken muss und mich jetzt auf meine 13. Saison in der NBA konzentrieren kann. Mit Shadow, meinem deutschen Schäferhund, den ich von Mike Miller bekommen habe, bin ich in einer 14 kg schweren Weste durch die Santa-Monica-Berge gejoggt. Als Profi muss man immer härter arbeiten, um in Form zu bleiben, je älter man wird. In der nächsten Saison werden vermutlich mehr Augen auf mich gerichtet sein. Eine Grund mehr für mich, hart zu trainieren.

Viele Menschen behaupten, noch nie einem schwulen oder lesbischen Menschen begegnet zu sein. Aber wenn man sich das Spiel «Wer kenn Jason Collins» anschaut, kann das kein NBA-Spieler mehr behaupten. Der Profi-Basketball ist wie eine Familie. Und in fast jeder Familie, die ich kenne, hat es einen Bruder oder eine Schwester oder einen Cousin oder eine Cousine, der schwul oder die lesbisch ist. In der Bruderschaft der NBA bin es halt ich, der geoutet ist.

Die englische Erstfassung dieses Artikels erschien am 6. Mai 2013 unter dem Titel «Der schwule Athlet» von Jason Collins und Franz Lidz. Übersetzt von Christian Weller und Greg Zwygart. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung von Sports Illustrated, © Time Inc.

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