«Als schwuler Mann aufzuwachsen, war schrecklich»

Der schwule Schauspieler Sir Ian McKellen wird im Mai 80

Ian McKellen (Foto: Promo)
Ian McKellen (Foto: Promo)

Ian McKellen («Der Herr der Ringe») wird am 25. Mai 80 Jahre alt. Für ihn kein Grund, sich zur Ruhe zu setzen. Noch bis Mitte September läuft seine mehrmonatige Theater-Tournee, bei der auch Fans auf die Bühne einladen werden. «Ich feiere meinen 80. Geburtstag, indem ich mit einer neuen Soloshow durch Theater toure, die ich gut kenne, und andere, die ich nicht so gut kenne», so McKellen auf seiner Webseite.

Auf der Leinwand war er Gandalf, Magneto und Richard III. Im realen Leben wurde er von der britischen Königin zum Ritter geschlagen und kämpft seit Jahren an vorderster Front für die Rechte von Schwulen und Lesben. Nach Deutschland kommt er mit seiner Theater-Tour leider nicht. Aber anlässlich seines bevorstehenden grossen Geburtstag bringen wir erstmals und ungekürzt das Interview online, das er MANNSCHAFT 2016 gewährte. Das Gespräch führte Thomas Abeltshauser.

Sir McKellen, wie finden Sie das Älterwerden? Ich geniesse es sehr. Ich war noch nie so glücklich wie heute. Als junger Mensch war ich ziemlich schüchtern. Ich entdeckte die Schauspielerei und fühlte mich mehr unter Selbstkontrolle. Es machte mir Freude und ich wusste, was ich tat. Das gelang mir im wahren Leben damals keineswegs. Als schwuler Mann aufzuwachsen, ohne es jemandem sagen zu können, weil man als kriminell galt, weil es gegen das Gesetz war zu lieben, war schrecklich. Und das Schauspiel wurde zum Ort, an dem ich das Leben in vollen Zügen geniessen konnte, weil es nicht die reale Welt war. Erst heute habe ich das Selbstvertrauen und fühle, dass ich mein Leben selbst­bestimmt führen kann. Dieses Gefühl hatte ich damals überhaupt nicht.

Wann änderte sich das? Als ich als Schauspieler erfolgreich wurde. Plötzlich konnte ich mich als etwas definieren, ich existierte. Und viel später, als ich dann mein Coming-out hatte, meine Stimme fand und mich traute, auch öffentlich über wichtige Dinge zu sprechen, wurde ich erst ein ganzer Mensch. Früher machte ich mir die ganze Zeit Gedanken, was andere von mir halten. Warum ich anders bin. Heute kümmert mich das nicht mehr. Im Gegenteil: ich bin stolz darauf!

Welchen Rat würden Sie heute Ihrem zwanzigjährigen Ich geben? Verbieg dich nicht wie ein Grashalm im Wind. Steh zu dir und den Menschen in deinem Leben. Aber das ist eine Fantasiefrage! Fakt ist, dass ich als Zwanzigjähriger niemanden hatte, der mir einen Rat hätte geben können. Es gab kein einziges Buch über das, was ich war. Kein Mensch, mit dem ich mich identifizieren konnte. Weder in der Zeitung noch im Kino, im Theater noch sonst wo. Totales Schweigen. Ich fühlte mich völlig verlassen. Ich war ein Ausgegrenzter, nicht Teil der Menschheit. Ich war offensichtlich nicht richtig im Kopf, ganz bestimmt ein Sünder und verdammt dazu, mich ein Leben lang zu verstecken. Sonst landete man im Knast oder wird heute, wie im Irak und anderen Staaten, öffentlich hingerichtet.

Dann anders: Was war der beste Rat, den Ihnen jemand gegeben hat? Das sind viel eher Menschen, die mir durch ihr Leben und ihr Verhalten zum Vorbild wurden, als Dinge, die mir gesagt wurden. Wir Menschen sind Schauspieler, wir schlüpfen dauernd in Rollen, das unterscheidet uns von Tieren. Wir tragen Masken und verkleiden uns, sobald wir in die Öffentlichkeit treten. Wir überlegen uns, was wir darstellen wollen. Tiere sind einfach. Schauspielerei zum Beruf zu haben, bedeutet also lediglich, sich dessen eher bewusst zu sein als die meisten anderen.

In welchen Momenten haben Sie das Gefühl, ganz Sie selbst sein zu können? Was heisst das denn? Wir sind alle ganz viele unterschiedliche Dinge. Je nachdem, in welcher Situation ich gerade bin, präsentiere ich eine andere Seite von mir. Ich gebe mich mit Ihnen anders als mit einem alten Freund. Jeder von uns tut das. Wir passen uns an. Aber wir sind trotzdem immer wir selbst.

Sie hatten Ihr Coming-out mit 49 Jahren. Empfinden Sie heute eine gewisse Verantwortung als offen schwuler Prominenter, über ihr Schwulsein zu sprechen? Ich für mich spüre schon eine Verantwortung und Vorbildfunktion für jüngere Generationen, aber das muss jeder selbst entscheiden. Nicht jeder spricht gerne über sein Privat­leben und das ist auch in Ordnung so. Und die Zeiten haben sich zum Glück geändert: Heute haben Jugendliche eine ganze Bandbreite an Rollenmodellen, Filmstars, Popstars und sogar Sportler. Ich gehe regelmässig in Schulen und erzähle, wie es ist, wenn man schwul ist.

Ian McKellen auf dem Cover der MANNSCHAFT
Ian McKellen auf dem Cover der MANNSCHAFT

Gibt es einen Ort, an dem Sie entspannen können? Zum Glück kommt mir mein Beruf nicht so vor, als ob ich entspannen müsste. Es ist, was ich sowieso gerne mache. Leute beobachten und versuchen, sie und damit auch mich selbst zu verstehen. Teil eines Ganzen zu sein. Das ist keine Anstrengung. Ich bin mit mir im Reinen. Ich kann mir kaum etwas Schlimmeres vorstellen, als tagelang an einem Strand zu rösten. Schrecklich! Ich liebe Menschen und Städte und Trubel. Für viele meiner Freunde in der Branche ist der Beruf nicht die Priorität im Leben, ihnen sind ihre Familien und Kinder wichtiger. Ich habe das nicht, das war nie eine Option.

Bereuen Sie das? Ich bin froh, dass mir das vorenthalten war. Natürlich gibt es keine grössere Aufgabe, als Kinder aufzuziehen. Und es ist schwer zu verkraften, dass Kinder das nicht erkennen. Aber wenn sie sich einigermassen okay entwickeln, ist das schon mehr als genug. Mir war es nicht erlaubt, ein Vater zu sein. Und das empfand ich als erleichternd. Aber ich bereue, dass ich manchmal zu eigenbrötlerisch war und Situationen vermieden habe, in denen ich eine Hilfe oder ein Einfluss hätte sein können. Aber das habe ich nicht als meine Aufgabe angesehen. Ich war Diener grösserer Geister, ich verkörperte, was andere geschrieben haben.

Das Dasein als Single erleichtert ja auch die beruflichen Freiheiten, oder? Das ist aber sicher nicht der Grund. Natürlich würde ich auch gerne mit jemandem Bett und Tisch teilen. Und dann aber auch wieder nicht. Ich hatte ja mehrere längere Beziehungen, aber ich habe, fürchte ich, Privatleben und Beruf nie gut unter einen Hut gebracht. Für mich kam die Arbeit immer an erster Stelle. Damit habe ich auch die eine oder andere Partnerschaft ruiniert. Jetzt lebe ich alleine, aber ich bin nicht einsam. Ich habe viele gute Freunde, von denen die meisten auch Singles sind.

Was lernen Sie von Rollen wie Gandalf, Macbeth oder Sherlock Holmes? Wenn man Macbeth spielt, wird man nicht plötzlich zum Mörder. Und wenn man in einer Komödie mitwirkt, wird das eigene Leben dadurch nicht zwangsläufig lustiger. Aber mein letzer Film «Mr. Holmes» hat tatsächlich etwas in mir ausgelöst: In dem Film geht es um das Zurückschauen, die Erinnerungen des Lebens und wie man selbst im hohen Altern aus frühen Fehlern noch lernen kann. Und da beschloss ich bei den Dreharbeiten, meine Memoiren zu schreiben. Und ich bekam eine hübsche Summe als Vorschuss. Aber ich musste es wieder absagen.

Schade, Sie hätten sicher viel zu erzählen. Warum haben Sie abgesagt? Ich kann es nicht, will nicht, muss auch gar nicht. Ich habe mich zu sehr aufgeregt. Zum einen konnte ich mich nicht mehr genau erinnern, ich führe auch kein Tagebuch, und wenn ich mich mit Leuten unterhalten die bei bestimmten Ereignissen dabeiwaren, stelle ich fest, dass meine Erinnerungen daran fehlerhaft sind. Und vieles davon ist auch unangenehm, zum Beispiel das harte Leben meiner Eltern, mit denen ich nie darüber gesprochen habe. Meine Mutter starb, als ich zwölf Jahre alt war. Und lange Zeit empfand ich das wie eine Abweisung, was es natürlich nicht war. Und mir wurde klar, dass mein Dasein auf dieser Erde schon zum grössten Teil vorbei ist und ich viel besser daran tue, die noch verbleibende Zeit zu geniessen. Warum sollte ich da neun Monate lang in die Vergangenheit eintauchen? Ich vergesse lieber und flattere wie ein Schmetterling durch das Hier und Jetzt.

Das sind die drei besten Filme mit Ian McKellen (gemäss positiven Bewertungen auf RottenTomatoes.com)

1: Richard III., 1995 Eine modernisierte Version von Shakespeares Tragödie mit demselben Namen. Im England der 1930-Jahre endet ein schrecklicher Bürgerkrieg. Die drei Kinder von König Edward IV. sollen die Thronfolge sichern. Sein machthungriger Bruder Richard – hervorragend gespielt von McKellen – will die Krone jedoch an sich reissen. Ein packender, blutrünstiger Thriller.

2: Gods and Monsters, 1998 Die schwule Perle unter McKellens Filmen. Das Drama basiert auf dem Leben von James Whale, Regisseur der Frankenstein-Filme. Aufgrund seiner Homosexualität von der Gesellschaft gemieden, lebt er in abgeschiedener Einsamkeit, die er mit Malen verbringt. Er beginnt, seinen eigenen Tod zu planen, bis ein junger, gutaussehender Gärtner seine Pläne durcheinanderbringt.

3: Scandal, 1989 Der britische Film zeigt eine fiktionalisierte Version der Profumo-Affäre, die 1963 ganz Europa schockierte. Eine junge Prostituierte findet Zuschlupf bei einem Arzt, der sie an einflussreiche Männer in ganz England vermittelt. Nachdem sie sowohl mit dem Kriegsminister John Profumo (McKellen) – als auch mit einem sowjetischen Attaché verkehrt, braut sich ein politischer Skandal zusammen.

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