Gletscher statt Grindr – Abschalten in Island
Daan und Karl unterwegs in einem der LGBTIQ-freundlichsten Länder der Welt
Polarlichter, schwarze Strände, Jahrtausende alte Gletscher und Vulkane. Auf die abenteuerlustigen Frischluftfanatiker Daan und Karl wartete auf der grössten Vulkaninsel der Welt ein wahres Naturparadies. In der WLAN-losen Abgeschiedenheit haben sie ihr persönliches Rezept für das Glücklichsein gefunden.
Beim Anflug auf Reykjavik ist es plötzlich da, ganz ohne Vorwarnung: Dieses magisch grüne Leuchten über dem tiefschwarzen Atlantik. Minutenlang können wir die Polarlichter wie wehende Vorhänge aus dem Flugzeugfenster beobachten. Es ist fast so, als würde uns Island auf ganz persönliche Weise willkommen heissen. Endlich ist die Zeit gekommen, sich vom Stress zu verabschieden und auf Urlaubsmodus umzuschalten. Aber das ist einfacher gesagt als getan.
Im Penismuseum verewigt Die ersten Tage verbringen wir in der Hauptstadt. Händchen haltend schlendern wir durch die Strassen, machen vor den bunten Häusern das eine oder andere Kussselfie und posieren auf der Regenbogenstrasse, die man eigens für die Pride bemalt hatte und noch eine Weile stehen liess.
Auf unserer Liste für Reykjavik stehen unter anderem das Konzerthaus Harpa, die ikonische Hallgrímskirkja-Kathedrale und natürlich das Phallusmuseum – bekannt auch als Penismuseum. In dieser exotischen Ausstellung werden aktuell über 280 Penisexemplare aus 93 verschiedenen Ländern ausgestellt, und die Sammlung wächst stetig weiter. Besonders denkwürdig: Die Penisabdrücke des isländischen Handballteams 2008 und die riesigen Fortpflanzungsorgane der Wale.
Zum ersten Mal können wir auf dieser Reise loslassen und einfach nur den Moment geniessen
Island gilt als eines der LGBTIQ-freundlichsten Länder. Im ILGA-Ranking der europäischen Staaten liegt der Inselstaat hinter Deutschland, aber noch vor der Schweiz. Während 1940 vielerorts der Zweite Weltkrieg tobte, entkriminalisierte Island die Homosexualität. Mit Jóhanna Sigurðardóttir regierte von 2009 bis 2013 eine offen lesbische Premierministerin das Land und seine 350 000 Einwohner*innen.
Ehe wurde schon 2010 geöffnet Die Gayszene scheint ein akzeptierter und integrierter Teil der Gesellschaft geworden zu sein. Unser Tourguide Hannes meint, «dass sexuelle Identitäten und Geschlechteridentitäten als Teil der isländischen Gesellschaft akzeptiert sind». Dabei ist er sichtlich stolz auf sein Land, das bereits 2010 die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete.
Von Hannes erfahren wir auch, dass der Besuch einer öffentlichen Badeanstalt zu einem Islandurlaub einfach dazugehört. Nach einem erlebnisreichen Tag so hoch oben im Norden Europas ist ein heisser Pool auch genau das Richtige, um zu entspannen. Hier lernen wir Baldur kennen, der zusammen mit seinem Ehemann in Reykjavik lebt.
«Alle Isländer werden im heissen Wasser äusserst gesprächsfreudig. Für mich gibt es keinen besseren Platz, um schwule Männer kennen zu lernen», lacht er und küsst seinen Ehemann liebevoll auf die Wange.
Abends wagen wir uns in eines der wenigen schwulen Etablissements in Reykjavik, die Kiki-Bar, in der das Publikum kaum unterschiedlicher sein könnte. Bis unter die Decke ist die mehrstöckige Bar mit tanzenden Frauen, bärtigen Männern und queeren Menschen gefüllt. Nach ein oder zwei Bier und ein paar Tanzeinlagen hätte unser Aufenthalt in der Hauptstadt wirklich nicht besser enden können. Eins ist sicher, Isländer feiern da, wo die Party gut ist. Egal, ob gay oder nicht.
Mit Allradantrieb auf Abenteuertour Dann startet unser eigentliches Abenteuer: Telefon aus, WLAN ade! Mit einem Grosseinkauf beladen machen wir uns mit unserem vollgetankten Jeep inklusive Allradantrieb auf den Weg, um den sogenannten Golden Circle zu erkunden – so wird die meistbesuchte Reiseroute des Landes bezeichnet, die zu allen Sehenswürdigkeiten führt.
Unser erstes Ziel ist der Nationalpark Thingvellir, der sich an einer historisch und geologisch wichtigen Stelle in Island befindet. Hier, wo die amerikanische und eurasische Platte auseinanderdriften, spazieren wir durch schroffe Gesteinsformationen und -spalten mit einem atemberaubenden Blick über den See Þingvallavatn. Wir bestaunen den mächtigen Wasserfall Gullfoss, der über verschiedene Stufen ein imposantes Tal formt.
Am Abend erreichen wir – müde und erschöpft, aber glücklich – das Heisswassertal Haukadalur. In Sichtweite zu einer Vielzahl von aktiven Geysiren errichten wir im Halbdunkeln unser Lager. Wir sitzen dick eingepackt Arm in Arm vor unserem Zelt, als plötzlich der gesamte Himmel in grünen, roten und violetten Polarlichtern erstrahlt. Zum ersten Mal können wir auf dieser Reise loslassen und einfach nur den Moment geniessen.
Weinen vor Glück Stundenlang fahren wir die Küste entlang vorbei an erstarrten Lavafeldern, saftig grünen Pferdekoppeln samt Islandpferden und tosenden Wasserfällen. Dabei lauschen wir isländischer Musik, die den perfekten Soundtrack zur Weite und Abgeschiedenheit liefert. Und plötzlich, ganz einfach so, beginnen wir zu weinen, vor Glück, vor Freude, vor Erschöpfung oder einfach nur, weil wir so überwältigt sind von der Schönheit der Natur die wir gemeinsam erleben dürfen.
Malta: Das stolze LGBTIQ-Paradies im Mittelmeer
So viel Staunen macht müde. Als wir uns zwischendurch im Auto kurz mal ausruhen wollen, schlafen wir tatsächlich ein. Leider haben wir dadurch den Bus für die bereits über Wochen im Voraus ausgebuchte Gletscherwanderung im Nationalpark Skaftafell verpasst. Dummerweise ist es uns auch nicht gelungen, den Eingang zur Reise zum Mittelpunkt der Erde am berühmten Jules-Vernes-Vulkan Snæfellnsnes zu finden. Wenigstens gibt das uns ein bisschen mehr Zeit, den Skaftafell-Nationalpark zu erkunden. Und auf einen Gletscher schaffen wir es auch noch.
Während unserer Reise Anfang September bekommen wir alle Facetten der isländischen Natur zu spüren. Als ein Sturmtief über die Insel hinwegfegt, müssen wir mitten in der Nacht unsere Zelte abbrechen und uns Hals über Kopf in unseren Jeep retten. In Erinnerung bleiben uns aber vor allem die vielen schönen Eindrücke. Die zauberhaft natürliche Musik der tropfenden Stalaktiten in der Eishöhle und das Bellen der Seehunde auf den Eisbergen im Gletschersee sind unser Lieblingssoundtrack. Und wir stellen fest, dass die intensiven und bewussten Momente ganz ohne Handy und Internet einfach die allerschönsten sind.
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