«Manchmal wünschte ich mir, in die heteronormative Welt reinzupassen»
Felix Jaehn spricht offen über seine Bisexualität, sein DJ-Leben und neue Projekte
Der DJ und Produzent Felix Jaehn sprach 2018 erstmals öffentlich über seine Bisexualität (MANNSCHAFT berichtete). Davor hatte er Angst, abgelehnt zu werden. Heute ist er dankbar für seine Zweifel und glücklich out. Wir sprachen mit ihm über Fussball, über bisexuelle Sichtbarkeit und den Wunsch, dazuzugehören.
Felix, wie war dein Jahr aus DJ-Sicht? Ich hatte fünf oder sechs Shows im ganzen Jahr, also sehr, sehr wenig. Das war echt ungewohnt. Andererseits konnte ich die Zeit nutzen fürs neue Album, ich war viel im Studio. Ich habe Sachen gemacht, die sonst eher auf der Strecke bleiben. Ich hatte auch viel Zeit fürs Privatleben, was ein netter Nebeneffekt war.
Kriegt man beim Auflegen eigentlich noch Telefonnummern zugesteckt? (Lacht.) Tatsächlich kriege ich meist bei Instagram Zuschriften, aber es kommt auch immer mal wieder vor, dass mir jemand eine Nummer zusteckt.
Machen das denn eher Frauen oder Männer? Ich würde sagen, es hält sich die Waage, auch bei Instagram. Spätestens seit ich mich 2018 als bisexuell geoutet habe (MANNSCHAFT berichtete), ist der Männeranteil deutlich hochgegangen. Vorher waren es deutlich mehr Frauen und sehr wenige Männer, die mal so ins Blaue hinein ihr Glück versucht habe.
Es ist aber vergebene Liebesmühe, du bist ja in festen Händen. Naja, ich bin wieder Single. Ich bin sozusagen wieder auf dem Markt (grinst).
Das tut mir leid. Du wirkst aber nicht mega betrübt. Ich habe einfach gelernt, mit allen Situationen klarzukommen. Ich habe mich viel mit meinem Geist beschäftigt, über Meditation und Therapie, um mir die Glückseligkeit zu bewahren.
Ein schönes Wort! (Lacht.) Glück ist ja immer ein kurzweiliger Moment, aber Glückseligkeit ist so ein allgemeiner Zustand von Zufriedenheit mit sich selbst und dem Leben, und dann kann man innerhalb dieser Glückseligkeit auch immer wieder traurig sein und einen schlechten Tag haben, aber diesen Grundspirit der Positivität versuche ich mir immer zu bewahren.
Das hört man ja auch deiner Musik an. Ist das tatsächlich auch etwas, das du anderen vermitteln und weitergeben möchtest, Optimismus und Zuversicht? Schon, ja. Ich habe mich auch gerade die letzten Monate durch die Covidkrise daran zurückerinnert, was ich eigentlich für Impulse setzen möchte in der Gesellschaft über meine Präsenz als Künstler. Da draussen sind schon so viel Negativität, so viele schwere Themen. Als DJ und Entertainer will ich Leute glücklich machen. Ich will, dass sie feiern und eine gute Zeit haben, da muss ich nicht auch mit schwerer Musik obendrauf kommen. Ich erfahre die Kraft der Musik immer wieder auch selber und wie man darüber seinen eigenen Gemütszustand beeinflussen kann.
«Als DJ und Entertainer will ich Leute glücklich machen.»
Es gibt aber auch den anderen Felix Jaehn. Du hast offen über Phasen von Einsamkeit und über Panikattacken in der Vergangenheit gesprochen. Ich verbreite zwar lieber Freude und Positivität, habe aber in den letzten Jahren auch Singles rausgebracht wie «Sicko» zum Beispiel oder «Love on myself», die ein bisschen melancholischer waren, etwas trauriger. Im Endeffekt eine Folge der Zeit, als es mir nicht so gut ging. Als ich ein bisschen abgedriftet bin in die Tiefen, dann wollte ich halt auch das authentisch rauskehren und in meiner Musik bearbeiten. Ich hatte in diesen Situationen nicht das Gefühl, ich kann jetzt einfach einen Gute-Laune-Song für die nächste Sommerparty machen.
Dein Song «No therapy» ist eine Absage an die Homoheiler dieser Welt (MANNSCHAFT berichtete). Manchmal hatte ich schon die Hoffnung, diese Schwere loszuwerden, die man ja zu Anfang irgendwie spürt. Ich hatte als Jugendlicher echt schwer zu kämpfen, weil ich halt auch lange bei meinen Freund*innen und meiner Familie nicht geoutet war. Ich habe es für mich alleine ausgemacht und eigentlich ist kein Tag vergangen, an dem ich nicht darüber gegrübelt habe oder versucht, eine Lösung zu finden. Natürlich hätte ich mir auch manchmal einfach gewünscht, dass ich in die heteronormative Welt ganz «normal» reinpasse wie alle anderen um mich herum auch, um einfach nicht dieses Thema zu haben. Rückblickend bin ich aber total dankbar dafür, weil ich dadurch, dass ich so früh mich mit mir selbst auseinandergesetzt habe, ein viel reflektierterer Mensch geworden bin, was mir heute in meinem Leben einfach extrem viel hilft. Weil ich nicht einfach so glatt durchgerutscht bin, sondern etwas hatte, mit dem ich arbeiten durfte. Im Endeffekt konnte ich das ja zum Glück alles annehmen und lieben lernen und kommunizieren und auch mit dem Umfeld in meinem Leben in Einklang bringen. Infolgedessen fühle ich mich jetzt viel gefestigter als Person.
Passiert dir auch, was andere Bisexuelle berichten: Man unterstellt dir, du wüsstest nur nicht, was du willst? Es gibt Menschen, die glauben, es sei eine klare Sache, dass man sich zu einem Geschlecht bekenne, aber bei mir ist es halt nicht so. Ich dachte früher auch immer, es gibt nur diese zwei Optionen. Und genau dieses Dazwischenstehen hat es mir lange schwer gemacht, weil ich mich halt nicht so richtig bekennen konnte. Ich wollte wirklich gerne mit meiner Familie reden und sagen: Ich bin schwul! Aber dann hab ich gemerkt, ich stehe gerade auch wieder auf eine Frau, dann bin ich also doch nicht schwul. Also sagte ich lieber erstmal nichts. Ich dachte: Ich werde ihnen das dann mitteilen, wenn ich es genau weiss. Bis ich es dann irgendwann akzeptiert habe: Es ist okay, wie es ist, und es hat gar nichts damit zu tun, dass ich mich nicht entscheiden möchte. Ich bin ein Mensch, der Lust hat auf eine langfristige feste Beziehung, und das kann ich mir sowohl mit einem Mann als auch mit einer Frau vorstellen.
Jedes Jahr am 23. September wird der «Bi Visibility Day» begangen (MANNSCHAFT berichtete). Bedeutet dir dieser Tag etwas? Ich verfolge das nicht intensiv. Der Tag geht an mir vorbei, wahrscheinlich auch, weil für mich einfach nicht mehr die Notwendigkeit besteht, Halt zu suchen in so einem Tag. Für mich war es wichtig, mich einmal öffentlich zu outen. Ich wollte, dass das in meinen Worten passiert, und nicht, dass da irgendwelche komischen News rauskommen, die ich nicht kontrollieren kann (MANNSCHAFT berichtete).
Es lässt sich vielleicht schwer messen, aber hast du durch dein Coming-out Follower*innen verloren? Doch, ein paar Tausend habe ich verloren, als die News rauskamen, aber dafür sind dann auch ein paar Tausend mehr dazugekommen. Das ist ja klar, dass einfach immer noch viele Menschen in Europa und auf der Welt damit ein Problem haben. Dann ist es auch im Zweifel verständlich, dass sie mich entfolgen, weil sie einfach mit dem Thema nicht in Kontakt kommen wollen. Und da wird jede einzelne Person, die geht, ihren eigenen persönlichen Grund haben, meistens eigene Unsicherheit oder Ängste.
Es gibt ja immerhin jetzt auch im Deutschen Bundestag mit Ricarda Lang eine offen bisexuelle Abgeordnete (MANNSCHAFT berichtete). Das hatten wir in Deutschland bisher noch nicht. Es tut sich was, auf jeden Fall. Ich kann immer nur aus meiner Erfahrung sprechen, und ich bewege mich vielleicht in einer privilegierten Blase, aber ich hatte echt wenig bis nie mit Anfeindungen zu tun und habe ganz viel Support erhalten. Darum habe ich das Gefühl, dass wir auf einem echt guten Weg sind.
Ich bin ein Mensch, der Lust hat auf eine langfristige feste Beziehung, und das kann ich mir sowohl mit einem Mann als auch mit einer Frau vorstellen.
Du hast 2016 mit Herbert Grönemeyer den EM-Song «Jeder für Jeden» gemacht. Interessierst du dich auch privat für Fussball? Da war mal ein riesengrosses Interesse, jetzt bin ich ein bisschen raus. Das hat sich auch durch das Touren ergeben, dass ich die Wochenenden immer unterwegs bin und gespielt habe, dann habe ich das nicht mehr verfolgt. Aber als Kind und Jugendlicher hab ich immer auch in einer Mannschaft Fussball gespielt. Wir waren mit der Familie fast bei jedem Heimspiel des HSV im Stadion in Hamburg. Ich hab mich dann sehr gefreut über die Anfrage zur EM. So konnte ich auch viele von den Fussballprofis kennenlernen. Die kamen ins Studio, und wir haben über Musik und alles mögliche gequatscht.
Du hast vor zwei Jahren «Ausländer» von Rammstein geremixt, mit Grönemeyer und Mark Forster Musik gemacht. Gibt es noch jemanden, mit dem du gerne mal arbeiten würdest? Auf jeden Fall mit Troye Sivan (MANNSCHAFT berichtete). Nicht nur remixen, sondern darüber hinaus einen Song gemeinsam machen. Ich habe schon mal die Fühler ausgestreckt, aber es muss halt bei beiden in den Plan passen, man braucht den richtigen Song und den richtigen Moment. Aber das wäre auf jeden Fall total schön, weil er für mich auch immer ein Vorbild war und ich ihn einfach toll finde auf allen Ebenen.
Kürzlich erschienen: «Breathe» von Felix Jaehn (Universal)
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