Ungarn muss trans Mann Geschlechtsanpassung ermöglichen
Der Iraner erhält 6500 Euro Entschädigung, entschied das EGMR
Ungarn hat nach Ansicht des Europäischen Menschenrechtsgerichts (EGMR) gegen die Grundrechte eines aus dem Iran stammenden Transmannes verstossen, der seine Geschlechtszugehörigkeit offiziell ändern wollte.
Ungarn habe den Vorgang wegen einer nicht vorhandenen ungarischen Geburtsurkunde verweigert, das verletzte das Recht auf Privat- und Familienleben des Mannes – so der EGMR mit Sitz im französischen Strassburg am Donnerstag. Der ungarische Staat muss dem Mann nun 6500 Euro Entschädigung zahlen und dessen Gerichtskosten übernehmen. Die Entscheidung ist endgültig.
Der Mann war EGMR-Unterlagen zufolge 1987 im Iran geboren worden. 2015 hatte er in Ungarn Asyl beantragt und dieses auch zugesprochen bekommen, da ihm wegen der Transsexualität im Iran Verfolgung drohte. 2016 beantragte er eine Änderung des Geschlechts und des Namens bei der ungarischen Einwanderungsbehörde, da seine iranischen Dokumente ihn weiterhin als weiblich identifizierten.
Das Amt teilte laut Gerichtsunterlagen jedoch mit, dass die Geschlechtszugehörigkeit nur vom Standesamt geändert werden könne. Das Standesamt jedoch lehnte den Antrag ab, da der Mann nicht in Ungarn geboren wurde.
«Dem Verfall europäischer Grundwerte in Ungarn nicht tatenlos zusehen!»
Er ging gegen die Entscheidung gerichtlich vor. Jedoch fehle in Ungarn eine gesetzliche Regelung für den Fall, dass ein nicht ungarischer Staatsbürger dort Namen und Geschlechtszugehörigkeit ändern möchte, erklärte der EGMR. Das ungarische Verfassungsgericht habe eine entsprechende Gesetzgebung angeschoben. Die Änderung sei bisher aber noch nicht durchgeführt.
Viele LGBTIQ-Organisationen begrüssen das Urteil – so die Prozessbevollmächtigte von ILGA-Europe, Arpi Avetisyan. «Dies ist ein wichtiges und symbolisches Urteil. Zum ersten Mal bestätigt der Gerichtshof das Recht auf legale Anerkennung von Flüchtlingen aufgrund des Geschlechts und nimmt das Recht auf Menschenwürde zur Kenntnis. Dies wird vom ungarischen Verfassungsgericht unterstrichen. Bezeichnenderweise bekräftigt es auch die Verpflichtung der Staaten, Verfahren einzurichten, die die Anerkennung der Geschlechtsidentität und der Namensänderung für Transsexuelle im Allgemeinen ermöglichen. Wir fordern die ungarische Regierung auf, das Urteil rasch umzusetzen und notwendige Änderungen vorzunehmen.»
Trans Charakter in Kinderserie von trans Mädchen gespielt
Jonas Hamm von Transgender Europe (TGEU) fügte hinzu: «Dieses Urteil sendet eine starke Botschaft an eine der am stärksten marginalisierten Gruppen innerhalb der europäischen trans Gemeinschaft, aber auch an europäische Interessengruppen. Es bestätigt, dass Trans-Rechte tatsächlich Menschenrechte sind und Trans-Flüchtlinge unter den europäischen Schutz geniessen Menschenrechtskonvention wie alle anderen auch. In Zeiten wie diesen ist dies ein starkes Signal der Hoffnung für unsere am stärksten gefährdeten Mitglieder.»
«Dieses Urteil ist für die europäische Trans-Community zeitgemäss und bestätigt, was der Gerichtshof zuvor klargestellt hat: Die rechtliche Anerkennung des Geschlechts muss in Staaten möglich sein», sagte Barnabás Hidasi, Präsident von Transvanilla. «23 weitere Antragsteller haben 2017 und 2019 mit Hilfe von Transvanilla Verfahren gegen Ungarn eingeleitet. Dies sind alles ungarische Staatsbürger, deren Fälle von den Behörden verzögert oder nicht bearbeitet wurden. Wir vertrauen darauf, dass die ungarische Regierung gemäss der heutigen Entscheidung erneut ein Anerkennungsverfahren einführen wird.»
Die LGBTIQ-Community in Ungarn ist immer wieder Repressionen ausgesetzt. Im Mai war trans und inter Menschen die rechtliche Anerkennung gestrichen worden: Es ist in dem EU-Mitgliedsstaat unmöglich, das eigene Geschlecht anzupassen (MANNSCHAFT berichtete).
EU-Geld nur noch bei Rechtsstaatlichkeit? In den kommenden Tagen verhandeln die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union über Hunderte Milliarden Euro. Es geht u. a. um den geplanten Aufbauplan nach der Corona-Pandemie und den künftigen EU-Haushaltsrahmen. Erstmals könnte ein Instrument Teil des Haushalts werden, das die Auszahlung von EU-Gelder vom Zustand des Rechtsstaats in den Empfängerländern abhängt. Hintergrund: Länder wie Polen und Ungarn kassieren zwar EU-Subventionen in Milliardenhöhe, doch dabei entfernen sie sich nach Ansicht von Kritiker*innen immer weiter von den gemeinsamen Werten.
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