Die Ehe ist ein Appenzeller Käse
Die Gäste im Ring: Dominique Rinderknecht, die ehemalige Miss Schweiz und ihre Lebenspartnerin Model Tamy Glauser, der Grossrat Ruedi Löffel, die Familienbeauftragen der erzkonservativen Stiftung «Zukunft CH» Regula Lehmann, und GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy.
Das Sendungssetting hielt, was es leider versprach: eine Diskussion über Moral und religiöse Grundwerte. So, als würden Menschen, die noch an eine Erde als Scheibenform glauben (hier Löffel & Lehmann) den Wissenschaftler*innen (hier vertreten durch die vielen LGBT und Bertschy) ihre persönliche Ansichten überstülpen wollen. Nationalrätin Bertschy versuchte hartnäckig, die Diskussion auf die wahre Sachebene zu bringen. Die Ehe wird für alle durch die Bundesverfassung gestützt und vor Gesetz sind alle gleich. Wer sich mit der Materie auskennt weiss schnell, dass es rechtlich keine grosse Hürde würde, die Ehe zu öffnen. Doch die Gegner*innen sprachen lieber von persönlich schlechten Gefühlen und von vergangenen Realitäten.
Konservative wie Löffel und Lehmann und ihre Freunde bei der SVP und EDU verteidigen «ihre» Ehe als letzte grosse Bastion im Kampf gegen den Fortschritt und die heutige Lebenswelten. Auf die Fragen, weshalb genau eine Diskriminierung von LGBT zu begründen sei oder wann sie sich persönlich entschieden hätten, heterosexuell zu werden, antworteten sie nicht. Stattdessen verglich Lehmann die traditionelle Ehe lieber mit einem Appenzeller Käse – der, mit der geheimen Rezeptur. Doch dabei ist Ehe nicht okkult. Sie ist ein sehr nüchternes Regelwerk, wie der Staat seine Bürger*innen in dieser Sache abstützt. Es sind stets die Gegner*innen der «Ehe für alle», die dieses zivile Regelwerk bis ins Lächerliche moralisieren und auf ein Gefühlspodest stellen, in der Hoffnung, dadurch in eine bessere Verhandlungsposition zu gelangen. Und sich damit auch in der Sendung immer wieder selber wiedersprechen. Grundsätzlich wollte sich nämlich von den Gegner*innen niemand abfällig zur Beziehungsqualität von Schwulen und Lesben äussern, Löffel fand sogar, dass Lesben und Schwule durchaus gute Mütter oder Väter sein können – aber eben, normal oder natürlich sind LGBT eben trotzdem nicht.
Diese Natürlichkeit. Immer wieder wird damit argumentiert, dass die Ehe für Homos nicht der Natur entspräche. Die Historikkenntnis der Gegner*innen enttäuscht. Der Mensch kommt nicht mit einem Ehebedürfnis auf die Welt. Die Ehe gehört durchaus schon lange zur Menschheit. Bereits in den zwei ältesten belegten Gesetzestexten, dem Codex Ur-Nammu (2100 v. Chr.) und dem Codex Hammurapi (18. Jahrhundert v. Chr.), sind gesetzliche Regelungen zur Ehe enthalten. Doch keiner der Gegner*innen in der Arena lebt ihre Ehen wie im Mittelalter. Für die römisch-katholischen Kirche ist die gültig geschlossene Ehe unauflöslich. Offenkundig entwickelt sich die Gesellschaft. Die sehr hohe Scheidungsrate trägt ihr eigenes bei. Und auf der Welt lebt die Ehe ein vielfältiges Leben: Promiskuität, Gruppenehe, Vielehe. Die Welt ist bunt, Gesetze passen sich an. Etwas, vor dem sich Eheöffnungs-Gegner*innen immerfort fürchten.
So war Löffel’s Lieblingsargument das der «biologischen Grenzen» – Schwule und Lesben können gemäss ihm keine Kinder bekommen. Leider denkt der EVP-Mann nicht zu Ende. Ein schwuler Mann kann durchaus Kinder zeugen, eine lesbische Frau kann schwanger werden. Homosexuelle sind nicht von Natur aus unfruchtbar oder zeugungsunfähig. Die Natur stattet also auch Schwule und Lesben mit den Mitteln zur Zeugung eines Kindes aus. Auch viele Millionen Jahre Evolution lässt Homosexuelle mit Spermien und Gebärmutter zur Welt kommen.
Und so tummelt sich die Diskussion im Feld Halbwissen und vielen Vorurteilen. Lehmann denkt, man suche sich den «homosexuellen Lebensstil» aus, die tragische Lisa Leisi von der EDU fürchtet sich sogar, dass Schwule und Lesben nach der Eheöffnung als nächstes gleich das Schutzalter für Kinder herabsetzen wollen. Ob sich Leisi wohl auch gegen das Schutzalter von 12 Jahren im Vatikan (bis 2013) so engagiert hat? Es ist zu bezweifeln. Und dann war noch dieser Rentner, der eine kurze Rede ans «Schweizer Volk» hielt und vor den Gefahren warnte. Die Stimmung nach seinem kurzen Auftritt war, wie die Reaktion im Studio: amüsiert ratlos.
Nicht ratlos waren hingegen die Befürworter*innen in der Sendung. Das Lesbenpärchen Dominique Rinderknecht und Tamy Glauser waren sympathisch und offenherzig. Ob sie mit ihrer direkten und quirligen Art das eher biedere SRF-Publikum abgeholt haben, darf bezweifelt werden. Aber es war positiv, wie lesbischen Frauen im Schweizer Fernsehen so viel Sendezeit geschenkt wurde und ihre Liebe und ihre Anliegen so unkompliziert vorgetragen haben. Rinderknecht stellte zudem mehrmals die genau richtigen Fragen und brachte die Gegner*innen in kurze Gedankenpausen. GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy war wie immer hochprofessionell und mit ihren sachlichen Argumenten wohltuend. Moderator Jonas Projer zeigte einen ausgewogenen und fundierten Auftritt.
Am Ende gelang ein runder Abschluss der Arena dann aber leider nicht. Das Thema Leihmutterschaft wurde angeschnitten. Die Thematik für eine kurze Runde in der Arena ist zu komplex, zu aufgeladen und am Ende auch zu wenig relevant. Denn nur ein kleiner Teil der LGBT-Gemeinschaft nutzt Leihmutterschaft. Sie ist in erster Linie weiterhin ein Mittel von heterosexuellen Pärchen mit Kinderwunsch. Das sympathische Männerpaar konnte zwar Zweifel entkräften, war am Ende aber halt doch zu befangen, um der Thematik objektiv gerecht zu werden.
Gefehlt hat es in der Arena zudem leider auch an Familien. Eltern oder Geschwister von Schwulen und Lesben, Regenbogenkinder im erwachsenen Alter, die von ihren Erfahrungen von gleichgeschlechtlichen Eltern berichten konnten. Wenn Befürworter von LGBT-Anliegen praktisch ausschliesslich selber homosexuell sind, fehlt es an Support der heterosexuellen Verbündeten. Hier dürfte die Arena-Redaktion zukünftig noch feiner Gäste auswählen.
Am tiefsten unter die Gürtellinie schoss am Ende dann ein Schwyzer-Grossrat der SVP. Die Büchse der Pandora werde nun geöffnet, wie er befürchtet. Die Büchse der Pandora enthielt, wie die griechische Mythologie überliefert, alle der Menschheit bis dahin unbekannten Übel wie Arbeit, Krankheit und Tod. So sieht ein gewählter Volksvertreter als die zivile Ehe für Schwule und Lesben. Fernab von rechtlicher Sachlichkeit oder gebotenen Respekt.
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass die Gegner*innen für das Märchenschloss ihrer ganz persönlichen Ehe kämpfen und dabei nie die Erfahrung machen mussten, dass ihre gewählte Ehe nie beurteilt, kritisiert oder sogar verboten wurde oder könnte. Sie kämpfen, getrieben von Ängsten, ohne selber die Erfahrung gemach zu haben, wie vielfältig das Leben sein kann. Sie kämpfen gesteuert von diffusen Ängsten. Es bleibt zu hoffen, dass im öffentlichen Diskurs alle die Gegner*innen noch mehr erklären müssen, weshalb sie den Schwulen und Lesben ihr ziviles Eheglück verweigern wollen. Und sie eingestehen müssen, dass es am Schluss eben nur ein persönliche Angst vor Schwulen und Lesben ist. Homophobie eben. Es wird ihnen nicht gelingen, damit das Schweizer Volk zu überzeugen. Und deshalb wird die «Ehe für alle» auch kommen.
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