«Der ESC ist eine Veranstaltung für Reiche geworden»
Zwei treue Fans des Contest berichten
Dewayne aus Berlin und Marcos aus Graz sind Freunde. Die Liebe zum ESC hat sie zusammengeführt. Und beide ächzen unter den hohen Preisen
Seit 2015 fährt Dewayne Barkley regelmässig zu den ESC-Finals. Nur zweimal hat er ausgesetzt: 2019 in Tel Aviv und 2020. Beim zweiten Mal hatte die Corona-Pandemie für eine Absage des Contests in Rotterdam (MANNSCHAFT berichtete) gesorgt. Beim ersten Mal, 2019, fehlte der Wahl-Berliner, der aus Alabama in den USA stammt und bei der Autobahn GmbH des Bundes arbeitet, wegen der Preise.
«Tel Aviv war der Beginn dieser Wahnsinnspreise», sagt er. «Angeblich wegen zusätzlich benötigter Sicherheit in Israel». Doch danach, als der ESC wieder auf europäischem Gebiet stattfand, stellte er fest, dass die Preise so hoch blieben. «Es ist inzwischen eine Elite-Veranstaltung geworden, für die Reichen.»
Preise haben sich verdreifacht Die Shows in Liverpool in diesem Jahr sind die teuersten aller Zeiten, stöhnt er. Für die beiden Halbfinals und das Finale zahlt er insgesamt 960 Pfund, das sind fast 1100 Euro. Zum Vergleich: «Früher haben alle 6 Shows nur maximal 380 Euro gekostet.»
Vorerst fährt er aber weiter hin, weil er es sich noch leisten kann. «Aber ich kenne genug Leute, die nicht mehr hingehen können.» Dafür verzichtet er auf andere Reisen. «Weil es mir wichtig ist, meine ESC-Freunde jedes Jahr bei den Events zu treffen.»
Ein Grossteil der treuen ESC-Fans bei den Veranstaltungen ist schwul; unter den Frauen finden sich nur wenig Lesben. Einer der Freunde, die er beim Contest wiedertrifft, ist Marcos Maximilian Tritremmel. Den hat er erst über Facebook kennengelernt, im Jahr 2014, das erste Mal live gesehen haben sie sich bei einem Event rund um den ESC.
Man hat Freunde von Israel bis Island, von Australien bis Portugal.
Marcos ist von Beruf Standesbeamter und arbeitet nebenher als Berater in der Aids-Hilfe Steiermark. Ausserdem ist er seit über zehn Jahren Präsident der OGAE Österreichs (die Organisation Générale des Amateurs de l’Eurovision, kurz: der ESC-Fanclubs) und reist seit 2004 zu den Contest. Dem ESC verfallen ist er seit Carolas Sieg für Schweden mit «Fångad av en stormvind». 1991 war das.
Auch er beobachtet die steigenden Preise mit einer gewissen Sorge. Sollte er irgendwann mal 1200 Euro für das Live-Paket zahlen müssen, ist es für ihn vorbei. 2006, als Griechenland Gastgeber war, kostete das Paket für die Shows noch um die 250 EUR. «Solange die Preise gezahlt werden, gehen die Preise rauf», sagt er. «Nachfrage und Preis – ein uraltes Verhältnis!»
Marcos glaubt, in einigen, weniger wirtschaftsstarken Ländern im Osten oder Süden Europas ist es für die Menschen bald nicht mehr zu leisten. «In Österreich ist das weniger ein Thema. Man/ frau leistet es sich.»
Dewayne kennt einige Leute, die auch trotz der enormen Preise zu den Austragungsorten fahren, um wenigstens an den Rand-Veranstaltungen und Partys rund um den ESC teilnehmen zu können. «Aber die Shows müssen sie auslassen.»
Verändertes Ticket-System In den letzten Jahren hat sich am Ticket-System einiges geändert. Früher gab es Einzeltickets. Und wer ein Paket hatte, konnte einzelne Shows an Freunde verschenken. Das geht nicht mehr, denn man muss sich mit seinem Namen registrieren. «In Italien haben sie letztes Jahr Ausweiskontrollen gemacht. Der Name im Pass musste mit dem auf dem Ticket übereinstimmen.»
Selbst die Presse werde immer weiter beschnitten, sagt Dewayne. «Journalist*innen dürfen kaum noch zu Proben, die Kontingente werden immer kleiner.» (MANNSCHAFT berichtete).
Alles um den ESC herum wird unnötig teuer gemacht.
Als wären die Tickets nicht schon teuer genug, kommen noch gepfefferte Preise für die Unterkünfte dazu. Für die Wohnung in Liverpool, die Dewayne und Marco zusammen mit einem Freund für 7 Tage anmieten, zahlen sie 1200 Euro – pro Person. «Alles um den ESC herum wird unnötig teuer gemacht», klagt Dewayne. Immerhin, sie wohnen sehr zentral in der Altstadt, können die Halle und alle Events fussläufig erreichen.
Marcos Lieblings-ESC-Song ist übrigens «Ein Hoch der Liebe» von Wencke Myhre, die 1968 für Deutschland antrat; beim Fanclub der norwegischen Sängerin ist er Vizepräsident. Dewayne nennt Common Linnets als Lieblingsbeitrag beim ESC, «Calm after the Storm». Keiner der Songs hat gewonnen, aber so sind die Geschmäcker eben.
Und wer gewinnt dieses Jahr? Da sind sich die beiden Freunde einig: «An Loreen führt wohl kein Weg vorbei», meint Marcos. Dewayne stimmt ihm zu: «Leider Schweden.» Er selber brennt für die Beiträge aus Italien und Frankreich.
Schwule Expertise für Liverpool: Graham Norton führt durch das ESC-Finale. Der gebürtige Ire ist einer von vier Moderator*innen (MANNSCHAFT berichtete).
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