«Aus meiner Haut» in Venedig ausgezeichnet
Auch Cate Blanchett («Tár») hat einen Preis gewonnen
Der Science-Fiction-Liebesfilm «Aus meiner Haut» gewinnt den Queer Lion, und Cate Blanchett wird mal wieder für eine lesbische Rolle geehrt. Ohnehin: Die wichtigsten Preise gingen beim Filmfest Venedig wieder an Frauen: Laut Jury-Präsidentin Moore der Beleg für einen Wandel.
Von Lisa Forster, dpa
Der Film «Aus meiner Haut» feierte auf der Critics‘ Week in Venedig Weltpremiere und wurde am Freitag mit einem Queer Lion ausgezeichnet. Neben dem Teddy Award der Berlinale ist der Queer Lion, der seit 2007 im Rahmen der Filmfestspiele in Venedig vergeben wird, einer der wichtigsten LGBTQ-Filmpreise. Der Film startet am 26. Januar 2023 in den deutschen Kinos und ist in zwei Wochen bein Zürich Film Festival zu sehen.
«Aus meiner Haut» wurde von Studenten-Oscar-Preisträger Alex Schaad («Invention of Trust») inszeniert. Das Drehbuch zu seinem Langfilmdebüt verfasste er gemeinsam mit seinem Bruder, dem Schauspieler und Autoren Dimitrij Schaad. Der Science-Fiction-Liebesfilm erzählt von einem Paar, das versucht, seine schwierige Beziehung durch das Tauschen in fremde Körper zu retten. Doch dabei verfallen sie stattdessen in alte Muster und distanzieren sich bis zur völligen Entfremdung.
Zum Inhalt: Als Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) auf einer wundersamen Insel ihre Körper mit einem anderen Paar tauschen, droht ihre auf den ersten Blick glückliche Beziehung zu zerbrechen. Denn Leyla hat in Wirklichkeit eine schwierige psychische Phase hinter sich und verspürt in einem fremden Körper zum ersten Mal seit langem wieder Lebensfreude …
Die Preise als beste(r) Schauspieler(in) bekamen mit Cate Blanchett («Tár») als lesbische Chefdirigentin (MANNSCHAFT berichtete) und Colin Farrell («The Banshees of Inisherin») zwei grosse Filmstars.
Zum dritten Mal in Folge ging der Hauptpreis am Samstagabend an eine Filmemacherin – was seit 1949 nur äusserst selten, nämlich insgesamt sieben Mal vorgekommen war: Die US-amerikanische Filmemacherin Laura Poitras hat ein offenes Ohr für abweichende Stimmen. Bekannt wurde sie für einen Dokumentarfilm über den Whistleblower Edward Snowden («Citizenfour»), der einen Oscar gewann. Für ihr neues Werk «All the Beauty and the Bloodshed» hat sie Gespräche mit Nan Goldin geführt, jener Fotografin, deren anarchische Fotos über Aussenseiter in der New Yorker Kunstlandschaft erst für Schrecken, dann für Begeisterung sorgten. Damit hat Poitras mit dem einzigen Dokumentarfilm im Wettbewerb den Goldenen Löwen des Filmfests Venedig gewonnen.
Auch den Grossen Preis der Jury bekam dieses Mal eine Regisseurin. Sind Filmemacherinnen inzwischen also gleichberechtigt? «Sie müssen nur auf die Beweise von heute Abend schauen», sagte Jury-Präsidentin Julianne Moore nach der Preisverleihung. «Da sehen Sie so viele Geschichten aus der Regie von Frauen. Geschichten über Frauen werden zelebriert. Ich denke: Ja – da gibt es definitiv einen Wandel. Ich glaube, da können wir jetzt einen Deckel draufmachen und nach vorne blicken, und nicht immer alles geschlechtsspezifisch deuten. Und einfach erwarten, dass wir alle Möglichkeiten haben sollten, unsere Geschichten zu erzählen.»
Die Entscheidung für «All the Beauty and the Bloodshed» sei eindeutig gewesen, sagte Moore. Jury-Mitglied Isabel Coixet formulierte es so: «Es war der Film, auf den wir gewartet hatten.» Poitras erzählt darin von Goldins Kampf gegen die Familie Sackler, den Eigentümern eines Pharma-Unternehmens, das mit für die Opioid-Krise in den USA verantwortlich gemacht wird. Goldin selbst war zwischenzeitlich nach einem von der Firma vertriebenen Schmerzmittel süchtig.
Drag Queens als Ersatzfamilie Gleichzeitig blickt der Film auf Goldins Leben. Erzählt davon, wie ihre ältere Schwester Suizid beging und Goldin selbst im Alter von 14 Jahren ihr konservatives Elternhaus in Boston verliess. Drag Queens und andere Aussenseiter wurden zu ihrer Ersatzfamilie. «Überleben war eine Kunst», sagt Goldin im Film einmal. «Du konntest dafür verhaftet werden, in Boston über die Strasse zu laufen.»
Poitras hat Goldin für «All the Beauty and the Bloodshed» viele Male interviewt. Goldins Erzählungen führen als Voice-Over durch den Film, dazu werden Videos und Fotos aus dem Leben der 1953 geborenen Künstlerin gezeigt. Goldin thematisiere in ihren Fotos ihre Beziehungen zu ihren Freunden, und das mache ihre Bilder so verführerisch, sagt Poitras im Film.
Sie kämpft gegen Stigmatisierung: Drogensucht, häusliche Gewalt, nicht-heterosexuelle Geschlechtsidentitäten oder Krankheiten
Egal, ob es um ihren Aktivismus, ihre Kunst oder ihr Leben geht: Alles, sagte die Fotografin in Venedig, sei eigentlich einer Sache gewidmet – dem Kampf gegen Stigmatisierung. Seien es Drogensucht, häusliche Gewalt, nicht-heterosexuelle Geschlechtsidentitäten oder Krankheiten. Sie widmet sich Themen, die in der Gesellschaft häufig verschwiegen werden, und packt sie in kunstvoll komponierte und kraftvolle Bilder. Poitras ist es gelungen, über Goldins Leben einen ebenso starken Film zu machen.
Zu den Ausgezeichneten des diesjährigen Festivals zählen ausserdem der italienische Regisseur Luca Guadagnino, der für «Bones and All» den Silbernen Löwen für die beste Regie gewann, und der inhaftierte iranische Filmemacher Jafar Panahi, der für «No Bears» den Spezialpreis der Jury erhielt. Die Auszeichnung für das beste Drehbuch ging auch an «The Banshees of Inisherin» und damit an Martin McDonagh. Was zeichnete diese unterschiedlichen Werke am Ende aus? «Wir haben nach Filmen gesucht, die unsere Herzen haben schneller schlagen lassen», beschrieb es Moore. (mit dpa)
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