Auch nach EU-Gipfel bleibt «Schutz von LGBTIQ-Rechten am Boden»
Die Gewährung von Mitteln soll an die Einhaltung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gebunden werden? Klingt gut, mehr aber auch nicht
Mit einem Haushalts- und Finanzpaket von historischem Umfang nimmt die EU den Kampf gegen die coronabedingte Wirtschaftskrise auf. Die beim EU-Gipfel beschlossene Gewährung von Mitteln soll erstmals an die Einhaltung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gebunden werden. Die Homohasser*innen in Ungarn oder Polen haben wohl nichts befürchten.
Nach einem gut viertägigen Verhandlungsmarathon einigte sich der EU-Gipfel der 27 Mitgliedsstaaten am frühen Dienstagmorgen auf einen Kompromiss im Umfang von 1,8 Billionen Euro. Zahlreiche Staats- und Regierungschefs – voran Bundeskanzlerin Merkel und der französische Präsident Macron – sowie die Spitzen der EU sprachen von einem Erfolg. Die Rechtspopulist*innen in Europa reagierten mit beissender Kritik.
Ungarn muss trans Mann Geschlechtsanpassung ermöglichen
Das Paket umfasst 1074 Milliarden Euro für den siebenjährigen Haushaltsrahmen bis 2027 und 750 Milliarden Euro für ein Konjunktur- und Investitionsprogramm. Zudem fand man eine Formel zur Koppelung von EU-Geldern an die Rechtsstaatlichkeit, die alle 27 Staaten annahmen. Zuvor hatten sich Polen und Ungarn strikt gegen einen solchen Rechtsstaatsmechanismus gewehrt, zumal gegen beide Staaten Verfahren wegen Verletzung von EU-Grundwerten laufen. Der Kompromiss lautet nun: Der Europäische Rat unterstreicht die Bedeutung des Schutzes der finanziellen Interessen der EU und des Respekts der Rechtsstaatlichkeit. Wie das konkret ausgelegt wird, wurde direkt nach dem Gipfel sehr unterschiedlich interpretiert.
Ungarn hat «nationalen Stolz verteidigt» Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán hat die Vereinbarungen des EU-Gipfels als Sieg für die Regierungen in Budapest und Warschau dargestellt. «Ungarn und Polen ist es nicht nur gelungen, sich ernsthafte Geldsummen zu sichern, sondern auch ihren nationalen Stolz zu verteidigen», sagte der rechtsnationale Politiker am Dienstagmorgen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem polnischen Amtskollegen Mateusz Morawiecki in Brüssel.
«Jeder Versuch, der darauf abzielte, zwei wichtige Fragen – die der EU-Gelder und die der Rechtsstaatlichkeit – miteinander zu verbinden, wurde erfolgreich zurückgewiesen», so Orbán weiter.
Man ist schon sehr früh eingeknickt
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley, warf den EU-Staats- und Regierungschefs zu grosse Nachgiebigkeit gegenüber Staaten wie Ungarn und Polen vor. «Ja, man ist eingeknickt und das Schlimme ist, man ist schon sehr früh eingeknickt», sagte die SPD-Politikerin dem TV-Sender Welt.
Von der Leyen und Michel bestritten dagegen, dass eine starke Lösung zugunsten des Kompromisses geopfert worden sei. Mit qualifizierter Mehrheit der EU-Staaten könnten bei Verstössen Massnahmen ergriffen werden, sagte von der Leyen. Rutte, der die Rechtsstaatsklausel zur Bedingung für eine Zustimmung gemacht hatte, betonte, mit der gefundenen Lösung «können die Auszahlungen gestoppt werden“.
Ist das nun eine gute Nachricht für LGBTIQ in Mitgliedstaaten wie Polen, Ungarn oder Rumänien? Das fragten wir den Europastaatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD). Seine Antwort fiel sehr zurückhaltend aus:
«Der Europäische Rat hat nach langen und kontroversen Verhandlungen ein klares Signal für die Stärkung der EU als Werte- und Rechtsgemeinschaft gesendet. Das war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Die Gewährung von EU-Mitteln soll erstmals an die Einhaltung der Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit gebunden werden. Die EU Kommission kann bei systematischer Verletzung Kürzungen vorschlagen. Der Ministerrat der EU muss das dann mit qualifizierter Mehrheit beschliessen.»
Dudas Wiederwahl «kein Freibrief für Diskriminierung von LGBTIQ»
Yannick Shetty von den österreichischen NEOS dagegen übt deutliche Kritik: «Es ist schlimm genug, dass im Jahr 2020 die Notwendigkeit rechtsstaatlicher Grundsätze in EU-Staaten zur Disposition und Diskussion steht. Enttäuschend ist, dass sich die Regierungschefs nicht zu einem klaren Rechtsstaatlichkeitsmechanismus durchringen können. Der Kompromiss ist schwammig und zu offen für Interpretationen.
Die Regierungen in Ungarn und Polen treten unsere gemeinsamen europäischen Werte mit Füssen und schränken die Grund- und Freiheitsrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger massiv ein. Diese Regierungen haben gerade die Corona-Krise genutzt, um demokratische Institutionen weiter einzuschränken und weiter gegen sexuelle Minderheiten vorzugehen. Wir müssen also gerade jetzt besonders wachsam sein. Europa muss hier im Sinne der ungarischen und polnischen Bürger*innen und Bürger eine ganz klare Antwort finden und Förderungen an die Achtung der Grundrechte und Rechtsstaatlichkeit knüpfen.»
Neben Shetty äusserte sich auch LSVD-Bundessprecher Axel Hochrein auf MANNSCHAFT-Anfrage: «Leider hat sich kein*e Regierungschef*in gefunden, die bei der Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie so hart verhandelt hat, wie bei den Fragen des Geldes. Den Sonntagsreden folgt die Dienstags-Ernüchterung», kritisiert Hochrein.
«Gerade mit Blick auf Ungarn und Polen sind wir geradezu entsetzt, welch zahnloser Tiger da als Hüter dieser Prinzipien geschaffen wurde. LGBTIQ-freie Zonen werden ebenso wenig sanktioniert werden, wie sonstige Verstösse gegen demokratische Grundwerte und Menschenrechte. Dazu ist das eingeführte Instrument zu träge, und die damit betrauten Institutionen zu behäbig. Es mag sein, dass dieser Gipfel der Wirtschaft in der EU auf die Beine hilft. Menschenrechts-Verletzungen durch die Autokraten Polens und Ungarns, insbesondere der Schutz von LGBTIQ-Rechten bleiben am Boden liegen.»
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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen weist die Kritik an den Klauseln zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit allerdings zurück. «Wir haben hier ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaat und zum Prinzip, dass die finanziellen Interessen der EU effektiv gewahrt werden müssen», sagte von der Leyen nach dem EU-Sondergipfel zur dpa. Zur Durchsetzung bekomme die EU-Kommission nun die nötigen Instrumente.
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