Arcade Fire und das «We»-Gefühl: Früher war mehr Abba
Kann das neue Studioalbum jene Fans versöhnen, die nach «Everything Now» von der Fahne gegangen waren?
Für manche treue Verehrer muss Kanadas Nummer-Eins-Band Arcade Fire mit dem Album «We» etwas gutmachen. Denn der Vorgänger hatte die Fangemeinde mit Abba-Anklängen gespalten. Bekommen die Hymnenrocker den Spagat zwischen Kreativität und Kommerz diesmal besser hin?
Das erste grössere Lebenszeichen von Arcade Fire nach fast fünf Jahren war vielversprechend: Die Mitte März erschienene Single «The Lightning I, II» klang nicht nur so hymnisch wie zu den besten Zeiten der kanadischen Stadionrocker, der Song wurde auch noch von einem Video voller neu erwachter Kraft begleitet. Am Ende stemmte sich Frontmann Win Butler gegen einen Orkan, die Band zertrümmerte ihre Instrumente. Da suchte sich wohl Pandemie-Frust ein Ventil – vielleicht aber auch der Wille zu Rückbesinnung und Wiedergutmachung.
Kann das neue Studioalbum «We» nun jene Fans versöhnen, die nach «Everything Now» von der Arcade-Fire-Fahne gegangen waren? Denn diese 2017 veröffentlichte Platte hatte mit Abba-Zitaten und Bezügen zum Discopop von Daft Punk die frühe Band-Gefolgschaft – also Verehrer der Indierock-Meisterwerke «Funeral» (2004), «Neon Bible» (2007) und «The Suburbs» (2010) – teilweise arg enttäuscht. Dass «Everything Now» durchaus wieder gesellschaftskritische Themen besetzte und wie die Vorgänger in den USA und Grossbritannien locker Platz 1 der Charts eroberte, ging in dem Gemurre fast unter.
«We», das trotz allem weltweit mit grosser Spannung erwartete sechste Studioalbum der Grammy-Gewinner, zieht sich achtbar aus der Affäre, ohne alle Zweifel am Kurs von Arcade Fire zu beseitigen. Die jüngst vom Gründungsmitglied Will Butler angeblich ohne Streit verlassene Band macht in ihren sieben teils mehrgliedrigen Stücken vieles richtig – beziehungsweise besser als mit den aufdringlichen Kommerzpop-Anleihen vor fünf Jahren. Dennoch: Die Vorab-Single bleibt letztlich der beste Song dieser Platte.
Statt der Einflüsse von Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid aus Schweden hört man nun wieder verstärkt andere, gewohntere Classic-Rock-Vorbilder heraus: Bruce Springsteen («The Lightning I, II»), David Bowie («End Of The Empire I-IV»), Kate Bush («Age Of Anxiety I»), Talking Heads («Age Of Anxiety II»), Peter Gabriel (der in «Unconditional II» sogar höchstpersönlich mitsingt). Etwas 80er-Jahre-Keyboard-Schwulst und Dancefloor-Flirts sind auch dabei, aber durchaus zu verkraften.
Manch schöne Melodie und empathische, auch politisch inspirierte Lyrics haben sich Win Butler und seine Frau Régine Chassagne im Corona-Lockdown für die knapp 40 «We»-Minuten einfallen lassen. Die verkleinerte Band wirkt nach der langen pandemiebedingten Trennung runderneuert. Und dass der langjährige Radiohead-Produzent Nigel Godrich im Studio neben dem Ehepaar Butler/Chassagne die Fäden zog, hat dem Sound sicher nicht geschadet.
Allerdings: Das Gefühl, einer Rock-Sensation beizuwohnen wie in den Anfangsjahren von Arcade Fire, das kreative Chaos des verschworenen Musiker-Haufens aus Montreal, diese ganze wuselige Anarchie werden auf der Platte erneut vermisst. Vielleicht kehrt die unentrinnbare Magie ja demnächst in Live-Auftritten zurück. Aktuelle Konzertvideos, etwa von einem Gig in New Orleans, und der Überraschungsauftritt beim berühmten Coachella-Festival im April lassen es zumindest erahnen.
Der Frontmann gab sich in einem der wenigen Interviews zu «We» jedenfalls zuversichtlich. Seiner Heimatzeitung Montreal Gazette sagte Win Butler: «Ich bin echt stolz, dass wir es immer noch hinkriegen. Und ich bin sehr aufgeregt für die Zukunft.»
Dies sei angesichts der Pandemie nämlich kein Selbstläufer gewesen. «Wir wussten nicht, wann es möglich sein würde, die Band wieder zusammen zu kriegen», sagte der Sänger. «Wir waren sehr inspiriert und fokussiert, aber die Welt, für die wir diese Platte machen wollten, hatte sich doch sehr verändert.» Bei Grillabenden am Lagerfeuer hätten Arcade Fire dann ihre Band-Chemie zurückgewonnen. Das kann man tatsächlich in den neuen Songs spüren – selbst wenn «We» als Ganzes kein neues Karriere-Highlight der Kanadier sein mag.
Mit dem Video zu «We Exist» im Jahr 2014, in dem Andrew Garfield mitspielte, hatte sich die Band klar für LGBTIQ-Rechte positioniert:
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