Nach homophobem Mobbing – der Weg aus der Krise
Das ehemalige Mitglied des Kirchgemeinderates besucht sogar wieder den Gottesdienst
B. (Name ist MANNSCHAFT bekannt) war von Anfang an ein Aussenseiter im Kirchgemeinderat von Melchnau. Allen voran die Präsidentin des Gremiums der kleinen Berner Gemeinde wollte ihn wegen seiner Homosexualität ausschliessen. Nach einem turbulenten Jahr mit viel persönlichem Leid durch Mobbing steht B. nun beruflich vor einem Neuanfang.
Im Dezember 2017 wurde B., der zusammen mit seinem Partner in Gondiswil lebt, einstimmig in den Kirchgemeinderat Melchnau gewählt. Dies wollte Chantal Lanz, damalige Präsidentin des betreffenden Gremiums in der kleinen Gemeinde im Kanton Bern, mit einem Brief verhindern: In einem Schreiben an die damalige Pfarrerin schilderte sie, weshalb B. aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht in den Kirchgemeinderat gehöre.
Evangelische Kirche soll Homosexuellen gegenüber Schuld bekennen
Mitglieder entlastet Den Brief übergab B. dem Regierungsstatthalter, als dieser noch im Jahr 2019 mit der Untersuchung des Mobbing-Falls begann. Er verstand die Wut von B. Als Präsidentin eine solche Position zu vertreten, sei inakzeptabel. «Er sagte mir im Gespräch, dass das etwa so wäre, wie wenn sie sagen würde, dass ein Schwarzer nicht in den Rat dürfe, weil er schwarz sei», erzählt B.
Lanz trat aufgrund des medialen Drucks Mitte September zurück (MANNSCHAFT berichtete). Im Dezember veröffentlichte das Regierungsstatthalteramt Oberaargau seinen Bericht zum Fall (MANNSCHAFT berichtete). Die Verwaltung sei zu keiner Zeit durch Mobbing gestört worden, die Mitglieder wurden entlastet. Gleichzeitig kritisierte der Bericht die homophoben Ansichten der Ex-Präsidentin. Das Schreiben vermittelte den Eindruck, dass nun wieder heile Welt herrscht in der beschaulichen Gemeinde.
Zahlreiche Schicksalsschläge Doch damals war im Leben von B. noch lange nicht alles in Ordnung. Die ganze mediale Aufregung ereignete sich kurz nach dem Tod seines Vaters. An Weihnachten starb dann auch noch seine Mutter. Im Januar erfuhr er, dass er seine Stelle verlieren würde. Er war krankgeschrieben, in einem tiefen Loch. Zumindest konnte er auf die Unterstützung seines Partners zählen. «Das war ganz wichtig», sagt B.
Gerade in dieser Zeit hatte er manchmal Zweifel, ob er alles richtig gemacht hatte. Wäre ein leiser Rückzug ohne Anschuldigungen, ohne schweizweite Berichterstattung nicht besser gewesen für ihn? «Aber unter dem Strich geht es hier um das Prinzip», sagt B.
«Ich habe mich gewehrt, weil ich für die Sache eintreten wollte – heute bereue ich das nicht.» Damit hat B. nicht nur die Präsidentin als homophobe Hetzerin entlarvt, sondern eine landesweite Debatte ausgelöst. Doch ganz ohne Selbstkritik ist B. nicht. Seine Entlassung beispielsweise sei die Folge einer berechtigten Forderung nach einer Lohnerhöhung gewesen. «Ich sollte vielleicht daran arbeiten, auf welche Weise ich mich gegen Ungerechtigkeiten wehre», findet er.
Familie wollte 23-Jährigem Schwulsein in Kirche austreiben
Beruflicher Neuanfang nach Mobbing Mittlerweile konnte B. die zahlreichen negativen Ereignisse der vergangenen 12 Monate verarbeiten und einen Weg aus der Krise finden. Als Betreuer in einem Behindertenheim steht er beruflich vor einem Neuanfang: neue Stelle, mehr Lohn, kürzerer Arbeitsweg, nettere Vorgesetzte. Auch die Gottesdienste der Kirchgemeinde Melchnau besucht er wieder regelmässig.
Seiner psychischen Gesundheit zuliebe wird er nicht mehr im Kirchgemeinderat arbeiten, solange die früheren Kolleg*innen dort noch tätig sind. Die Situation sei zwar mittlerweile besser, eine Versöhnung habe aber nie stattgefunden. So habe er nach dem Tod seines Vaters noch Beileidsbekundungen von ihnen erhalten – nach dem Tod seiner Mutter jedoch nicht.
Weiterhin möchte er sich jedoch bei der LGBT+ Helpline des Vereins «hab queer bern» engagieren. Dort sei er willkommen und sein unentgeltlicher Einsatz werde geschätzt.
Im November 2019 hat sich der Schweizerische Evangelische Kirchenbund für die Öffnung der Ehe ausgesprochen (MANNSCHAFT berichtete). B. ist darüber sehr froh. Offiziell sind Menschen wie er in der reformierten Kirche willkommen – noch scheint dies nicht in allen Kirchgemeinden angekommen zu sein.
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