LGBTIQ-Sozialarbeiter: Straight-acting oder Konfrontation?
Masterstudenten forschten zum Umgang mit der eigenen sexuellen Identität und zur Arbeitsplatzzufriedenheit
Ob die Ehe für alle oder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz – die Akzeptanz nicht-heterosexueller Lebenswelten hat sich positiv entwickelt, die Diskriminierung nimmt ab. Doch die sexuelle und geschlechtliche Identität ist auch in der Sozialen Arbeit weiterhin ein relevantes Thema, nicht nur für die Adressat*innen, sondern auch für die Fachkräfte.
Welche besonderen beruflichen Herausforderungen auf sie zukommen, haben Steffen Baer und Marc Fischer in einem empirischen Projekt am Fachbereich Sozialwesen der FH Münster untersucht. Nun präsentierten die beiden Masterstudenten im Studiengang Soziale Arbeit und Forschung vor Kommiliton*innen, Lehrer*innen und Interessierten ihre Ergebnisse.
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«Authentizität ist eine Kompetenz für professionelles Arbeiten. Wenn sich aber ein Adressat negativ über Schwule äussert, ist es für die Fachkraft, die selbst schwul ist, schwierig diese zu wahren», erklärt Marc Fischer. «Dies kann sich auf die Zusammenarbeit auswirken.» Bei offen gelebter Homosexualität könne es passieren, dass die Kooperation verweigert werde. Dies sei insbesondere in Zwangskontexten wie im Bereich der Kindeswohlgefährdung schwierig.
«Insbesondere die Position der Kirche gegenüber der Homosexualität, als einer der grössten Arbeitgeber Sozialer Arbeit, spielt hierbei eine wichtige Rolle», ergänzt Steffen Baer. «Ein Coming-out kann eine Anstellung verhindern oder zur Kündigung führen.» (In der Schweiz wurde kürzlich ein schwules Mitglied aus dem Kirchenrat gemobbt – MANNSCHAFT berichtete).
Fachkräfte verstellen sich Um diesen Herausforderungen – dem speziellen Umgang mit der Klientel, der ablehnenden Haltung des Arbeitgebers und dem persönlichen Eigenschutz – gewappnet zu sein entwickeln nicht-heterosexuelle Fachkräfte Handlungsstrategien. Vier kristallisierten sich in den Interviews heraus, die Baer und Fischer mit elf lesbischen, schwulen und bisexuellen Sozialarbeiter*innen geführt haben.
Mit dem «Straight-acting» verstellen sich Fachkräfte, indem sie stereotypische Verhaltensweisen unterlassen, um vermeintlich als heterosexuell wahrgenommen zu werden. Bei der «Vermeidung» umgehen sie eine Gefahr des ungewollten Outings, beispielsweise lügen sie bei der Frage nach den Partnern.
Manche gehen auf «Konfrontation», sie beziehen bewusst positiv Stellung gegenüber Klienten, Kollegen oder Vorgesetzten bei negativen Äusserungen zu Homo- oder Bisexualität. Bei der «Gleichstellung» betrachten die Fachkräfte Homo- und Heterosexualität als gleichwertig und agieren dementsprechend ohne zu akzentuieren. «Durch unsere Onlinefragebogen konnten wir noch eine fünfte Handlungsstrategie ermitteln: ‚Abgrenzung‘. Sie kommt dann zum Tragen, wenn sexuelle Orientierung im Handlungsfeld keine Rolle spielt», so Baer.
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Schwule setzen eher auf Straight-acting, Lesben stellen sich mehr der Konfrontation, Bisexuelle vermeiden am wenigsten. Wie die Auswirkung auf das Selbstbild ist und wann nicht-heterosexuelle Fachkräfte anfälliger für Depressionen sind – auch das haben Baer und Fischer erfragt. Fest steht etwa: Die Arbeitszufriedenheit sinkt, je mehr Vermeidung oder Straight-acting im Spiel ist.
Forschungslandschaft hinsichtlich queerer Fachkräfte kaum erschlossen Das Fazit der beiden, die aus eigener Erfahrung heraus und den Erfahrungen in ihrer Berufspraxis das Thema bearbeiten wollten: Die Forschungslandschaft hinsichtlich schwuler, lesbischer und bisexueller Fachkräfte der Sozialen Arbeit ist kaum erschlossen. Soziale Arbeit muss die Vielfalt der nicht-heterosexuellen Lebensweisen gleichwertig anerkennen und bereits im Studium mit verankern.
«Diese Chance haben die beiden Masterstudenten genutzt», freut sich Annette van Randenborgh, die mit Irma Jansen das Modul Forschung und Anwendung leitet. «Wir müssen Arbeitsbedingungen schaffen, in denen Fachkräfte langfristig physisch und psychisch gesund bleiben. Die Forschungsarbeit der Studierenden leistet dabei für nicht-heterosexuelle Fachkräfte einen Beitrag.»
Weitere Forschungsprojekte in dem Modul befassten sich mit Integration im Quartier, Stress im Studium, Hochbegabung und Sucht.
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Der Masterstudiengang Soziale Arbeit und Forschung an der FH Münster ist berufsbegleitend. Steffen Baer arbeitet als Lehrkraft für besondere Aufgaben am Fachbereich Sozialwesen Hochschule RheinMain und als Sexualpädagoge bei pro familia zur sexuellen Bildung mit Schulklassen sowie in der Beratung zur sexuellen Vielfalt. Ausserdem hat der 29-Jährige einen Lehrauftrag an der FH Münster.
Marc Fischer ist Sozialarbeiter bei PLUS (Psychologische Lesben- und Schwulenberatung Rhein-Neckar e.V.) in der Abteilung KOSI.MA (Kompetenzzentrum zu sexuell übertragbaren Infektionen. Mannheim). Er arbeitet als Leiter des Checkpoints in Mannheim und ist Sprecher der Checkpoints der Aidshilfen in Baden-Württemberg. Ehrenamtlich leitet der 30-Jährige die schwule, bisexuelle Jugendgruppe Deltaboys.
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