Sexueller Kindesmissbrauch und Pädo-Bewegung bundesweit aufarbeiten!
Pädosexuelle Akteure hätten sich an die soziale Bewegung der Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität anschlossen und für ihre Interessen genutzt, zeigen Recherchen
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch veröffentlicht Ergebnisse einer Recherche zu pädosexuellen Netzwerken und fordert eine bundesweite Aufarbeitung.
Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat an diesem Mittwoch als Ergebnis einer wissenschaftlichen Recherche eine Vorstudie zu Programmatik und Wirken pädosexueller Netzwerke in Berlin veröffentlicht. Die Recherche führten im Auftrag der Kommission die Kunsthistorikerin Iris Hax und der Kulturwissenschaftler Sven Reiß durch.
Seit den 1970er-Jahren setzten sich pädosexuelle Gruppierungen öffentlich für die Straffreiheit sexueller Handlungen von Erwachsenen mit Kindern und Jugendlichen ein. Die Vorstudie gibt eine erste Übersicht über Organisationsformen, Vernetzungen und Debatten der damaligen Akteure und stellt deren Vorgehensweise und Rechtfertigungsstrategien am Beispiel Berlins von 1970 bis Anfang der 2000er-Jahre dar.
Eine wichtige Grundlage für die Recherche waren die Bestände staatlicher Archive und Bewegungsarchive, privater Sammlungen und Gespräche mit Betroffenen sexuellen Kindesmissbrauchs sowie weiteren Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Anhand dieser Quellen zeigt die Vorstudie, wie pädosexuelle Gruppierungen versuchten, eine deutschlandweite Bewegung zu etablieren und sich international zu vernetzen. Da sich die Recherchen zur Vorstudie auf Berlin beschränken, sieht die Kommission grossen Bedarf einer bundesweit angelegten Recherche.
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Sabine Andresen, Vorsitzende der Kommission: «Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs stösst oft auf Vorbehalte und Hürden. Darum müssen alle gestärkt werden, die an Aufarbeitung interessiert sind. Die in den letzten beiden Jahren von der Öffentlichkeit breit wahrgenommenen aktuellen Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder haben gezeigt, dass Netzwerkstrukturen in diesem Zusammenhang eine Tatsache sind. Es handelt sich dabei jedoch nicht um neue Phänomene. Organisierte Strukturen sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche haben sich bereits vor dem Internetzeitalter formieren und über lange Zeiträume etablieren können. Dies wird an der Recherche deutlich.»
Pädosexuelle Akteure haben sich an die soziale Bewegung der Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität anschlossen
Die Quellen machen sichtbar, wie sich pädosexuelle Akteure an die soziale Bewegung der Entkriminalisierung von männlicher Homosexualität anschlossen und diese für ihre Interessen nutzten. Um ihre Positionen zu legitimieren, suchten Aktivisten pädosexueller Gruppierungen ihre Bündnispartner nicht nur in den neuen sozialen Bewegungen oder bei linksliberalen politischen Parteien, sondern auch in der Wissenschaft. Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen wie der Erziehungswissenschaft, Sexualpädagogik und Sexualwissenschaft unterstützten in der Vergangenheit pädosexuelle Positionen und die Vernetzung der Gruppierungen über Berlin hinaus. Hier ist eine weitere wissenschaftssoziologisch und -historisch angelegte Aufarbeitung nötig.
Einen Schwerpunkt der Vorstudie bilden die Berliner Kinderrechtegruppen und -projekte sowie die linksautonome Szene. Die sogenannten Kinderrechtegruppen suchten gezielt Kontakt zu Kindern und Jugendlichen, die aus Heimen oder von zu Hause weggelaufen waren und auf der Strasse lebten. Deren Unterstützung wurde daraufhin als «Befreiung» des Kindes von kleinbürgerlichen Familien- und Unterdrückungsverhältnissen bezeichnet. Die Recherche deutet jedoch an, dass es z.B. bei der Unterbringung der Mädchen und Jungen in Wohnungen primär um die sexuellen Interessen von Erwachsenen ging. Quellen belegen zudem, dass in Teilen der linksautonomen Hausbesetzerszene in Berlin bis in die 1990er-Jahre hinein Menschen akzeptiert und geduldet wurden, die sich als pädosexuell verstanden.
Die Vorstudie gibt auch klare Hinweise auf eine kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen. Die Quellen dokumentieren die Herstellung und den Handel mit Abbildungen sexualisierter Darstellungen, die in frei zugänglichen Zeitschriften beworben wurden. Hier besteht weiterer Aufarbeitungsbedarf.
Zusammen mit der Vorstudie werden zwei Berichte von betroffenen Männern veröffentlicht, die sich an die Kommission gewandt haben. In ihren Geschichten werden die in der Vorstudie beschriebenen Strategien der Täter greifbar und konkret. Sie zeigen aus der Perspektive des damaligen Kindes, dass sich viele Erwachsene an der sexualisierten Gewalt beteiligt haben, wie das Netz dichter wurde und die Abhängigkeit zunahm.
«Archivbestände sind eine wichtige Wissensgrundlage für die weitere Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs im Kontext von pädosexuellen Gruppierungen und Netzwerken. Sie geben jedoch keine Auskunft darüber, welche Folgen die sexualisierte Gewalt für das einzelne Kind und den Jugendlichen hatte. Besonders wertvoll sind deshalb die Aussagen betroffener Menschen selbst. Die Vorstudie kann hoffentlich auch dazu beitragen, dass weitere Betroffene ermutigt werden, sich bei der Kommission zu melden», so Andresen.
Die Vorstudie ist für die Kommission Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit der Aufarbeitung im Bereich der Jugendämter und verschiedener Wissenschaftsbereiche. Ein gemeinsamer Austausch dazu mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, Wissenschaftler*innen und weiteren Expert*innen findet im Rahmen eines Symposiums am 1. Juni 2021 statt.
Immer wieder wird von konservativen oder rechten Politiker*innen Homosexualität mit Pädophilie gleichgesetzt – etwa dem Schweizer Jungpolitiker Benjamin Zürcher (MANNSCHAFT berichtete) oder zuletzt vom Staatsoberhaupt Liechtensteins (MANNSCHAFT berichtete).
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