«Now Apocalypse» – mehr Raum für queere Figuren
Die Serie ist eine Mischung aus schwuler Datingkomödie, Science Fiction und Satire
Gregg Araki gehört zu den Vorreitern des New Queer Cinemas. Mit «Now Apocalypse» ist dem Regisseur und Produzenten nun eine besonders queere Serie gelungen.
Gregg, «Now Apocalypse» ist nach gut 30 Jahren Kino deine erste eigene Fernsehserie. Wolltest du etwas ganz Neues ausprobieren? (Lacht.) Nein, damit hat das nichts zu tun. Die Idee, eine Serie zu kreieren, hatte ich eigentlich schon so lange, wie ich hinter der Kamera stehe. In den Achtzigerjahren studierte ich Film, und als in jener Zeit «Twin Peaks» von David Lynch im Fernsehen lief, haute mich das vollkommen um. Ich konnte es kaum fassen, dass so eine irre, kreative Sache Woche für Woche in den Haushalten des ganzen Landes zu sehen war. Seither behielt ich den Gedanken stets im Hinterkopf.
Dafür dauerte es dann erstaunlich lange . . . Stimmt, aber die Idee war nie weg. Mein Film «Nowhere» aus den Neunzigerjahren hatte eine Struktur, die an das episodische Erzählen einer Serie angelehnt war. Und dann gab es den konkreten Versuch, für MTV eine Serie zu drehen, der allerdings scheiterte. Aber ich habe nun mal Filmschaffen studiert und die grosse Leinwand stets über alles geliebt. Filme waren immer meine erste Priorität. Doch meine Leidenschaft fürs Fernsehen war auch immer präsent, einfach weil dort das Verhältnis zum Publikum so anders ist. Landen eine Geschichte und ihre Figuren jede Woche bei dir zuhause im Wohnzimmer, so ist das etwas anderes, als wenn man sie einmal im Kino sieht.
Vor «Now Apocalypse» hast du bereits einzelne Episoden von Serien wie «Riverdale», «American Crime» oder «Tote Mädchen lügen nicht» inszeniert. Ist das nicht ein undankbarer Job, wenn man weder Autor noch Showrunner ist, sondern nur eine Folge von vielen dreht? Ach, mir hat das Spass gemacht. Schon allein, weil bei all diesen Serien tolle Showrunner am Ruder sassen, mit denen die Zusammenarbeit richtig gut lief. Ausserdem betrachtete ich das als eine Art Serienschule. Ich konnte die Abläufe einer Serienproduktion ganz genau beobachten – und hatte dabei immer im Hinterkopf, dass mir all dieses Wissen einmal nützlich sein würde. Das war also wie eine Trockenübung für mich. Klar, kann man keine grundlegenden kreativen Entscheidungen treffen, wenn man nur für eine einzelne Episode engagiert wird, und einer Serie damit auch nicht seinen künstlerischen Stempel aufdrücken. Gleichzeitig trägt man jedoch keine Verantwortung, wenn die Sache beim Publikum nicht ankommt.
Queer in der Highschool: «Love, Simon» lebt als Serie weiter
Und dann warst du bereit für deine eigene Serie . . . Ich wollte meine Serie nur machen, wenn ich meine ultimative Traumshow umsetzen und dabei alles selbst entscheiden konnte. Ein paar Zufallsbegegnungen halfen mir schliesslich dabei. Dank eines Kurzfilms lernte ich meinen Hauptdarsteller Avan Jogian kennen, dessen Alltag und Freundeskreis mich inspirierten. «Now Apocalypse» ist quasi die queere Version seines Lebens. Vor allem begegnete ich der Autorin Karley Sciortino, die mit ihrer Sicht auf Sex und Sexualität wie meine Seelenverwandte ist und mit mir die Drehbücher schrieb. Greg Jacobs und Steven Soderbergh, mit denen ich bei der Serie «Red Oaks» zusammengearbeitet hatte, halfen mir dabei, den passenden Sender zu finden.
Du hast «Nowhere» erwähnt. Deine Filme des New Queer Cinemas, darunter «The Doom Generation» oder «Totally Fucked Up», sind legendär – ja geradezu revolutionär. Siehst du eine Verbindung zu dem, was du heute machst? Solche Fragen überlasse ich eigentlich lieber den Fans und den Kritiker*innen. Aber klar, ich sehe schon einen thematischen roten Faden, der von «Nowhere» über «Kaboom» bis hin zu «Now Apocalypse» führt. Im Grunde stecken in der Serie Elemente aus all meinen anderen Geschichten, sie ist letztlich fast so etwas wie die Kulmination meines bisherigen Werkes. Für mich war sowieso immer klar, dass ich mir auch bei der Serie absolut treu bleibe und all das integriere, was mich auch bei meinen Filmen immer interessiert und ausgezeichnet hat.
Was sich in all den Jahren nie geändert hat: Du erzählst immer von hübschen jungen Menschen. Was interessiert dich mit Ende 50 immer noch so sehr daran? Als Geschichtenerzähler finde ich Figuren, die jung sind und das Leben noch vor sich haben, besonders spannend. Man weiss noch nicht, wer man ist und wohin die Reise geht. Das ganze Leben besteht aus Fragezeichen und man ist mit der Suche nach Antworten beschäftigt. Einen faszinierenderen Lebensabschnitt gibt es doch eigentlich gar nicht. Aus eigener Erfahrung würde ich sagen, dass man immer glücklicher wird, je älter man wird. Zumindest bin ich selbst heute so glücklich wie nie zuvor in meinem Leben. Aber jemand, der selbstsicher im Leben steht und sich in seiner eigenen Haut wohl fühlt, ist nicht unbedingt der reizvollste Protagonist einer Geschichte.
Und die Jugend heute ist genauso wie die Jugend vor 25 Jahren? Dieses Gefühl der Unwissenheit, das ich gerade beschrieben habe, ist meiner Ansicht nach zeitlos. Das gilt für junge Menschen immer und überall. Was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, ist eigentlich nur mein Blick auf meine Hauptfiguren. Bei meinen Filmen in den Neunzigern sah ich wahrscheinlich manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht, einfach weil ich ja selbst noch in diesem Alter war und gar nicht immer wusste, was ich wollte. Heute ist meine Perspektive ein bisschen anders, schliesslich bin ich alt und weise (lacht). Ich kann nach wie vor genau nachvollziehen, was die Kids in meinen Geschichten durchmachen und mit ihnen mitfühlen, gleichzeitig habe ich auch die nötige Distanz dazu.
«Hetero-Regisseure finden mich oft zu feminin. Fuck them all!»
Vermisst du eigentlich die wilden Neunziger, als schwule Filmemacher wie du oder Todd Haynes das amerikanische Independentkino durchwirbelten? Nicht wirklich, denn ich bin kein sonderlich nostalgischer Mensch. Natürlich blicke ich immer mal wieder zurück, beispielsweise als ich vor einigen Monaten beim Sundance-Filmfestival war. 1992 feierte dort mein Film «The Living End» Premiere – eine wilde, kleine Underground-Produktion, die damals richtig radikal war, weil sich zwei Jungs darin küssten. Jetzt war ich 27 Jahre später wieder da, um «Now Apocalypse» vorzustellen. Aber statt wehmütig zu werden, habe ich mich lieber gefreut, wie weit die Welt gekommen ist. Dass in Los Angeles heute überall riesige Plakate für meine ausgesprochen queere Serie hängen und das völlig selbstverständlich ist, hätte man sich damals nicht vorstellen können.
In Serien gibt es viel mehr Raum für queere Figuren, die sich voll entfalten können.
Gleichzeitig kann man aktuell beobachten, wie sehr die Errungenschaften der letzten 20 Jahre auf dem Spiel stehen, oder? Absolut, und deswegen finde ich auch, dass «Now Apocalypse» genau die richtige Serie für das Jahr 2019 ist. Einerseits gibt es da diese neue, junge Generation, die in ihrer Offenheit und sexuellen Fluidität wirkt, als sei sie direkt meinem Film «Nowhere» entsprungen. Und andererseits spüren wir unter Trump und all diesen Nazis auf der ganzen Welt einen Backlash, der den Fortschritt wieder rückgängig machen könnte. So als stünde wirklich die Apokalypse bevor. Die Serie soll ein hoffnungsvolles Licht in dunklen Zeiten sein und daran erinnern, dass wir immer weiter nach vorne schauen und bloss keinen Schritt zurückgehen sollen.
Gregg Araki
Mit der sogenannten «Teen Apocalypse»-Trilogie – «Totally Fucked Up», «The Doom Generation» und «Nowhere» – machte sich Gregg Araki in den Neunzigerjahren einen Namen als Filmemacher und als Wegbereiter des New Queer Cinemas. 2010 ehrte das Filmfestival in Cannes Arakis Film «Kaboom» mit der ersten queeren Palme. Nach diversen Regiearbeiten für Episoden von «Heathers», «Riverdale» und «Red Oaks» realisierte der 59-Jährige mit «Now Apocalypse» seine eigene Serie, die seit März auf dem Amazon-Kanal «Starzplay» zu sehen ist. Die Geschichte dreht sich um eine Gruppe Mittzwanziger, die sich in der Dating- und Berufswelt von Los Angeles zurechtfinden müssen.
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