Ein Magazin über Reisen, Fotografie und … Männer

Liam Campbell zeigt in «Elska» Männer genau so, wie sie sind

Liam Campbell bei einem Shooting mit Kamera in der Reflexion. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)
Liam Campbell bei einem Shooting mit Kamera in der Reflexion. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)

Reykjavík, Bogotá oder Mumbai – für Elska reist Liam Campbell um die Welt und fotografiert Männer ohne Filter. Das Magazin gibt ihnen zudem Raum für ihre ganz persönlichen Geschichten. Im Interview erzählt der Nordire, wie er dazu kam, seine drei Leidenschaften zu verbinden, und zeigt uns sein Werk.

Liam, woher stammt der Name Elska? Elska ist ein isländisches Wort und bedeutet lieben. Ich bin ein totaler Islandfan, es war das erste fremde Land, das ich je besucht habe. Es ist der Ort, der meine Liebe zum Reisen wirklich entfacht hat, deshalb wollte ich meinem Magazin einen isländischen Namen geben.

Weshalb hast du das Magazin geschaffen? Ich wollte etwas machen, das sich von traditionellen schwulen Medien unterscheidet. Sie bevorzugen meist Models, Prominente und Pornostars und zeigen damit nur eine bestimmte, enge Art von Schönheit. Ich dachte über unsere Ehemänner und Partner nach, sie haben Unvollkommenheiten und wir finden sie trotzdem schön, weil wir sie bis ins Innerste kennen. Diese besondere Verbindung zieht uns an. Mit Elska versuche ich, verschiedene Männer auf eine ehrliche, intime und tiefere Art und Weise zu zeigen. Das soll die Leser*innen zu ermutigen, sie gut genug kennen zu lernen, um über die oberflächliche Lust des ersten Eindrucks hinauszugehen.

Was ist deine Geschichte hinter Elska? Elska wurde ursprünglich gegründet, um drei Dinge zu kombinieren, die ich liebe – Reisen, Fotografie und Männer. Es hat eine Weile gedauert, bis ich einen Weg gefunden habe, diese Dinge beruflich zu verbinden. Auf dem College habe ich fotografiert, aber es war immer nur ein Hobby und ich habe schliesslich eine Karriere als Französischlehrer an einer Sekundarschule eingeschlagen. Als ich dann vor etwa sechs Jahren die Schule wechseln wollte, stiess ich auf eine Stellenanzeige für Flugbegleiter und habe mich beworben. Ich wollte das ein Jahr lang machen, das freie Reisen geniessen und viel fotografieren.

Am Ende hasste ich den Job, aber ich liebte das Reisen und das Fotografieren so sehr, dass ich mich von der Strassen- und Reisefotografie zu Porträts entwickelte, die ich während meiner Zwischenstopps mit Hilfe von Apps anfertigte. Als ich immer mehr Shootings auf der ganzen Welt machte, wollte ich erst ein Buch mit meinen Arbeiten machen. Dann kam ich auf die Idee, stattdessen kleine Bücher zu machen. Ein Magazin, bei dem jede Ausgabe in einer anderen Stadt stattfinden würde. Und da war Elska geboren.

Die Ausgaben sind nach den Städten benannt. Hier ein Foto aus Kolumbien für Elska Bogotá. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)
Die Ausgaben sind nach den Städten benannt. Hier ein Foto aus Kolumbien für Elska Bogotá. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)

Wie findest du die Menschen und Geschichten? Normalerweise kündige ich etwa einen Monat vor dem Flug auf unseren sozialen Medien an, dass ich in der Stadt nach Teilnehmern suche. In manchen Städten ist die Resonanz so gross, dass ich die rund ein Dutzend Shooting-Slots mit denjenigen füllen kann, die sich melden. In Städten mit weniger Rückmeldungen schreiben wir wahllos Leute auf Instagram, Twitter oder verschiedenen Schwulen-Apps an. Für die Geschichten gebe ich eine ziemlich einfache Anweisung: Mindestens 450 Wörter und zu jedem Thema, das du willst, solange es wahr ist und auf deinem echten Leben basiert. Manchmal brauchen die Leute ein bisschen Inspiration, deshalb sende ich ihnen Geschichten aus früheren Ausgaben mit.

Wie bereitest du dich sonst noch auf die Reisen vor? Ich plane nicht viel und lasse mich einfach von der Inspiration des Moments und der Umgebung leiten, die normalerweise vom Model ausgewählt wird.

Du zeigst Männer aus allen Altersklassen und mit ganz verschiedenen Körpertypen, weshalb ist dir das wichtig? Ich glaube nicht an «Typen». Ich gebe zu, manchmal sehe ich einen Mann auf der Strasse und fühle mich zu ihm hingezogen. Aber in der realen Welt finde ich, dass Anziehungskraft von viel mehr kommt als von diesem ersten Blick. Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Tatsache zu betonen. Vor allem gegenüber Menschen, die die Enge der konventionellen Schönheit vielleicht als schädlich für ihr Selbstwertgefühl empfinden.

Die Models sind manchmal nackt oder angezogen, manche draussen oder drinnen. Dürfen sie das selbst entscheiden oder leitest du sie an? Ich sage den Teilnehmern immer, dass sie selbst entscheiden können, welche Art von Shooting sie machen wollen. Im letzten Jahr habe ich versucht, sie mehr dazu zu ermutigen, sowohl drinnen als auch draussen zu fotografieren. Einfach weil ich persönlich es interessanter finde, beide Seiten zu sehen. Nacktaufnahmen besprechen wir normalerweise nicht, bevor wir uns treffen. Ich sage ihnen bloss, dass es eine Option ist. Vor der Kamera nackt zu sein, ist für die meisten Menschen eine grosse Sache, also möchte ich niemanden unter Druck setzen. Wenn er am Tag des Drehs entscheidet, dass er sich nackt wohlfühlt, dann machen wir es. Wenn nicht, machen wir es nicht.

Gibt es Unterschiede in der Offenheit für Nackt-Shootings zwischen verschiedenen Städten? In manchen Städten neigen mehr Männer dazu, die Kleider auszuziehen, in anderen weniger. Ich denke, das sagt viel über eine Kultur aus. Die Menge an Nacktheit in einer Ausgabe kann faszinierend sein. Zum Beispiel hat unsere Reykjavík-Ausgabe die wenigste Nacktheit von allen, vielleicht weil die Isländer zurückhaltender sind oder weil es eine kleine Gesellschaft ist, in der jeder jeden kennt. In unserer Guadalajara-Ausgabe sind alle nackt, was mir suggeriert, dass es in Mexiko vielleicht eine positivere Einstellung zur Nacktheit gibt, oder sie kümmern sich nicht so sehr darum, was andere denken.

Die Models stammen immer aus der jeweiligen Stadt, hier Kapstadt, Südafrika. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)
Die Models stammen immer aus der jeweiligen Stadt, hier Kapstadt, Südafrika. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)

Hast du eine Geschichte, an die du dich immer gerne erinnerst? Ich habe einige davon! Jetzt gerade fällt mir die Geschichte eines Mannes ein, der wirklich Angst davor hatte, ein Fotoshooting zu machen. Er beschloss es trotzdem zu tun, um sich seinen Körperproblemen zu stellen. Er erzählte mir, dass er andere Typen wie ihn in Elska sah und das gab ihm mehr Selbstvertrauen. In dem Moment, als er sich für den Nacktteil auszog, konnte ich sehen, wie nervös er war, er zitterte sogar sichtlich. Also legte ich die Kamera weg und wir unterhielten uns eine Weile, und ich liess ihn offen darüber sprechen, warum er sich so negativ über sich selbst fühlte.

Eigentlich gab es nichts, was mit seinem Körper nicht in Ordnung war. Er hatte keine Bauchmuskeln, und sein Penis war nicht riesig, aber er war absolut umwerfend, er konnte es nur nicht sehen. Nach einer Weile beschloss er, dass wir mit dem Shooting beginnen könnten, was wir auch taten. Die Bilder habe aber nicht veröffentlicht. Ich konnte einfach sehen, dass er noch nicht bereit war, aber ich habe sie auf meiner Festplatte. Falls er mich jemals wissen lässt, dass er wirklich bereit ist, werde ich sie veröffentlichen.

Welche Stadt mochtest du besonders? Diese Frage wurde mir schon oft gestellt, und normalerweise sage ich Mumbai. Vor allem, weil es so anders war als meine eigene Stadt und wie freundlich und einladend die Menschen waren. Dieses Mal sage ich aber Bogotá in Kolumbien. Vielleicht ist es egoistisch, dass ich Bogotá genossen habe, weil es nie so einfach war, Teilnehmer zu finden. Jeder schien begeistert zu sein, es gab keine Scham und keine Arroganz. Ehrlich gesagt könnte es die LGBTIQ-freundlichste Stadt sein, die ich bisher besucht habe.

Die Sydney-Ausgabe von Elska exklsuiv für MANNSCHAFT-Leser*innen:

Wie hat die Pandemie dein Leben verändert? Zunächst war ich nicht allzu sehr betroffen. Ich hatte bereits drei Ausgaben in der Tasche, die ich noch veröffentlichen konnte, als die Pandemie begann. Die Probleme begannen erst, als mir klar wurde, dass die Viruskrise viel länger dauern würde. Dann habe ich die ausverkaufte Reykjavík-Ausgabe neu aufgelegt und als die Kurve im Sommer etwas abgeflacht war, habe ich eine Ausgabe in meinem Heimatland gemacht: Elska Belfast habe ich dann im vergangenen Monat veröffentlicht.

Ich konnte noch zwei weitere Ausgaben während dieses Sweet Spots im Sommer ablichten. Bis zum Frühjahr wird mir allerdings wieder das Material ausgehen, also hoffe ich einfach, dass die Impfstoffe schnell genug auslaufen, damit ich vielleicht bis Mai wieder auf Reisen gehen kann. Bis dahin muss ich für eine Weile mit einem kleineren Budget auskommen. Eine weitere grosse Auswirkung der Pandemie ist die Schliessung der meisten Geschäfte, die Elska verkaufen. Der Online-Verkauf läuft gut, aber insgesamt war es ein mageres Jahr.

Du bist mit Menschen aus aller Welt in Kontakt, wie erleben sie die Pandemie? Ich habe von einigen ehemaligen Teilnehmern gehört, die an Covid-19 erkrankt sind und von einigen, die Angehörige durch die Krankheit verloren haben. Einige sind auch arbeitslos geworden. Die meisten Männer, die ich seit Beginn der Pandemie fotografiert habe, sprechen in ihren Geschichten nicht über Corona und tragen während der Aufnahmen keine Masken. Viele wollten nicht daran erinnert werden, wenn sie ihre Fotos später wieder anschauen. In kommenden Geschichten sprechen wir jedoch darüber. Darunter die Geschichte eines Arztes, der aus der Pandemie Hoffnung schöpft. Er berichtet davon, wie stark sich die Menschen zusammengeschlossen haben, um das Virus zu bekämpfen, zumindest in seinem irischen Gesundheitssystem. Es ist sicherlich gut, etwas Positives zu hören.

Viele lassen sich auch zuhause fotografieren, wie die beiden Männer in Mumbai, Indien. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)
Viele lassen sich auch zuhause fotografieren, wie die beiden Männer in Mumbai, Indien. (Bild: Liam Campbell/Elska Magazine)

Hast du auch schon schlechte Erfahrungen gemacht? Zum Glück habe ich bisher nur wenige schlechte Erfahrungen gemacht. Eine der schlimmsten war in Belfast. Ein Typ hat sein Bestes getan, damit ich mich wertlos fühle. Gleich nach dem Treffen sagte er, ich sähe anders aus, als er erwartet hatte. Kurz darauf meinte er dann, ich sei auch älter, als er dachte. Ich hatte keine Ahnung, warum mein Aussehen oder mein Alter eine Rolle spielen sollten. Deshalb versuchte ich es zu ignorieren. Als wir zu seinem Haus für die Innenaufnahmen kamen, entschied er, dass er mich nicht in seinem Haus haben wollte. Wir mussten stattdessen in seinem Garten drehen.

Während den Strassenaufnahmen ging er ständig mehrere Meter vor mir her. Ich nehme an, damit niemand denken würde, dass wir zusammen sind. Das gehört alles zu meinem Job, also habe ich durchgehalten, obwohl ich ihn am liebsten angeschrien hätte und einfach weggegangen wäre. Ich habe seine Bilder und seine Geschichte trotzdem veröffentlicht, aber ich habe in der Ausgabe einen separaten Text über dieses Erlebnis geschrieben, ohne seinen Namen zu nennen. Ich erwarte nicht, dass irgendjemand in der Lage sein wird, seine Identität herauszufinden, aber ich hoffe, dass er die Ausgabe liest und weiss, wie ich mich wegen ihm gefühlt habe.

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Welche weiteren Städte würdest du gerne besuchen? Die Liste ist praktisch endlos, aber eine fällt mir sofort ein: Beirut im Libanon. Dort wollte ich eigentlich im September letzten Jahres hin. Die Reise wurde jedoch wegen Corona und der Explosion abgesagt, die sich weniger als zwei Wochen vor meinem geplanten Flug ereignete. Dabei wurde auch das Gebäude zerstört, in dem ich wohnen sollte. Ich weiss nicht, wann ich zurückkehren kann oder ob ich es überhaupt tun werde – mehrere der Männer, die ich ursprünglich fotografieren sollte, haben den Libanon seit der Explosion verlassen haben. Sie fügen sich damit in die riesige Liste von Menschen ein, die ausgewandert sind aufgrund der Finanzkrise, die das Land schon lange vor der Explosion traf.

Wie lange machst du noch weiter? Mein ursprüngliches Ziel war es, 25 Ausgaben zu machen. Als ich das überschritten hatte, verschob ich den Zielpfosten auf 50 Ausgaben. Wir sind jetzt bei 31 Ausgaben, also musst du mich wieder fragen, wenn die 50 erreicht sind.

Was machst du, wenn du je aufhören musst oder willst? Ich habe keine Ahnung. Aber eine Fantasie von mir ist es, eine Ausbildung zum Konditor zu machen und dann eine kleine Bäckerei zu eröffnen. Mein Urgrossvater und meine Grossmutter stammten aus Polen und waren Bäcker, es liegt mir also im Blut. Und deutsche Kuchen sind meine Lieblingskuchen, dicht gefolgt von schwedischer Backkunst. Das grosse Problem ist, dass meine Fähigkeiten beim Dekorieren grauenhaft sind, aber wenn es einen Markt für leckere, aber hässliche Kuchen gibt, bin ich euer Mann.

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