20 Jahre Eheöffnung: «Werden uns andere Länder nicht auslachen?»
Die Niederlande waren die ersten weltweit, die schwulen und lesbischen Paaren das Recht zu heiraten zugestanden
Ein grosses Jubiläum im Eheöffnungsmutterland, den Niederlanden: Während Dänemark die Ehre gebührt, 1989 als erstes Land weltweit Eingetragene Partnerschaften für Homosexuelle ermöglicht zu haben, wurde vor 20 Jahren in Den Haag das allererste Gesetz verabschiedet, das schwulen und lesbischen Paaren die Ehe erlaubt. Ein Rückblick.
Als es in den Niederlanden endlich so weit ist, dass homosexuelle Paare gleichberechtigt heiraten können, sind Louis Rogmans und Ton bereits über ein halbes Leben zusammen. Kennen gelernt haben sich die beiden Männer 35 Jahre zuvor, kurz nach dem Tod von Rogmans‘ Mutter. Ein Freund machte ihn mit Ton bekannt mit den Worten: «Ich weiss genau, wer dich jetzt aufmuntern kann.» Der Freund sollte Recht behalten, bis heute.
Als die Eheöffnung im April 2001 Wirklichkeit wurde, hatte das Paar schon eine Reise nach Australien gebucht. Sie sollten erst am Vortag zurückkehren, erzählt Rogmans der Mannschaft. Nun wollte er gerne am 1. April heiraten und zu den Ersten gehören. Ton war weniger enthusiastisch: «Wie soll das gehen, wenn wir erst am 31. März. zurückkommen?»
Aber dann hatten sie einfach Glück: Bei einem Informationstreffen Ende Februar in Amsterdam kamen nur wenige Interessierte, und die beiden wurden einfach dazu bestimmt, am 1. April zu den glücklichen ersten Paaren zu gehören. «Mein Atem stockte für einen Moment», erinnert sich Louis. «Aber für mich war klar: Eine solche Gelegenheit kann man sich doch nicht entgehen lassen!» Als sie dann etwas früher aus ihrem Urlaub zurückkehrten und in Amsterdam Schiphol landeten, wurden sie schon von einem Fernsehteam des Lokalsenders AT5 erwartet – die anderen Hochzeitspaare waren bereits vorgestellt worden, nur Louis und Ton hatte man noch nicht porträtiert. Nun waren es nur noch drei Tage bis zur historischen Eheöffnung.
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Ein Land musste den Anfang machen, und dass es das Königreich nordwestlich von Deutschland war, schien nahe liegend. Zum einen seien kleinere Länder mit Entscheidungen solcher Tragweite immer schneller als grosse, erklärt uns der Jurist Kees Waaldijk. Zum anderen sei die Gesellschaft dank jahrhundertelanger internationaler Handelsbeziehungen sehr offen. Das Land habe eine lange Tradition, Minderheiten gerecht zu werden, religiösen vor allem. Eine Dominanz einer Religion gebe es in den Niederlanden nicht.
Werden andere Länder uns nicht auslachen?
«Die Niederlande sind einer der säkularsten Gesellschaften auf der Welt – die meisten Menschen sagen, sie gehörten keiner Kirche an oder glaubten nich an Gott», erklärt Waaldijk. «Das religiöse Gegenargument war also recht schwach damals.» Doch auch wenn das Gesetz hier nach 1811 keinen Unterschied mehr machte zwischen homo- und heterosexuellen Kontakten, änderte sich das im Jahr 1911 wieder, nachdem christliche Parteien die Regierung übernommen hatten und ihr über Jahrzehnte angehörten.
Ende des 20. Jahrhunderts kamen die Christdemokrat*innen 1994 zum ersten Mal seit 80 Jahren nicht mehr an die Macht. Obwohl auf politischer Bühne die Mahner*innen wie etwa in Deutschland fehlten, dass eine Eheöffnung den Weg für Inzest und Vielehe ebnen würde, hatten die regierenden Sozialdemokrat*innen und Liberalen Bedenken, erinnert sich Waaldijk. «Werden andere Länder uns nicht auslachen?», fragten sich einige in den Reihen der Regierung.
Vorteil der Niederlande: Hier hatte die Politik im Vergleich etwa zu Deutschland schon früh begonnen, diskriminierende Regeln aus dem Strafgesetzbuch zu beseitigen. So wurde im Jahr 1971 das Schutzalter für alle, Heteros wie Homos, auf 16 festgesetzt. In anderen Ländern wurde Homosexualität noch viel länger kriminalisiert, jedenfalls für bestimmte Altersgruppen. Zudem wurde 1994 ein Antidiskriminierungsgesetz ergänzt, das es nun verbot, Homosexuelle auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu benachteiligen. Und seit 1998 gab es für gleich- ebenso wie für verschiedengeschlechtliche Paare die eingetragene Partnerschaft.
1987: Der Kampf beginnt Dass die Eheöffnung nur drei Jahre später beschlossen wurde, ist unter anderem Männern wie Waaldijk zu verdanken. Heute Professor für vergleichendes Recht im Gebiet der sexuellen Orientierung an der Leiden Universität am Campus Den Haag, hatte er 1987, nach Aufnahme seiner Lehrtätigkeiten, einen ersten Artikel über die rechtlichen Chancen einer Eheöffnung veröffentlicht. Damit begann sein Beitrag zur Gleichberechtigung von Homosexuellen in den Niederlanden und darüber hinaus.
Als die niederländische Regierung schliesslich der Resolution des Parlaments folgte, einen gesetzlichen Rahmen für die Eheöffnung zu schafften, wurde eine Kommission gegründet, in die auch Waaldijk berufen wurde. Zwei Knackpunkte trieben deren Mitglieder damals um: Einerseits ging es um die Lösung der Frage, wie mit lesbischen Eltern umzugehen sei. Denn in den Niederlanden wie in vielen anderen Ländern gilt: Kriegt eine Frau ein Kind, gilt ihr Mann automatisch als Vater. Sollte also in lesbischen Beziehungen die Partnerin der Mutter auch Mutter sein oder ein zweites Elternteil? Man einigte sich schliesslich darauf, die allgemeine Regel auszusetzen und den Partnerinnen das geteilte Sorgerecht zuzugestehen.
Dieses Paar schrieb über 2000 Briefe für den Weihnachtsmann
Die andere Herausforderung war, wie wohl andere Mitglieder der Europarates auf die Eheöffnung reagieren würden: Würden die verheirateten schwulen oder lesbischen Paare im Ausland anerkannt werden? Hier zeigen sich nach 2001 ganz praktische Probleme. In Frankreich besitzen viele Niederländer*innen ein Häuschen. Was aber, wenn es der rechtmässige holländische Besitzer nach dem Tod seinem Ehemann vermachen will? Damit das Haus nicht an die Familie des Verstorbenen ging, musste man mit einem Testament vorbeugen, solange die Ehe in Frankreich homosexuellen Paaren noch nicht offenstand.
Beatrix unterschreibt kurz vor Weihnachten Nach gut einem Jahrzehnt Lobbyarbeit schliesslich stand die Gesetzesvorlage und wurde im Sommer 1999 von der Regierung verabschiedet. Sie passierte am 12. September 2000 das Unterhaus, am 19. Dezember das Oberhaus und wurde am 21. Dezember von Königin Beatrix unterzeichnet – die, so wurde damals kolportiert, vom Adoptionsrecht für homosexuelle Paare nicht viel hielt, auch wenn sie sich dazu nie öffentlich äusserte. Am 1. April 2001 trat das Gesetz schliesslich in Kraft. Bis zuletzt war Waaldijk nervös, weil er fürchtete, jemand könne noch irgendeinen formalen Fehler im Gesetz finden, der das Ganze aufschieben würde. Aber alles ging gut.
«Das war schon einzigartig – ein Moment, den Heteros nie hatten, dieses: Hey, jetzt können wir heiraten!», sagt Waaldijk, den der Erfolg «froh und stolz» machte, auch wenn der heute 61-Jährige selber nie geheiratet hat. Später beriet er auch LGBTIQ-Organisationen und Regierungsvertreter*innen aus Ländern wie Grossbritannien, Frankreich und Kanada, als man dort die Öffnung der Ehe in Angriff nahm.
Die Ehe als unromantischer Vertrag Auch Jan-Wolter Wabeke trug einen wesentlichen Teil zur Eheöffnung in den Niederlanden bei. Für den Juristen, der in den Achtzigern Karriere als nationaler Staatsanwalt machte und unter anderem als Generalanwalt am Berufungsgericht in Den Haag arbeitete, ist die Ehe in erster Linie ein Kontrakt. Auch wenn sie nach Ansicht vieler Menschen eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau ist, mit oder ohne Gottes Segen, aber aufgeladen mit romantischen Erwartungen. Vor allem aber sei sie «eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien» und ein «sehr besonderer Vertrag», der unabhängig vom Geschlecht der Partner*innen betrachtet werden müsse.
Der relevanteste Aspekt dieses Vertrages zwischen zwei Personen seien nämlich die Auswirkungen auf Dritte. Denn ein Ehevertrag bindet nicht nur die beiden Vertragspartner*innen, sondern auch andere, erklärt uns Wabeke. Etwa im Bereich von Erbschaften oder Pensionszahlungen, wo vor der Eheöffnung nur Ehepartner*innen berücksichtigt wurden. Nur wer verheiratet war, konnte damals im Ernstfall Partner oder Partnerin im Krankenhaus besuchen oder erhielt ärztliche Auskünfte. Dazu kommt das Recht, vor Gericht nicht gegen Ehepartner*innen aussagen zu müssen. «So werden eine ganze Reihe von Situationen, Vorschriften oder Handlungen betreffend mehrere Personen – ob sie wollen oder nicht – bestimmt von der Entscheidung zweier Menschen, sich durch die Ehe zu binden.»
Es betrifft also viel mehr Rechte, als es bei einem üblichen privaten Vertrag zwischen zwei Personen der Fall ist. «Darum wählte ich 1987 die Öffnung der Ehe als das beste Feld für das Thema Gleichberechtigung», so Wabeke.
Lieber Ehe abschaffen als öffnen? Für seinen Kampf für die Eheöffnung wollte er sich zunächst mit der LGBTIQ-Organisation COC Nederland zusammentun, doch die waren nicht interessiert. «Die fanden, die Ehe sei etwas Altmodisches und das Ziel sollte eher sein, sie ganz abzuschaffen.» Stattdessen fand er einen Mitstreiter in Henk Krol, dem damaligen Chefredakteur der queeren Zeitschrift «GayKrant», die er 1979 auch gegründet hatte. Für Krol wurde die Eheöffnung zum 1. April 2001 ein besonderes Geschenk, da er an jenem Tag seinen 50. Geburtstag feierte.
Am Nachmittag des Vortages gegen 16:45 Uhr fuhren Louis und Ton mit dem Taxi zum Hotel Golden Tulip auf der Prins Hendrikkade. Der Medienrummel war enorm: Reporter*innen und Kameraleute stürmten auf sie zu, um sie und die anderen drei Hochzeitspaare – zwei schwule Paare und ein Lesbenpaar – ausgiebig zu befragen und zu filmen. Um 18 Uhr ging es zum offiziellen Abendessen im hoteleigenen Restaurant. Anschliessend standen weitere Interviews an, bis die Paare endlich ins Rathaus gefahren wurden, wo sie weitere Reporter*innen und etliche Zuschauer*innen erwarteten. Auch eine kleine Gruppe von Demonstrant*innen, sieben an der Zahl, war gekommen, um gegen die Eheschliessungen von homosexuellen Paaren zu protestieren. «Kommt, lasst uns zurückkehren zu Gott», stand auf ihren Schildern.
Im Trauzimmer dann nahmen alle ihre Plätze ein, und Job Cohen trat ans Rednerpult. Der Sozialdemokrat war erst seit wenigen Wochen Bürgermeister von Amsterdam und hatte noch im Herbst als Staatssekretär die Eheöffnung im Parlament verteidigt. Nun durfte er die ersten homosexuellen Paare vermählen.
«Cohen hielt eine sehr persönliche, beeindruckende und humorvolle Rede, die er kurz vor Mitternacht beendete, um zu erklären, jetzt sei er bereit, mit der feierlichen Zeremonie fortzufahren», erinnert sich Louis. Doch mit einem Blick auf die Uhr war klar, dass noch einige wenige Minuten bis zum grossen historischen Moment fehlten. Sie mussten also noch warten. Da begann jemand im Publikum zu applaudieren und alle Anwesenden machten mit, bis es endlich Mitternacht war. Louis bekam Gänsehaut. «Ich muss zugeben, dass ich Schwierigkeiten hatte, meine Tränen zurückzuhalten», erzählt der 82-Jährige.
Auch Wabeke, der für seinen Kampf für die Eheöffnung mehrfach geehrt wurde, etwa mit der königlichen Auszeichnung als Offizier des Ordens von Oranje-Nassau, heiratete seinen Partner, allerdings erst drei Wochen später, am 23. April – dem Datum, an dem sie sich zuvor verpartnert hatten.
Auch knapp 20 Jahre später gibt es im Eheöffnungsmutterland keine Partei, wie etwa die AfD in Deutschland, die die Gleichstellnung bei der Ehe ablehnt oder zurücknehmen möchte. Dies äussern höchstens einzelne Politiker*innen, die Wabeke «lokale Idiot*innen» nennt. Dass zwei Jahrzehnte nach dem historischen Moment in den Niederlanden nun in den USA die Gefahr besteht, dass die 2015 erwirkte Eheöffnung vom Supreme Court wieder gekippt wird (MANNSCHAFT berichtete), nennt er eine «schlimme Entwicklung».
Grosse Solidarität nach Erklärung evangelikaler Niederländer gegen LGBTIQ
«Ich weiss auch nicht, wie es bei uns weitergehen soll», sagt Wabeke. «Keine Partei will die Zeit zurückdrehen, aber im Internet, in den sozialen Medien liest man immer wieder diese hasserfüllten Kommentare oder erhält aggressive E-Mails.»
Nächster Schritt: LGBTIQ-Schutz in die Verfassung! Nicht zuletzt, weil sich auch in den Niederlanden die Berichte über LGBTIQ-feindliche Angriffe mehrten, sei es notwendig, den Schutz von LGBTIQ endlich in die Verfassung aufzunehmen. COC Nederland kämpft seit 20 Jahren dafür. Im zurückliegenden Sommer stimmte das Repräsentantenhaus mit grosser Mehrheit für einen entsprechenden Gesetzentwurf der linksliberalen D66, von GroenLinks und der sozialdemokratischen PvdA. Die COC-Vorsitzende Astrid Oosenbrug erklärte: «Es ist wichtig, sicherzustellen, dass wir auch in 50 oder 100 Jahren unsere hart erkämpften Rechte geniessen können.» (MANNSCHAFT berichtete).
Dazu gehört natürlich auch das Recht auf Eheschliessung. Ob das grosse 20. Jubiläum im Jahr 2021 gebührend gefeiert werden kann, ist noch nicht klar. Natürlich gibt es entsprechende Überlegungen von Bürgermeisterin Femke Halsema von GroenLinks, und auch ihr Vorgänger Cohen soll dabei sein, verrät Wabeke. Doch die Pläne liegen erstmal auf Eis, weil noch nicht abgeschätzt werden kann, was im Rahmen der Coronapandemie möglich ist.
Hochzeiten und Scheidungen
In den Niederlanden gab es von 2001 bis 2019 insgesamt 12 777 Eheschliessungen von Männerpaaren. Im ersten Jahr lag die Zahl besonders hoch bei 1339 (bei Heteros: 79 677), danach im Schnitt bei 635 schwulen Hochzeiten pro Jahr.
Die Zahl der Frauenpaare, die bis 2019 heirateten, liegt bei 14 286. Hier war ebenfalls im ersten Jahr der Ansturm mit 1075 Trauungen am höchsten, danach lag die Zahl im Schnitt bei 733 pro Jahr.
Die ersten Scheidungen von homosexuellen Ehepaaren gab es im Jahr 2004 – im Schnitt zunächst im zweistelligen Bereich, nach 2008 bei Lesben bzw. nach 2010 bei Schwulen im unteren dreistelligen Bereich (bei Heteros lag sie im Jahr 2010 bei 32 254), wobei sich Frauenpaare in manchen Jahren doppelt so oft scheiden liessen wie Männerpaare.
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