Die unbekannte Schöne der Ägäis

Archäologische Funde beweisen, dass die Insel Chios bereits vor mehreren tausend Jahren bewohnt wurde. Die gleichnamige Hauptstadt wurde wohl vor etwa 3000 Jahren gegründet und entwickelte sich rasch zu einer der bedeutendsten Städte der Antike. 1566 wurde Chios von den Türken angegriffen, die die Insel für mehr als 300 Jahre besetzt hielten. Nach vielen Jahrhunderten der Sklaverei im eigenen Land nahmen die Griechen 1882 ihren Mut zusammen und setzten einen grossen Teil der türkischen Flotte in Brand. Diese Aktion verlieh der unterdrückten Bevölkerung viel Kraft und Mut, doch sollte es noch bis 1912 dauern, bis Chios endlich ganz befreit war. Leider kam die Insel bereits dreissig Jahre später erneut unter die Besetzung einer fremden Macht. Am 4. Mai 1941 wurde Chios von der deutschen Wehrmacht eingenommen, welche die Insel bis 1944 besetzt hielt. In den vergangenen zwei Jahren wurde Chios aufgrund der Nähe zum türkischen Festland zu einem der Brennpunkte der Migrationswelle. Obwohl sich die Flüchtlingskrise zu keinem Zeitpunkt auf den Alltag der Touristen ausgewirkt hat, führte die negative Berichterstattung in den Medien zu stark rückläufigen Besucherzahlen. In der Zwischenzeit sind die Flüchtlingsströme in Griechenland abgeebbt. Viele Flüchtlinge leben jedoch bis heute in Lagern auf der Insel und warten auf die Bearbeitung ihrer Asylanträge. Mit einem Besuch der faszinierenden Ägäisinsel Chios lässt sich somit auch ein Zeichen der Solidarität mit den Inselbewohnern und den Migranten setzen.

Windmühlen und Festungsmauern Die Stadt Chios mit ihren rund 25 000 Einwohnern ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Insel. Das wohl auffälligste historische Gebäude der Stadt ist die Burg von Chios, die direkt am Eingang zum Hafen liegt. Die massive Befestigungsanlage ist im 9. Jahrhundert erbaut und später immer weiter ausgebaut worden. Im Innern der Festung befindet sich das älteste Viertel der Stadt, Kastro genannt, das vor allem für seine lebendige Bar- und Gastronomieszene bekannt ist. Auch entlang des nahen Hafenbeckens findet man eine grosse Auswahl an Restaurants und Tavernen, die Fischgerichte und griechische Spezialitäten servieren und sowohl mittags als auch abends für ein pulsierendes Leben sorgen. Vom Hafen aus fahren mehrmals täglich Fähren nach Çeşme in der nahen Türkei sowie zu weiteren griechischen Inseln. Nur wenige Schritte vom Hafen entfernt erreicht man eine aus dem 19. Jahrhundert stammende Moschee mit Minarett, die an die lange türkische Besatzung der Insel erinnert. Das Innere beherbergt heute ein byzantinisches Museum. Etwas nördlich des Stadtzentrums gelangt man auf der Stras­se nach Vrontados zu den vier bekannten Windmühlen von Chios. Diese liegen malerisch am Meer und zählen zu den wohl bekanntesten Fotosujets der Insel.

[infobox maintitle=“Gay Life“ subtitle=“Das schwule Leben auf den griechischen Inseln konzentriert sich vor allem auf Mykonos. Aber auch die Inseln Santorini, Kreta, Rhodos, Korfu und Kos sind in jüngster Zeit bei LGBT-Touristen immer beliebter geworden. Auf Chios findet man hingegen weder Szenebars noch Gay-Hotels. Hier führen die Menschen noch einen traditionellen Lebensstil, und die Einstellung zur Homosexualität ist oftmals eine Generationenfrage. Jüngere Einheimische gehen meist sehr entspannt und aufgeschlossen damit um. Ältere hingegen betrachten Homosexualität als Sünde, über die nicht gesprochen wird.

Generell nimmt die griechisch-orthodoxe Kirche, die neben dem traditionellen Familienbild keine alternativen Lebensformen akzeptiert, auf Chios noch eine wichtige Stellung ein. Im Dezember 2015 hat Griechenland weitreichende Reformen bezüglich der Rechte von Schwulen und Lesben beschlossen. Dies, nachdem das Land zuvor vom Europäischen Gerichtshof verurteilt worden war, weil es die eingetragene Partnerschaft nur heterosexuellen Paaren erlaubte. Zwar können nun auch gleichgeschlechtliche Paare ihre Partnerschaft eintragen, doch ist die vollständige Öffnung der Ehe derzeit in Griechenland immer noch kein Thema. 2015 wurde übrigens auch der zuvor noch im Gesetzbuch stehende Paragraf 347, das Verbot der widernatürlichen Unzucht zwischen Männern, offiziell abgeschafft.“ bg=“blue“ color=“black“ opacity=“off“ space=“30″ link=“no link“]

Geisterstadt mit dunkler Geschichte Verlässt man Chios Stadt anschliessend mit dem Mietwagen in westlicher Richtung, schlängelt sich die Strasse immer höher die kargen Berge hinauf. Unterwegs bieten sich viele atemberaubende Ausblicke in die Täler und bis zum Meer. Nach rund vierzig Minuten erreicht man am Ende einer Schlucht die verlassene Geisterstadt Anavatos. Bis ins 19. Jahrhundert florierte diese Siedlung, die von den Bewohnern zum Schutz von Piraten hoch auf einem Felsen erbaut wurde. Doch dann lehnten sich 1821 einige Inselbewohner gegen die türkischen Besatzer auf, was jedoch misslang und von den Türken ein Jahr später schwer bestraft wurde. Viele Menschen versuchten deshalb, sich in Kirchen, Klöstern und in den Bergen in Sicherheit zu bringen. Leider wurde auch Anavatos von den Angreifern erreicht, die unter den Bewohnern ein regelrechtes Massaker anrichteten. Viele Menschen sprangen aus Todesangst von den Felsen in die Schlucht, da sie keinen anderen Ausweg mehr sahen. Seit diesen dramatischen Ereignissen kehrten nie mehr Bewohner in dieses Städtchen zurück. Die meisten der verlassenen Häuser sind bis heute gut erhalten, und Besucher können sich auf dem Gelände dieser Geisterstadt frei bewegen. Nach weiteren zehn Kilometern erreicht man an der Westküste der Insel den Kieselstrand von Elinda. An dieser wunderschönen Bucht ist die Natur noch Herrscher und sieht man selbst in der Hochsaison nur wenige Sonnenanbeter. Das glasklare Wasser sorgt hier auch an ganz heis­sen Tagen für eine willkommene Abkühlung, da an dieser Stelle das kalte Wasser einer unterirdischen Quelle durch den Kieselstrand ins Meer sickert. Deshalb liegt die Wassertemperatur in Standnähe stets ein paar Grad unter der eigentlichen Meerestemperatur.

Klebriger Schatz Von Elinda aus kann man nun der kurvigen Küstenstrasse entlang nach Süden fahren, wo sich einige der schönsten Städtchen und Strände der Insel befinden. Bekannt ist diese Gegend vor allem auch wegen dem dort produzierten Mastix, dem Harz eines Pistazienstrauches. Dieser wertvollen Substanz wird eine heilsame Wirkung nachgesagt und sie wird unter anderem in Likören, Süssigkeiten, Zahnpasta und Kosmetika verarbeitet. Obwohl Mastix im Mittelmeerraum an mehreren Stellen wächst, geben nur die Bäume im Süden der Insel Chios ihren Harz in Klumpenform ab. Damit der Stoff anschliessend weiterverarbeitet werden kann, benötigt es genau diese getrockneten Klumpen. Die Menschen in Chios leben sehr gut von ihrem Monopol im Mastix-Business, und mit den rund zwei Millionen Mastixbäumen, die im Süden der Insel wachsen, lassen sich jedes Jahr rund 200 000 Kilogramm Mastix produzieren.

Die Kleinstadt Mesta, die bereits im Mittelalter erbaut wurde, ist eines der bekanntesten Zentren der Mastixproduktion. In den schmalen, gepflasterten Gassen des Ortes findet man gemütliche Tavernen, Cafés und versteckte Boutiquen. Ebenfalls sehenswert ist die orthodoxe Kirche am zentralen Turmplatz mit ihren gut erhaltenen Wand- und Deckenmalereien. Die Häuser am Rande der Stadt bildeten früher gleichzeitig die Stadtmauer. Deshalb verfügen sie nur auf der gegen das Innere des Dorfes gerichteten Seite über Fenster. Bei einem Rundgang durch Mesta fällt zudem auf, dass man im historischen Zentrum in regelmässigen Abständen unter Bögen  zwischen den Häusern durchgehen muss. Diese wurden früher erbaut, um die einzelnen Häuser im Falle eines Angriffes zu stabilisieren.

[infobox maintitle=“Auf einen Blick“ subtitle=“Anreise: Die griechische Fluggesellschaft Aegean bietet Füge ab Zürich und diversen deutschen Städten via Athen nach Chios an (ab CHF 220.– / EUR 110.–). – aegeanair.com

Beste Reisezeit: Während des Sommers von April bis Oktober. In den übrigen, kühleren Monaten sind viele Hotels, Restaurants und touristische Einrichtungen geschlossen.

Sprache: Die offizielle Landessprache ist Griechisch. Vielerorts kann man sich jedoch gut mit Englisch durchschlagen.

Einreise: Schweizer und EU-Bürger benötigen eine gültige Identitätskarte oder einen Personalausweis.

Sicherheit: Die Insel Chios gilt als sicheres Reiseziel.

Weitere Informationen: – chios.gr/en“ bg=“brown“ color=“black“ opacity=“off“ space=“30″ link=“no link“]

Traumstände und malerische Buchten Pirgi, ein weiteres sehenswertes Städtchen, befindet sich nur wenige Kilometer von Mesta entfernt. Bekannt ist diese Ortschaft vor allem für ihre bemalten Fassaden, die bis heute mit geometrischen Formen dekoriert werden. Wer die engen Gassen von Pirgi zu Fuss entdeckt, kommt früher oder später automatisch am zentralen Hauptplatz vorbei, auf welchem sich die Bewohner der Stadt in den Tavernen treffen und sich an den Marktständen mit frischem Gemüse und lokalen Früchten versorgen. Hier kann man etwas essen oder sich mit Proviant ausstatten, bevor man sich auf den Weg zu den abgelegenen Stränden der Südküste macht. Eine der malerischsten Buchten der Insel ist Agia Dinami, die über eine gut ausgebaute Strasse zu erreichen ist. Bei der Anfahrt erkennt man den schneeweissen Strandabschnitt und das türkisblau schimmernde Meer schon von Weitem. Hat man es sich dann auf dem Badetuch bequem gemacht, könnte man sich irgendwie auch in der Karibik wähnen.

Ein weiterer toller Strand, den man nicht verpassen darf, ist der Kieselstrand von Vroulidia. Er befindet sich zwischen steilen Klippen am südlichsten Punkt der Insel und ist nur über eine steile Treppe zu erreichen. Etwas weiter östlich liegt das gemütliche Fischerdorf Emporios, in dem man gute Fisch- und Meeresfrüchterestaurants findet. Am Ende des Dorfes führt ein Weg zum schwarzen Lavastrand von Mavra Volia, der aus schwarzen, abgeschliffenen Steinen besteht. Die eindrückliche Lage mit der steilen Felswand, die sich direkt hinter dem Strand erhebt und ihn zu drei Seiten abschliesst, macht einen Besuch dieses Lavastrandes zu einem unvergesslichen Erlebnis.

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