Schön schwul: Diese Schafe lieben, wen sie wollen
Bill Kaulitz hatte ein Herz für sie und sorgte für Aufmerksamkeit. Jetzt geht es auf den Laufsteg
Die «erste schwule Schafherde» grast in Deutschland. Bekannt wurde sie durch eine Patenschaft von Bill Kaulitz. Aus ihrer «Regenbogen-Wolle» entsteht jetzt eine Modekollektion.
Michael Stücke ist ein offener Typ. Nur eines darf man ihn nicht fragen: Wie viele Schafe besitzt du? «Das erfährt nur das Finanzamt und die Tierseuchenkasse», sagt er. Die Frage sei ihm zu intim.
Ohnehin ist die Frage, wie viele Schafe er besitzt, längst nicht so interessant wie die Frage, welche Schafe er besitzt. Denn seit ungefähr einem Jahr hütet er auf seinem Hof in Löhne in Ostwestfalen zusätzlich zum normalen Schäfereibetrieb eine weitere, neue Herde. Und diese Schafherde ist nicht irgendeine Schafherde. Es ist die – so sagt er selbst – erste schwule Schafherde Deutschlands, vielleicht sogar der ganzen Welt.
Die Tiere wurden aufgekauft von Züchtern aus ganz Deutschland und können nun auf Stückes Hof «leben und lieben, wen und wie sie wollen». Aus der Wolle entsteht eine Modekollektion, deren Profite vollständig in Projekte fliessen, die queere Rechte weltweit stärken. Hinter dem Projekt Rainbow-Wool stehen neben Michael Stücke – der selbst mit einem Mann zusammenlebt – noch die Bürgerrechtsorganisation Verband Queere Vielfalt sowie eine Kölner Werbeagentur, die das Projekt ehrenamtlich unterstützt.
Alles habe angefangen, als ihn eine Freundin gefragt habe, ob es eigentlich auch schwule Schafe gebe. Obwohl er seit knapp dreissig Jahren im Geschäft ist, habe er sich nie ausgiebiger mit der Thematik beschäftigt. Doch nach einem weiteren Gespräch mit der Hoftierärztin wuchs die Neugier, Stücke machte sich schlau. Als ihm die Freundin dann vorschlug, schwule Böcke aufzukaufen und aus deren Wolle Mode für den guten Zweck zu machen, willigte er ein in das Wagnis.
Was dann folgte, übertraf Stückes Vorstellungskraft. Sänger Bill Kaulitz adoptierte zwei Schafe als Teil einer Werbeaktion für Rainbow-Wool (MANNSCHAFT berichtete). Medienanfragen überfluteten plötzlich Stückes E-Mail-Postfach. Für einen Videodreh wurde sein kompletter Hof für ein paar Tage in ein Filmset verwandelt. Überall seien Designer und Werbeleute herumgelaufen, erzählt er.
Für Stücke war das auch der Kontakt mit einer Welt, die auf den ersten Blick weit weg zu sein scheint. Er fährt einen Pick-up-Truck wie US-Amerikaner im Mittleren Westen, Bielefeld bezeichnet er als «Metropole» und an seiner Scheunenwand hängt ein Bild des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.
«Unser Projekt zeigt auch, dass wir auf dem Land viel offener sind, als viele denken», sagt Stücke. Das Bild von Kaiser Wilhelm sei selbstverständlich nicht als politisches Statement gemeint. Vielmehr wolle er Besucher*innen auf seinem Hof ein Gefühl dafür geben, aus welcher Zeit das teils über 100 Jahre alte Gerät stammt, mit dem er die Wolle verarbeitet.
Stücke sortiert, wäscht und entwirrt die Wolle auf seinem Hof, bevor sie abgeholt und in einer professionellen Manufaktur versponnen wird – zu Schirmmützen, Aufnähern und Schnürsenkeln in Regenbogenfarben. Mit bislang 21 schwulen Schafen reiche die «Regenbogen-Wolle» noch nicht für grössere Kleidungsstücke. Die Herde wachse aber stetig, er habe noch Kapazität für 100 Böcke. «Dann können wir auch über eine grössere Kollektion sprechen.»
Stücke erhofft sich durch die Geschichte mit den schwulen Schafen auch Aufwind für seine gebeutelte Branche. Er liebe seinen Job, aber die letzten Jahre seien hart gewesen für Schäfer. Erst Jahre mit viel Dürre, jetzt die Blauzungenkrankheit. Viele Betriebe hätten deswegen dicht gemacht. «Man muss sich Projekte ausdenken, die den Betrieb retten.»
Bis an ihr Lebensende sollen die schwulen Schafböcke nun friedlich auf seinem Hof leben, dafür garantiert Rainbow-Wool. Mit Nachkommen dürfte es hingegen schwierig werden.
Auch Stücke macht sich schon so seine Gedanken, wer seinen Hof einmal übernehmen soll. Für ein Männerpaar stelle sich die Frage nach der nächsten Generation anders. Doch bis dahin ist noch etwas Zeit in Löhne.
Die Zahl der Menschen, die sich als nicht-binär identifizieren, ist nicht gross, aber steigend. Die Modeindustrie hat sie als Zielgruppe entdeckt: Unisex-Kollektionen und genderneutrale Labels weichen die Grenzen zwischen Herren- und Damenkleidung zusehends auf. Warum wir alle davon profitieren (MANNSCHAFT berichtete).
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