«Divers» oder «keine Angabe»? In die alte Schublade will ich nicht
Der Kommentar von Anastasia Biefang
Am 1. November tritt in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft. Warum nicht gleich die Geschlechterkategorien über Bord werfen, findet Anastasia Biefang in ihrem Kommentar*.
Wer ist eine Frau? Diese Frage hat bei den diesjährigen Olympischen Spielen für Diskussionen gesorgt (MANNSCHAFT berichtete). Und viele wussten schnell, wer eine Frau ist, wer eine Frau sein darf und wer nicht.
Eine Frau ist, wer als Frau geboren wurde, «Frau» im Ausweis stehen hat und als Frau lebt. Und natürlich nicht trans ist. So habe ich die Äusserungen von IOC-Präsident Bach über die algerische Boxerin Imane Khelif verstanden.
Die Debatte um transidente Menschen im Sport und deren Inklusion ist nach wie vor Stein des Anstosses, Reibungs- und Erzürnungspunkt zugleich für die Gegner*innen von trans Frauen im Sport. Ungerecht und unfair. Anstatt die aufgeflammte Debatte zu nutzen, um eine Athletin zu unterstützen, deren Geschlecht medienwirksam und ohne Beweise in Frage gestellt wurde, und gleichzeitig den Weg für transidente Menschen im Amateur- und Profisport zu ebnen, wurde lediglich erklärt, dass es sich selbstverständlich um eine biologische Frau handele. Alles andere sei Unsinn.
Die Geschlechterdebatte ist wieder voll entbrannt und wir sind immer noch nicht weiter. Am Geschlecht scheiden sich nach wie vor die Geister – zumindest, wenn es um das weibliche Geschlecht geht. Die Frau als Opfer patriarchaler Herrschaft wie eh und je. Warum sollte das im Sport anders sein? Und warum sollten sich Frauen nicht einem Geschlechtstest unterziehen (ausser bei Olympia)? Das müssen schliesslich alle, oder? Oh nein, cis Männer müssen das meines Wissens nicht. Der Frau haftet also immer noch etwas Bedrohliches an und die Steigerung dieser Bedrohung ist die trans Frau.
Wer sind wir also? Wer bin ich? Und warum interessiert das so viele Menschen? Am 1. August konnte ich endlich meinen Antrag auf Personenstandsänderung stellen. Am 1. November tritt in Deutschland das Selbstbestimmungsgesetz in Kraft (MANNSCHAFT berichtete). Endlich können wir selbstbestimmt «divers» oder «keine Angabe» wählen.
In meiner ständigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht komme ich immer wieder auf die Frage zurück: «Was macht unser Geschlecht eigentlich aus?» Wir sind so darauf sozialisiert Geschlecht über Zuschreibungen zu definieren, über stereotype Geschlechterrollen zu leben oder einfach nur auf eine vereinfachte biologische Reduktion der natürlichen Vielfalt zurückzufallen, dass wir das ureigenste Menschliche an und in uns verkennen.
Schmeissen wir die Kategorie Geschlecht doch endlich über Bord. Statt an dieser Kategorie festzuhalten, um sich Zuschreibungen aller Art zu bedienen, wünsche ich mir, dass wir uns auf Augenhöhe, mit Respekt und Achtsamkeit begegnen. Dass gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe nicht durch willkürlich festgelegte Geschlechter(rollen) bestimmt wird.
Lust auf ein Experiment? Lasst uns die Welt neu ordnen. Ich entziehe mich den binären Kategorien. Ob ich ab November «divers» oder «keine Angabe» bin, weiss ich noch nicht. Aber in die alte Schublade will ich nicht mehr. Wir müssen neue Wege gehen. Das schafft Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben ohne patriarchale Unterdrückung. Ich bin raus!
*Die Meinung der Autor*innen von Kolumnen, Kommentaren oder Gastbeiträgen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
Die MANNSCHAFT-Kommentare der letzten Wochen findest du hier.
Die trans Perspektive
Anastasia Biefang war die erste trans Kommandeurin der deutschen Bundeswehr und Protagonistin des Films «Ich bin Anastasia». Sie wohnt in Berlin.
anastasia@mannschaft.com Illustration: Sascha Düvel
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