in

Warum ich dem «Blick am Abend» eine Absage erteilt habe

Es ist schon toll, wenn man als Redaktor eines unabhängigen Magazins den Anruf von einer auflagenstarken Zeitung wie dem «Blick am Abend» erhält. Sie wolle die Meinung des Experten hören, sagt mir die Journalistin am Telefon.

Die neuen Kandidaten der Realityshow «Die Bachelorette» wurden heute bekanntgegeben. 21 «Traumtypen» buhlen auf dem Privatsender 3+ um die Gunst der Bachelorette Eli Simic. Ob ich nicht auch denke, dass viele dieser Typen einfach schwul seien?

Um ihren Punkt zu erläutern, schickt mir die Journalistin Fotos von gleich sechs Männern, die vermeintlich schwul sein sollen und zu denen ich mein Verdikt abgeben soll. Ich sehe gezupfte Augenbrauen, goldene Ohrringe, ein Anzug mit Blümchenaufdruck und ein Veston aus falschem Schlangenleder. Dazu die hoffnungsvollen Gesichter von Single-Männern, die sich für den Fototermin bei der Presse sicherlich mächtig ins Zeug gelegt haben, um bei der Bachelorette einen möglichst guten ersten Eindruck zu hinterlassen.


«Eli, sind das wirklich 21 Traumtypen?» titelte heute morgen 20 Minuten. Sind die Typen zum Fremdschämen? Natürlich. Hat man beim Fototermin das Styling absichtlich gestrichen, um die Kandidaten in ein nicht so vorteilhaftes Licht zu rücken? Wahrscheinlich.

Mir ist klar, dass der «Blick am Abend» auf den Fremdschäm-Zug aufspringen will. Dass dies aber auf der schwulen Schiene geschehen soll, finde ich aus zwei Gründen falsch.

Erstens, dass man aufgrund von Äusserlichkeiten auf die Sexualität eines Menschen schliessen kann. Wir haben 2017 und nicht 1997. Metrosexuelle Männer haben das Zupfen der Augenbrauen schon längst von den Schwulen abgeguckt. Männer, die Wert auf ihr Äusseres legen oder ausgeflippte Outfits tragen –das hat schon lange nichts mehr mit «schwul» zu tun.


Zweitens, und dieser Grund stört mich um einiges mehr, soll die Bezeichnung «schwul» in diesem Zusammenhang dazu dienen, die Männer zu emaskulieren. Wie bereits erwähnt gehts bei dieser Realityshow um 21 Männer, die sich für eine Frau ins Zeug legen. Mit «schwul» hat das gar nichts zu tun. Der «Blick am Abend» hat es aber geschafft, einen Zusammenhang herzustellen und uns folgende Botschaft zwischen den Zeilen zu übermitteln: Du ziehst dich schwul an, du kannst unmöglich auf Frauen stehen. Oder: Diese Männer finden wir besonders lächerlich aussehend, die müssen doch schwul sein.

Wie ich von der druckfrischen Ausgabe des «Blick am Abend» entnehmen kann, ist die Auswahl «schwuler» Kandidaten auf drei reduziert worden. Als «Experten» haben sie jemand anderes auftreiben können, der meine Aufgabe als «Gay-Radar» übernommen hat. Ob sich die 18 Kandidaten heute Abend freuen, dass ihre drei Kollegen von der Presse als schwul dargestellt werden? Ob sich diese drei Kandidaten nun in ihrer Männlichkeit bedroht fühlen? Schliesslich wird doch ihre Fähigkeit angezweifelt, der Bachelorette zu gefallen.

Eine solche Form von Journalismus kann Konsequenzen haben. Was, wenn einer von ihnen wirklich schwul ist? Was, wenn einer dieser Kandidaten sich so gekränkt fühlt, dass er dem nächsten Schwulen eine reinhaut? Ja, wir sind leider noch nicht soweit, dass schwule Männer in allen Schweizer Gesellschafts- und Altersschichten akzeptiert sind. Schwul als Schimpfwort ist bei Jugendlichen immer noch gang und gäbe, leider auch Mobbing und Gewalt gegen solche, die anders sind. Viele Menschen scheinen auch heute noch der Meinung zu sein, dass Schwule nicht männlich sein können.

Wenn nun der «Blick am Abend» diesen Bachelorette-Kandidaten ihre Männlichkeit abspricht und einen «Experten» findet, der sie als «schwul» abstempelt, ist das zwar noch lange kein Aufruf zu Diskriminierung oder Gewalt. Es ist aber sehr wohl eine Herabsetzung von Schwulen und suggeriert, wer so ausschaue, könne ja gar nicht heterosexuell sein.


Aufruf zum Protest in Bern gegen die Lage in Tschetschenien

Dr. Gay – langes Leben mit HIV?