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Trotz Kritik: Rehabilitierung wird Gesetz

Der Bundestag hat am Abend das „Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“ verabschiedet. Es sieht vor, dass Verurteilte pauschal 3.000 Euro sowie 1.500 Euro je angefangenem Jahr ihrer Inhaftierung erhalten. Laut Bundesstiftung Magnus Hirschfeld kommen 4.000 bis 5.000 Betroffene für eine Entschädigung infrage.

Dies gilt allerdings nur für Männer, deren Partner mindestens 16 Jahre alt waren – auch wenn die sexuellen Handlungen mit Unter-16-Jährigen einvernehmlich stattfanden. „Hierdurch soll dem Gedanken des Jugendschutzes möglichst umfassend Rechnung getragen werden“, heißt es in der Begründung des Rechtsausschusses. Diese Änderung war am Dienstag kurzfristig beschlossen worden und sorgte bei homosexuellen Sozialdemokraten für viel Kritik.

Knallharte Diskriminierung


Die Anhebung des Schutzalters auf 16 nannte die SPDqueer-Chefin Petra Nowacki „eine knallharte Diskriminierung“. Es sei eine „Unverschämtheit“, dass die Unionsfraktion angedroht habe, den Gesetzentwurf sonst ganz fallen zu lassen. Sie sei aber auch „enttäuscht“ von der eigenen Fraktion, die sich darauf eingelassen habe.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Für mich persönlich ist das nicht nur unverständlich, sondern auch hochgradig unanständig.[/perfectpullquote]
Johannes Kahrs (SPD) zeigte sich gegenüber der Mannschaft ebenfalls enttäuscht und warf der Fraktion von CDU/CSU vor, „Wahlkampf auf dem Rücken der noch überlebenden Betroffenen“ zu machen. Aus heutiger Sicht sei 16 ein vernünftiges Alter. „Aus Sicht der damals Betroffenen war es aber so, dass sie einvernehmliche sexuelle Handlungen von Personen ab 14 Jahren der Rechtslage entsprachen. So behandeln wir heute Homosexuelle anders als Heterosexuelle damals, auch wenn ich in der heutigen Zeit eine Altersgrenze von 16 Jahren akzeptiere. Die damalige Rechtslage war jedoch anders.“

Unanständiges CDU-Manöver


Kahrs weiter: „Für mich persönlich ist das nicht nur unverständlich, sondern auch hochgradig unanständig. Bei jedem Schritt zur rechtlichen Gleichstellung blockiert Frau Merkel und die Union. Das, was jetzt passiert, ist nur eine weitere peinliche Episode in Sachen Gleichstellung in ihrer Kanzlerschaft.“

Die schwulen Abgeordneten der Union, Kaufmann und Fabritius, sahen in der kurzfristig veränderten Altersgrenze kein Problem.

Dass die SPD-Bundestagsfraktion dem Gesetzentwurf zustimmte, läge nicht daran, dass die SPD die Anhebung der Altersgrenze gutheiße, erklärte Johannes Kahrs. „Vielmehr wäre die Alternative [gewesen], dass die CDU/CSU das Gesetzesvorhaben komplett blockiert und die Rehabilitierung und Entschädigung überhaupt nicht mehr kommt.“ Man sei den Kompromiss eingegangen, „damit den noch lebenden Opfern Gerechtigkeit widerfährt. Das ist eine Frage des Anstands und Respekts gegenüber denen, die Jahrzehnte lang gelitten haben“, so der SPD-Politiker.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““] Die vorgesehene Entschädigung für die Opfer ist viel zu gering. [/perfectpullquote]
Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) begrüßte den Beschluss zur Rehabilitierung und Entschädigung der Opfer antihomosexueller Strafgesetzgebung. „Das ist ein historischer Schritt. Es gibt aber bittere Wermutstropfen. Das Gesetz hat gravierende Lücken“, kritisierte LSVD-Sprecher Helmutz Metzner. Neben den unterschiedlichen Schutzaltersgrenzen, die eine fortgesetzte Diskriminierung bedeuteten, nannte er die geplanten Entschädigungszahlungen „viel zu gering. Schon die strafrechtliche Ermittlung nach § 175 StGB bewirkte gesellschaftliche Ächtung, bedeutete oft den Verlust des Arbeitsplatzes und der gesamten beruflichen Karriere. Die Auswirkungen sind bis heute spürbar, zum Beispiel bei der Höhe der Rente. Das muss ausgeglichen werden.“

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) bedauert die Änderung der Altersgrenze. „Es wäre richtig und im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gewesen, für homosexuelle Beziehungen im Nachhinein das identische Schutzalter anzulegen, das für heterosexuelle Paare galt und bis heute gilt“, unterstrich ADS-Chefin Christine Lüders.

Lob für Justizminister

Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung bedauert ebenfalls die Änderung in letzter Minute. Vorstand Jörg Litwinschuh dankte jedoch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD), der sich „mit großem Engagement für die Rehabilitierung der Opfer eingesetzt“ habe und viele Widerstände habe überwinden können. „Leider können viele, die durch eine Verurteilung Arbeit und Ansehen, An- und Zugehörige verloren haben, diesen Tag nicht mehr erleben. Sie sind bereits verstorben. Andere trieb der soziale Tod in den Suizid. Doch ich bin sehr froh darüber, dass endlich Gerechtigkeit geschaffen wird. Denn Gerechtigkeit kennt kein Verfallsdatum“, so Litwinschuh. Für alle, die wegen der veränderten Altersgrenze möglicherweise Nachteile haben, fügte er hinzu: „Ich werde den nicht rehabilitierten Opfern Mut machen, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.“


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