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Endspurt: Der Kampf gegen miese Umfragewerte

Als der Schulz-Zug losfuhr, hatte Erik sich seinen Platz an Bord schon gesichert. Vier Monate vorher war der 33-jährige Berliner der SPD beigetreten und konnte den Hype um den Kanzlerkandidaten und neuen Parteichef mitfeiern. Mit Anfang 30 ist man eigentlich ein bisschen spät dran, aber Erik hat zuvor lange in Frankreich gelebt und gearbeitet. Bei seiner Rückkehr nach Berlin 2016 konnte er dann sein Vorhaben endlich umsetzen. Erik stammt aus einem sozialdemokratischen Milieu, der Ur-Ur-Großvater war schon Sozialdemokrat. Auch seine mehrheitlich linken Freunde waren nicht überrascht, dass er in die SPD eingetreten ist.

Dass die Partei 2013 mit dem Slogan „100% Gleichstellung – nur mit uns“ angetreten war, was sie als Juniorpartner in der Großen Koalition aber nicht durchsetzen konnte, hat man ihr bis zum Bundestagsbeschluss zur Eheöffnung am 30. Juni immer wieder vorgeworfen. Auch Neu-Genosse Erik musste nun das Vorgehen der Partei verteidigen. Es gebe nun mal gewisse Zwänge im Politikbetrieb, sodass die SPD bis zum Schluss die Koalitionsdisziplin gewahrt und sich an die Vereinbarungen mit der Union gehalten habe. „Man kann eben nicht einfach machen, was man will, wenn man einen Koalitionsvertrag unterschrieben hat. Die Union musste auch unseren Mindestlohn widerwillig mittragen. Einen Großteil der Leute in meinem Umfeld, die das Verhalten der SPD angeprangert hatten, konnte ich überzeugen.“

Anfangs dachte ich, es kommt zu wüsten Beschimpfungen und man geht desillusioniert nach Hause

In den vergangenen Wochen und Monaten hat der junge Sozialdemokrat im Tür-zu-Tür-Wahlkampf für Martin Schulz geworben. „Anfangs dachte ich, es kommt zu wüsten Beschimpfungen und man geht desillusioniert nach Hause – aber ganz im Gegenteil. Wer nicht reden will, gibt einem das zu verstehen, und man trennt sich ganz zivil. Am interessantesten sind die, die sich von der Politik abgewendet haben oder die noch unschlüssig sind, wo sie ihr Kreuz machen.“ Wenn er jemanden dazu bringt, am 24. September wählen zu gehen, ist er zufrieden (hier gibt es Entscheidungshilfen des LSVD für queere Wähler). Idealerweise sollte der Wähler oder die Wählerin das Kreuz natürlich bei der SPD machen, aber wenn jemand CDU wählt, ist das „eine Kröte, die ich schlucken muss.“ Dass möglichst viele zu den Urnen gehen, ist wichtig für eine starke Demokratie. Besser als wenn einer zu Hause bleibt, findet Erik.


SPD Wahlkampf – Parteiarbeit und Plakatieren
Auch wenn der Hype um Schulz nicht lange hielt: Für Erik ist die Wahl noch nicht gelaufen. Ohne den nötigen Optimismus könnte er auch keinen Wahlkampf machen, Plakate kleben oder immer wieder Abende und Wochenenden für Parteiarbeit opfern, in Fachausschüssen für internationale Beziehungen und bei SPDqueer natürlich, der Arbeitsgemeinschaft für LGBTI-Anliegen. „Martin Schulz ist der beste Kandidat“, sagt er, als wir uns Anfang Juli treffen. Da sind es noch zweieinhalb Monate bis zur Wahl. Stimmungen und Umfragen können sich schnell ändern, glaubt er. Für ihn ist Schulz im direkten Vergleich der überzeugendere Kandidat. Zu Anfang habe man ihm vorgeworfen, er sei zu unkonkret; als der Herausforderer der Kanzlerin aber inhaltliche Akzente zu setzen begann, warf man ihm vor, sich im Klein-Klein zu verlieren.

SPD Wahlkampf
SPD-Plakat auf Halbmast (Foto: Kriss Rudolph)

Die Entscheidung zur Ehe für alle wirkte sich zwar nicht positiv auf die Umfragewerte für die SPD aus, die Stimmung unter den Sozen habe es aber sehr wohl beeinflusst. Erik spricht von einem „greifbaren Moment.“ Er sei im Nachhinein immer noch überrascht und fand es gut, wie die SPD im entscheidenden Moment das Heft in die Hand genommen hat.

SPD Wahlkampf gegen die 20-Prozent-Hürde
Zwei Monate später. Bis zum Wahltag sind es nur noch wenige Tage. Laut Meinungsforschungsinstitut YouGov liegt die SPD bei 25 Prozent, laut Insa-Meinungstrend bei 22, vergangene Woche sah Infratest dimap die Sozialdemokraten gar bei 20 Prozent. Wir wollen von Erik wissen, wie man sich angesichts solcher Werte für den Wahlkampf motiviert.


„In Berlin sind die Rückmeldungen auf der Straße deutlich positiver als es die Umfrageergebnisse“, lässt er uns wissen. Und fügt hinzu: „Insbesondere beim zeitgleich stattfindenden Tegel-Volksentscheid wird den Wählern und Wählerinnen klar, dass Fakten und Konzepte uns mehr voranbringen als Opportunismus und Nostalgie von FDP und CDU!“ Auf seinen Kanzlerkandidaten lässt der junge Genosse nichts kommen. Auf die Frage, ob Schulz zu schwach ist oder Merkel zu stark, antwortet er wie ein Politikprofi: ausweichend. „Wie stark Merkel und wie schwach Schulz ist, sehen wir am Sonntag um 18 Uhr. „

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