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«Schwuppen» gegen «Kampflesben» – was soll das?

Die Community sollte Respekt und Toleranz nicht nur von anderen einfordern, sondern diese auch selbst leben

Kampflesbe
Symbolbild: Arisa Chattasa

Ob BLM, Feminismus oder LGBTIQ – all diese Bewegungen fordern mehr Gleichberechtigung, Respekt und Toleranz ein. Zu Recht. Doch sind einige ihrer Vertreter*innen nicht davor gefeit, selbst andere auszugrenzen: Oft zücken sie dieselben Waffen wie jene, die sie der Diskriminierung bezichtigen, und greifen das Anderssein anderer an. Wer Respekt und Toleranz fordert, sollte diese auch selbst leben, schreibt Predrag Jurisic im Samstagskommentar**.

«Kampflesbe*», «bull dyke» und «camionera» – drei Sprachen, ein Begriff und dieselbe abwertende Bedeutung: Lesben seien kämpferische, männliche oder grobschlächtige Wesen, wie es der umgangssprachlich gebrauchte spanische Begriff «camionera» für «Lkw-Fahrerin» suggeriert. Zu den männlichen Pendants gehören Ausdrücke wie «Schwuchtel*», «faggot» und «maricón» – nicht minder diskriminierend und herablassend.

Das sind alles Begriffe, gegen die Lesben und Schwule jahrzehntelang angekämpft haben. Und doch brauchen sie diese Begriffe auch innerhalb der Community, um Menschen, die ihnen nicht passen, zu degradieren oder sich ihnen gegenüber besser zu stellen. Die Rede ist hier nicht von Parodien und Witzen innerhalb des eigenen Freundeskreises, die bestimmt so manch eine*r in einer feuchtfröhlichen Runde erlebt und darüber gelacht hat. Vielmehr sind es dieselben diskriminierenden Muster und Vorurteile, mit denen die Community seitens von Homohasser*innen zu kämpfen hat, diese aber dann selbst anwendet – ob sexistisch oder rassistisch.

«Normalerweise verprügle ich Jugos» – ein Satz, dem der Schreibende in einem bekannten schwulen Chatportal mit Entsetzen schon begegnet ist. Ebenso Profilbeschrieben wie «bitte keine Asiaten, Blacks, Latinos oder Transen». Rassismus und Diskriminierung sind in der nach aussen oft als offen wirkenden Regenbogen-Community weiterverbreitet, als viele wahrhaben wollen (MANNSCHAFT berichtete).


Lasst bitte die Regenbogenfahne in Ruhe!

Dass Rassismus und Diskriminierungen in allen Bevölkerungsgruppen und Schichten vorkommen, ist nicht neu. Allerdings braucht es in solchen Fällen dieselbe Zivilcourage wie an den Prides: Ein klares Nein zu Diskriminierung und Rassismus – immer und immer wieder. Sei dies im Freundeskreis, wenn jemand eine abfällige Bemerkung wie «dämliche Schwuppen» oder «untervögelte Kampflesben» macht, im Chatroom oder an einer Party. Dabei macht der Ton die Musik. Etwas, das seit Social Media vermehrt in Vergessenheit zu geraten gerät, aber enorm wichtig ist, wenn es darum geht, rassistischen, sexistischen oder homo- und transphoben Hetzen und Strömungen entgegenzuwirken.

Cancel Culture hilft nicht
Der Begriff «Cancel Culture» stammt aus dem Angelsächsischen und ist im Zuge der Me-too- und Black-Lives-Matter-Bewegung berühmt geworden. Gemeint ist das Streichen – also «Canceln» – der Unterstützung von öffentlichen Personen oder Organisationen bei einem moralisch-ethischen Fehlverhalten. Dies erfolgt vorwiegend über die sozialen Netzwerke – meist mit dem Ziel, der betroffenen Person oder Organisation einen medialen Aufmerksamkeitsverlust und damit einhergehenden Reputationsschaden zuzufügen oder Events zu boykottieren (MANNSCHAFT berichtete).

Die Folgen sind einerseits, dass sich solche Personen und Organisationen zwar formal entschuldigen, dann aber alles beim Alten belassen. Wie bekannte Textilkonzerne, wenn der Vorwurf einer unfairen und umweltschädigenden Textilproduktion vorliegt. Oder soziale Netzwerke, die bei Datenschutzverfehlungen und politischen Manipulationen ein Lippenbekenntnis ans andere reihen. Andererseits ziehen sich angeprangerte Personen und Organisationen gänzlich zurück und verstärken ihre kritisierte Denk- oder Verhaltensweise erst recht und radikalisieren sich zunehmend.


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Mehr Diskussionskultur statt Empörialismus

Die Cancel Culture ist im Begriff, die Diskussionskultur zu verdrängen: Es finden keine Diskussionen im persönlich wertschätzenden, sachlich, aber kritischen Dialog mehr statt. Es jagen vielmehr verbale Prügelorgien empört über den Globus.

Dass dies fundamentalistischen und radikalen Kräften in die Hände spielt, zeigt sich anhand der gesellschaftspolitischen Entwicklungen der vergangenen Jahre: Autoritäre, homo-/trans- und xenophobe sowie rassistische Parteien oder gar ganze Regierungen haben längst das Ruder der Realität übernommen oder greifen zumindest danach – ob in Europa, in den BRICS-Staaten (gemeint sind siw Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, Anm. d. Red.). oder in Nordamerika.

Dies, weil nicht mehr zugehört und argumentiert, sondern aufgezwungen, diktiert oder abgekanzelt wird: Abweichende Meinungen oder Haltungen werden als böse, falsch und schlecht an den Pranger gestellt. Dabei liegt das Mittelalter längst hinter uns: Denn die Kraft der Überzeugungsarbeit besteht im argumentierenden Dialog, um langfristig positive Veränderungen und Annäherungen zu erzielen, und nicht im ablehnenden, entrüsteten und verbitterten Meinungsdiktat.

Für die Zukunft ist die Diskussionskultur dem Empörialismus vorzuziehen, weil wir sonst als Community – egal, welcher Couleur – Gefahr laufen, nicht mehr als benachteiligte Minderheit wahrgenommen zu werden, sondern als eine militante Gruppe. Von den inneren Anfeindungen mal abgesehen …

Seid unendlich viele Tropfen!
Darum, liebe «Schwuppen» und «Kampflesben», bevor ihr mal wieder zum verbalen Rundumschlag innerhalb der Community ansetzt, aber nach aussen hin Toleranz und Respekt fordert: Schaut doch auch in euren Reihen nach dem Rechten und engagiert euch dort, wo ihr Ausgrenzungen und Diskriminierungen auch indirekt begegnet – ob ethnisch, religiös, sexuell, alters- oder geschlechtsbedingt.

Weniger Last, mehr Tage wie diese

Letztlich höhlt der stete Tropfen den Stein. Also seid unendlich viele Tropfen und macht die Welt besser, innerhalb wie ausserhalb der Community. Seid Vorbild, wenn es um eine faktenorientierte Diskussion geht. Verliert dabei aber nie das Gefühl von Respekt und Wertschätzung eures Gegenübers. Selbst wenn diese*r es euch nicht leicht macht. Übt euch in Redekunst wie die antiken Denker*innen und Redner*innen, die mit Argumenten Menschen erreichten, nicht mit empörialistischem Gehabe. Denn verbale Prügel virtuell platziert sind nichts anderes als die Holzkeule der Steinzeit.

*Die Begriffe «Schwuppen» und «Kampflesben» dienen in diesem Kommentar als provokantes Stilmittel, um aufzuzeigen, was in der Regenbogen-Community oft als Ausdruck fällt und selten jemand dagegen interveniert. Der Autor distanziert sich ausdrücklich von solchen Begriffen.

**Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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