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Als Schwuler auf dem Land – ein Romandebüt mit Tiefgang

«Vom Land» brilliert mit Stärke und gesellschaftlicher Relevanz

Queere literatur
Bild: Olivia Wimmer/Paul Zsolnay Verlag

Queere Literatur für eintönige Tage: Armin Stromer wirft einen neuen Blick auf die Geschwister Mann und Freunde, «Ist das normal?» ist ein Sexualitätspodcast in Buchform und Dominik Barta erzählt in «Vom Land» vom Leben als Schwuler auf dem Land.

Der erste Satz
Theresa rang nach Luft. Es ging nicht mehr.

Das Genre
Ein grosser schwuler Heimatroman 

Die Handlung
Wie fühlt es sich an, als Schwuler vom Land zu kommen? Dominik Barta holt hierzu nicht weit aus, sondern beschreibt die aktuelle Momentaufnahme eines Dorfes in Oberösterreich. Sein besonderer literarischer Ansatz, um die Beklemmung zu schildern, in der ein Schwuler hier aufgewachsen ist, besteht darin, dass er vordergründig nur eine Nebenfigur der Ereignisse und des Romans zu sein scheint – marginalisiert, wie es Schwule auf dem Land eben sind. Die Geschichte beginnt mit seiner Mutter, Theresa, die als 60-jährige Bäuerin mit ihrem Mann den Hof noch bewirtschaftet, doch eines Tages für alle unerklärlich in Apathie verfällt, »nicht mehr funktioniert«.


Lesen in Zeiten von Corona

Keiner aus der Familie kann mit dieser Situation umgehen, alle drei Kinder sind einigermaßen desinteressiert am elterlichen Hof, einzig Daniel, der pubertierende Enkel Theresas hält sich hier gern auf. Als sich Daniel mit dem etwas älteren Toti anfreundet, der aus Syrien nach Österreich geflohen ist und in einem nahegelegenen Flüchtlingsheim wohnt, scheint auch Erwin, Theresas Mann, jemand gefunden zu haben, der sich für bäuerliche Arbeit interessiert und am Hof mitarbeiten, ja ihn vielleicht sogar übernehmen kann. Doch die Fremdenfeindlichkeit und Borniertheit der eingesessenen Bevölkerung droht alles ebenso heimtückisch wie brutal zu zerstören. Am Ende der Geschichte steht ebenso das hoffnungsvolle Coming-out des schwulen Sohnes wie eine einsame Entscheidung seiner Mutter, die nur ihr in der Heimat ebenso einsamer Sohn akzeptieren kann.

Eine packende Geschichte, die vor allem durch ihre Sprache eine große Kraft entfaltet: Durchgängig in einer literarischen Hochsprache gehalten, lässt Dominik Barta vor allem das zur Geltung kommen, was seine Figuren mitzuteilen haben – ohne mit einer imitierenden Stimme das zu verfremden, worum es ihnen eigentlich geht – sei es im Dialekt der Einheimischen, sei es in der noch nicht voll erlernten fremden Sprache der Zugewanderten. Zugleich ist der Roman aber nicht in einer neutralen Standard-, sondern einer eigentümlichen, kargen Kunstsprache verfasst, die gekonnt ganz verschiedene Sprachmilieus durchschimmern lässt.

«Bis vor zwei Jahren habe ich ein Doppelleben geführt»

Fast durchgängig auktorial verfasst, durchbrechen kurze Passagen in Ich-Perspektive fast wie Testimonials den Bericht. Auch hier schafft es Dominik Barta der Hochsprache dieser Stimmen – in der sie sicherlich nicht sprechen, das macht der Roman klar – einen persönlichen Glanz zu verleihen. Und nicht nur der Roman-Schluss, sondern auch diese Passagen deuten auf die Antwort der unausweichlichen, freilich vom Roman selbst nie offen gestellten Frage: Wessen Geschichte ist dies eigentlich? Ein tastendes, ebenso klares wie empathisches Ausloten schwulen Lebensgefühls, das sein Selbst darin findet, was für die Mehrheit nicht nachvollziehbar ist.


Das Urteil
«Vom Land» besticht nicht nur durch die sprachlich wie erzählerisch aussergewöhnliche Verfremdung des Genres Heimat­roman. Barta beschreibt Individualität entgegen der allgemeinen Auffassung nicht als einmalige Mischung diverser Eigenschaften, sondern als dasjenige, das sich allen sozialen Erwartungen und Zugriffen entzieht. Ein Roman, der zeigt, dass man nur in der Einsamkeit zur Besinnung kommt.

Roman, 168 Seiten, Zsolnay 2020

Veit Georg Schmidt von der Wiener Buchhandlung Löwenherz hat «Vom Land» für uns gelesen. Dort kann man das Buch auch bestellen.

Weitere Buchtipps:

«Dichterkinder» von Armin Stromer

Klaus, Sohn von Thomas Mann, war schwul. Die Tochter Erika lesbisch. Der Kreis um die beiden Geschwister bestand im Kern aus fünf Freund*innen, deren Kreativität sich gegenseitig beflügelte. Klaus Mann brach in seinen Romanen die Tabus um Homosexualität und freie Liebe, Mopsa Sternheim entwarf das Bühnenbild für seine Theaterfassungen, Erika Mann und Pamela Wedekind erarbeiteten Bühnenstücke, während Annemarie Schwarzenbach aus aller Welt berichtete.
Als promovierter Germanist gewährt Armin Strohmeyr einen Einblick in eine erotisch aufgeladene Freundschaft sowie in die radikalen literarischen und politischen Umbrüche der Zwanziger- und frühen Dreissigerjahre.

Sachbuch, 384 Seiten, Piper.

schule literatur

«Ist das normal?» von Büttner, Schadwinkel, Stockrahm

Sexuelle Vorlieben sind individuell. Was man als normal empfindet, auch. Wer die eigenen sexuellen Bedürfnisse, Wünsche und Grenzen kennt, kann offener mit Sexualität umgehen. Die Macher*innen des Sexpodcasts auf Zeit Online sprechen offen und einfühlsam über unsere sexuelle Identität. Sie zeigen Wege auf, den eigenen Körper neu zu erleben, und erklären, wie man mit all den Erwartungen, die Gesellschaft, Medien oder Partner*innen an uns stellen, sich treu bleiben kann.

Der Podcast in Buchform: Die Sexualtherapeutin Melanie Büttner, Onlineredakteurin Alina Schadwinkel und Journalist Sven Stockrahm präsentieren verschiedene Ansätze, um sich selbst und der individuellen Sexualität ein Stück näher zu kommen.

Sachbuch, 366 Seiten, Beltz.

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