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Nach der Eheöffnung: Die Arbeit geht weiter

Am Freitag ist die Ehe für alle im Deutschen Bundestag beschlossen worden. Während alle anwesenden Abgeordneten von SPD, LINKE und GRÜNEN mit Ja stimmten, votierte ein Großteil der Unionsabgeordneten mit Nein. Immerhin: 75 von 309 schlossen sich den Befürwortern an, darunter Verteidigungsministerin von der Leyen, die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Grütters, Kanzleramtschef Altmaier und Generalsekretär Tauber sowie das offen schwule Präsidiumsmitglied Jens Spahn.

Petra Nowacki, seit vergangenem Herbst SPDqueer-Chefin, geht davon aus, dass sich der Einsatz der SPD und ihres Kanzlerkandidaten in der vergangenen Woche bei den nächsten Wahlen niederschlägt. Man habe zwar in den zurückliegenden vier Jahren ein Glaubwürdigkeitsproblem wegen des Slogans „100 % Gleichstellung – nur mit uns“ gehabt, was man dann nicht umsetzen konnte; nun aber wurde das Versprechen eingehalten, wenn auch erst am letzten Sitzungstag vor der Sommerpause.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]Ich bin sicher, dass sich die Einstellung zur Ehe für alle in der Union über kurz oder lang ändern wird. [/perfectpullquote]
Der Bundesvorsitzende der Lesben und Schwulen in der Union, Alexander Vogt, glaubt seinerseits, dass wiederum die CDU für viele wählbarer wird, da das Thema Eheöffnung durch sei. „Natürlich gibt es diejenigen, die sauer sind auf die CDU, aber aus meinem Umfeld kenne ich viele, die sie wegen ihrer Blockadehaltung beim Thema Ehe nicht gewählt haben. Ich bin auch sicher, dass sich die Einstellung zur Ehe für alle in der Union über kurz oder lang ändern wird. Eberhard Diepgen [der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin und Amtsvorgänger von Klaus Wowereit, Anm. d. R.], hat früher gegen die Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft gekämpft, begründet aber seine Ablehnung der Ehe für alle damit, dass er nun sagt, die Lebenspartnerschaft sei doch so ein tolles Rechtsinstitut.“


Eheöffnung
Petra Nowacki, SPDqueer-Chefin beim Jahresempfang der LSU (Foto: Kriss Rudolph)

Jahrelang haben queere Aktivisten und Politiker für die Eheöffnung gekämpft, darunter die LGBTI-Verbände in SPD und Union, SPDqueer (seit 1978, ursprünglich „Schwusos“) und LSU (seit 1998). Das ist nun erreicht. Aber Petra Nowacki sagt im Gespräch mit der Mannschaft: „Wir sind noch lange nicht fertig.“ Eine Interessenvertretung von Minderheiten brauche es immer, sei es um Diskriminierung zu vermeiden oder um bei tatsächlicher Diskriminierung tätig zu werden. Alltagsdiskriminierung werde nie verschwinden, das sehe man auch bei anderer gruppenbezogener Diskriminierung, bei Antisemitismus oder Frauenfeindlichkeit etwa.

Grundgesetz ändern

Als konkretes Ziel künftiger Anstrengungen nennt Nowacki eine Ergänzung des Artikels 3 des Grundgesetzes: „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“ In Absatz 3 heißt es: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Die SPDqueer will sich dafür einsetzen, dass auch die Merkmale sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität mit ins Grundgesetz aufgenommen werden.


Auch an die rechtlichen Rahmenbedingungen für Regenbogenfamilien müsse man als nächstes ran, sagt Nowacki. Hier seien exakt gleiche Rechte und Pflichten für homosexuelle Eltern problematisch. Die SPDqueer-Chefin gibt folgendes Beispiel: „Zwei Schwule und zwei Lesben tun sich zusammen, um eine Familie zu gründen; irgendwann sind sie alt und müssen vielleicht alle ins Pflegeheim. Dann wollen wir aber nicht, dass das arme Kind für alle vier Elternteile aufkommen muss.“ Als weitere Themen nennt Nowacki u.a. die Reform des Transsexuellengesetzes und eine bessere Sensibilisierung in der Ausbildung von Pflegekräften für die Arbeit mit queeren älteren Menschen.

PrEP: Krankenkassen sollen zahlen

Die Novelle des Transsexuellengesetzes aus dem Jahr 1980 steht auch für ihren CDU-Kollegen Alexander Vogt ganz oben auf der Prioritätenliste – es wurde seit Inkrafttreten nicht mehr grundlegend reformiert, das Bundesverfassungsgericht hat es sogar teilweise für verfassungswidrig erklärt. Auch das Thema Intersexualität müsse unbedingt aufs Tapet gebracht werden. Operationen bei Kindern, die mit Geschlechtsmerkmalen auf die Welt kommen, die uneindeutig seien, müssten gesetzlich verhindert werden.

Eheöffnung
LSU-Chef Alexander Vogt (Foto: LSU)

Im Bereich der PräExpositionsProphylaxe (PrEP) zum Schutz vor HIV fordert Vogt im Gespräch mit der Mannschaft, dass die Kosten von den deutschen Krankenkassen übernommen werden, was in Nachbarländern wie Frankreich und Belgien schon der Fall ist. „Wenn wir AIDS ausrotten wollen – und das können wir mit der PrEP –, und sogar noch damit Geld einsparen können, dann sollten wir die Gelegenheit nutzen. Jede antiretrovirale Therapie kostet Unsummen, aber mit einem Medikament, bei dem der Patentschutz in Deutschland jetzt ausgelaufen ist, lässt sich verhindern, dass sich Menschen anstecken: Um bis zu 60 % sind die Infektionsraten in den USA und in Großbritannien gesunken.“ Vogt will erreichen, dass deutsche Ärzte die PrEP verschreiben können und die Krankenkassen dafür aufkommen. Man haben dazu schon ermutigende Gespräche geführt, so der LSU-Chef, Bundesgesundheitsminister Gröhe (CDU) scheine bei dem Thema sehr aufgeschlossen.

Die Genossen sind da schon ein Stück vorangeprescht: Die Berliner SPD hat auf ihrem Landesparteitag im Mai als erste Partei beschlossen, dass die PrEP künftig kostenlos an Männer, die Sex mit Männern haben, abgegeben werden sollte. „Die Kosten einer PrEP müssen […] für die Risikogruppen, analog zu den Leitlinien von UNAIDS und der WHO (bspw. Männer, die häufig wechselnde männliche Sexualpartner haben), in Deutschland übernommen werden“, so der Beschluss.


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