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Mit Posterkampagne: Die «Operette für zwei schwule Tenöre» kehrt zurück

Das Erfolgsstück von Johannes Kram und Florian Ludewig wird derzeit gross beworben in Berlin

«Operette für zwei schwule Tenöre»
«Auf gar keinen Fall anal»: Szene aus der «Operette für zwei schwule Tenöre» im BKA (Foto: Privat)

Kommende Woche kehrt die «Operette für zwei schwule Tenöre» von Johannes Kram und Florian Ludewig für eine dritte Aufführungsserie ins Berliner BKA zurück. Kombiniert ist das mit einer grossen Plakataktion und der Ankündigung, dass es bald auch anderswo Inszenierungen des Erfolgsstücks geben wird. MANNSCHAFT sprach mit dem LGBTIQ-Aktivisten Kram über sein Musiktheaterwerk und dessen Zukunftsaussichten.

Johannes, eure «Operette für zwei schwule Tenöre» kommt jetzt bereits zum dritten Mal zurück nach Berlin. Das ist schon sensationell, dieser Erfolg. Wie erklärst du dir, dass das Stück solchen Anklang beim Publikum findet?
Ich glaube, ein solches Stück hat einfach gefehlt. Zunächst einmal natürlich in der queeren Community, wo das Stück ja nicht nur bei den Schwulen den Effekt hat: Endlich sind wir gemeint, nicht nur als Neben-, oder Spassfaktor, sondern als Kern der Geschichte und des Gefühls. Und für die Heteros gibt es ganz viele Aha-Effekte.

«Operette für zwei schwule Tenöre»
Plakate für die «Operette für zwei schwule Tenöre» am Nollendorfplatz in Berlin (Foto: Facebook / Johannes Kram)

In der letzten Staffel hat mich eine ältere Dame angesprochen, die sich mit ihrem Mann eigentlich für die klassische Oper schick gemacht hatte – also die beiden richtig mit Abendkleid und Fliege – und die mir überschwänglich sagte, dass sie eigentlich «Aida» sehen wollten und als das kurzfristig ausfiel, eben spontan zu uns gekommen sind und jetzt überglücklich seien, endlich mal «so was» erleben zu können, das eben was mit heute zu tun hat. Es kommen jetzt auch immer mehr Schwule  und Lesben mit ihren Eltern angereist, das ist meist sehr rührend. Aber der wahre Zauber liegt natürlich in der Musik, die Florian da geschaffen hat: Eine Musik, die es eigentlich nicht mehr gibt und wo jeder hemmungslos in seinen Gefühlen schwelgen kann. Ich denke, das Coole bei uns ist, dass keiner bei uns cool sein muss.

Barrie Kosky hat bei seinem Abgang von der Komischen Oper gesagt, er bedauere, dass er’s in zehn Intendanzjahren nicht geschafft hat, eine Operette zur Uraufführung zu bringen. Angeblich fand er nicht die richtigen Autoren und Themen. Wieso schaffte Barrie mit seinem Riesenbudget nicht das, was du mit Florian Ludewig geschafft hast?
Ich kann Barrie da sehr gut verstehen, es gibt ja gute Gründe dafür, warum es quasi keine neuen relevanten Operetten mehr gibt. Die Operetten von damals funktionieren wunderbar als explodierende Zeitkapsel, wenn man sie – so wie Barrie – so lustvoll in die heutige Zeit katapultiert. Aber ein neues Stück braucht natürlich seine eigene Berechtigung: Was ist der Grund, warum ich den tollen existierenden historischen Werken noch eines hinzufüge? Und dieser Grund muss natürlich in der heutigen Zeit liegen und irgendwie das Problem lösen, dass die Art zu singen, zu sprechen und zu erzählen eben mit unseren heutigen Gewohnheiten zu aktuellen Stoffen schwer in Einklang zu bringen ist. (MANNSCHAFT berichtete über Koskys Pläne, im Januar 2023 an der Komischen Oper das Musical «La Cage aux Folles» zu präsentieren.)


Da ist man da schnell bei einer Parodie oder einer inhaltsleeren Revue oder einer Überhöhung. Oder einem Modernismus, den man ja eben auch nicht will, wenn man Operetten liebt. Eine neue Operette ist ja ein Widerspruch in sich, den es zu lösen gilt: Einerseits aus der Zeit gefallen, andererseits genau das aus der heutigen Zeit begründen. Ich habe für mich irgendwann gemerkt, dass ich irgendwas operetten-typisches opfern muss, um Operette für heute machen zu können. So sind die Monologe der Hauptdarsteller entstanden, die das Stück besonders am Anfang prägen, also die Entscheidung, da keine boulevardeskes Dialog-Tralala zu machen, sondern einen harten Schnitt zwischen der Leichtigkeit der Musiknummern und einer sehr ernst genommenen Erzählebene.

Operette für zwei schwule Tenöre
Das Autorenteam Florian Ludewig (l.) und Johannes Kram (Foto: Lukas von Loeper)

Dass das dann trotzdem leicht zusammenfliesst, und sich Gefühl, Humor und Story nicht gegenseitig auf den Füssen stehen, war dann eben die Herausforderung, die uns natürlich oft auch überfordert hat. Diese Überforderung hat dem Stück, glaube ich, gutgetan. Denn dass Florian und ich das Stück so auf die Bühne bringen konnten, hat sicherlich vor allem damit zu tun, dass wir uns gegenseitig immer wieder angestachelt und hinterfragt haben: Wollen wir das? Warum wollen wir das? Wie machen wir das?  Zu all dem ermutigt hat uns natürlich die Arbeit von Barrie Kosky. Und auch wenn er selber in Berlin keine Operetten-Uraufführung auf die Bühne gebracht hat: Unsere hätte es ohne ihn bestimmt nicht gegeben.

Wie du gerade sagtest: Operette ja eine «historische» Form des unterhaltenden Musiktheaters. Wieso war es dir als LGBTIQ-Aktivist wichtig, Themen wir gleichgeschlechtliche Beziehung und Homophobie in der Dorfgemeinschaft als «Unterhaltung» zu behandeln und mit einem historischen Genre, das neu belebt wird? Warum nicht gleich ein Musical mit Popmusik? Oder Kabarett? Oder künstlerische Intervention im Schwulen Museum oder anderswo?
Als Theaterautor möchte ich keine künstlerische Intervention betreiben, sondern neben der Lust zu unterhalten eine Geschichte erzählen und ein mir wichtiges Thema über das Medium Bühne anfassbar machen. Und da ich die Operette auch als emanzipatorisches Genre verstehe und sie durch die Kraft ihrer Musik eben auch die Kraft hat, Empathie für eher Ungewohntes zu schaffen, ist sie prädestiniert für die Geschichte dieser gleichgeschlechtlichen Beziehung. Die Diskussion, ob unser Stück eigentlich ein Musical oder sonst was ist oder doch wirklich eine Operette, und dann, was für eine, lasse ich gerne andere führen.


Diese Diskussion ist ja irgendwie ein Teil des Stückes und wird dort ja auch sogar auf der Bühne geführt. Wir provozieren diese Diskussion ja schon alleine dadurch, dass unser Stück das Wort «Operette» bereits im Titel trägt, was ja auch eine bewusste Anmassung ist. Fast jeden Abend nennt mir ein Operetten-Kenner irgendeinen formalen Grund, warum unsere Operette keine richtige ist. Zum Beispiel, dass es kein Buffo-Paar, also kein zweites Liebespaar gibt, was ich als Argument schon deshalb lustig finde, weil die Operette für «zwei» schwule Tenöre ja nun wirklich deutlich macht, dass hier der Hase etwas anders läuft. Ich frage dann meistens zurück: «Hat Dir denn irgendetwas gefehlt?»

«Operette für zwei schwule Tenöre»
Blick hinter die Kulissen von «Operette für zwei schwule Tenöre» (Foto: Privat)

Das Stück lief bereits zweimal lange im BKA, trotz Corona und allem Drum und Dran. Du hast doch sicher viele Rückmeldungen bekommen von Zuschauer*innen. Was hat dich dabei am meisten überrascht?
Wir haben ganz alte schwule Männer da, die von unserem Stück gehört haben und uns nachher erzählen, was das Stück mit ihnen macht. Und dann sehr junge Queers, die uns Ähnliches erzählen. Das «Liebeslied von Mann zu Mann» kommt bei Lesben offensichtlich genauso an wie bei den Schwulen. Und die Heteros scheinen dadurch verstehen zu können, was dieser ganze heteronormative Scheiss uns antut. Natürlich hatten wir gehofft, dass das so funktioniert. Wie gross aber die gemeinsame Sehnsucht und wohl auch der gemeinsame Schmerz ist, das hat uns doch überrascht.

In ihrem Buch «Bad Gays» sagen die beiden Autoren, das Konzept von weisser cis-männlicher Homosexualität sei «gescheitert». Sie plädieren für eine andere Gay Culture. Deine beiden Hauptcharaktere sind – in den bisherigen Besetzungen – auch weisse cis Männer. Ist es eine Geschichte, die nur Weisse betrifft? In diesem Fall auch attraktive durchtrainierte weisse cis Männer? Oder kannst du dir auch eine ganz andere Produktion vorstellen, wo andere Teile der Queer Community gezeigt werden?
Ich habe «Bad Gays» noch nicht gelesen, kann deswegen dazu nichts sagen. Aber dass Gay Culture nicht stehen bleiben darf, ist bei mir Dauerthema, nicht nur in meinem Blog, sondern auch in meinem Queerkram-Podcast, in dem ich versuche, möglichst die gesamte Community abzubilden.

«Operette für zwei schwule Tenöre»
Proben für die Wiederaufnahme von «Operette für zwei schwule Tenöre» (Foto: Privat)

Was unsere Operette betrifft: Ich glaube, dass wir eine universelle Geschichte erzählen, dass sie aber auch deshalb so nahbar ist, weil es gleichzeitig auch eine spezielle Geschichte ist. Ja, sie handelt von cis Männern, die wahrscheinlich beide weiss sind, wäre einer von beiden PoC, würden wohl noch andere Erfahrungen oder Projektionen in der Dorfgeschichte eine Rolle spielen, zumindest so, wie die Geschichte angelegt ist. Was aber für die Besetzungsoptionen zunächst nichts aussagt. Ich bin gespannt, wie zukünftige Inszenierungen damit umgehen werde. (Auch der Kunsthistoriker Wolfgang Cortjaens diskutierte das problematische Buch «Bad Gays» im MANNSCHAFT-Interview.)

Bislang lief die «Operette für zwei schwule Tenöre»  ausschliesslich in Berlin. Aber es sind nunmehr auch andere Produktionen anderswo geplant … kannst du dazu schon etwas verraten?
Natürlich hoffen wir, dass es viele unterschiedliche Inszenierungen geben wird und irgendwann auch eine mit «richtigem» Orchester. Verraten können wir, dass es ab Mai 2023 die nächste Produktion in Trier geben wird, also meiner alten Heimat, was aber eher ein Zufall ist, weil nicht ich, sondern die beiden tollen Sänger Daniel Philipp Witte und Tim Stolte das Stück dorthin getragen haben. Spannend ist, dass die beiden ein Paar sind.

«Operette für zwei schwule Tenöre»
Promo-Shooting für die «Operette für zwei schwule Tenöre» mit Tim Stolte (r.) und Daniel Philipp Witte (Foto: Facebook / Tim Stolte)

Spannend ist auch, dass in einer Stadt wie Trier die Stadt-Land-Konflikte natürlich nochmal vor einem ganz anderen Hintergrund spielen als in Berlin. Im katholischen Trier passiert – auch dank des queeren Zentrums SCHMIT-Z, gerade Beachtliches in Sachen queerer Emanzipation und ich bin sehr gespannt, welchen Beitrag da unser Stück leisten kann.


AIDS-Aktivist und Pornodarsteller Florian Klein (aka Hans Berlin) hat ein romantisches Musicals über die schwule Pornobranche geschrieben zusammen mit Komponist Thomas Zaufke (mehr).


Ihr habt ja gerade die CSD-Saison in Berlin verpasst. Ist die neue Aufführungsserie etwas für Leuten, die das CSD-Feeling verlängern wollen, während alles andere (an Theatern) zu ist?
Vielleicht schaffen wir es ja, so etwas wie das Sahnehäubchen auf die CSD-Saison zu sein. Die Vorfreude ist zumindest gross und wir wissen auch von vielen Wiederholungstäter*innen, die es kaum erwarten können. Für die hat das BKA-Theater in der letzten Saison übrigens den Mein-Fetisch-ist-die-Operette-Pass eingeführt. Ab der dritten Vorführung gibt es einen Piccolo, ab der sechsten eine Flasche Sekt.

Bei der letzten Wiederaufnahme war viel Politik im Publikum. Siehst du die «Operette» auch als politisches Statement?
Klar ist das Stück auch politisch. Alleine schon deshalb, dass es existiert. Aber als Theater-Autor sollte ich mich zurückhalten mit dem Formulieren von Statements, die das Stück vermitteln soll. Ein Stück ist eine Geschichte, die auf jeden und jede anders wirkt. Auch die beiden Charaktere Tobi und Jan haben ja politisch-emanzipatorisch völlig unterschiedlich Einstellungen, die da aufeinanderprallen. Viele im Publikum sind am Anfang Team Tobi, viele andere Team Jan. Und irgendwann sind sich alle nicht mehr so sicher. Ich finde, das ist die Art, wie Theater politisch sein sollte: Dass wir uns alle hinterfragen können. Und natürlich, dass es trotz allem empowernd ist.

Schwule Operette
Die Hauptdarsteller Ricardo Frenzel Baudisch (l) und Felix Heller (Foto: Lukas von Loeper/dpa)

In letzter Zeit gab’s wiederholt Meldungen, dass LGBTIQ im Umfeld von CSDs von «Jugendlichen» angegriffen wurden. Früher dachte man immer, die «Alten» hätten ein Problem mit Queers, weil sie anders erzogen wurden. Aber nun ist das umgekehrt. Kannst du dir das erklären? Und wie passt die «Operette» da ins Bild, als Plädoyer für Diversität und Akzeptanz?
Machen wir uns nichts vor, Homophobie und Queerfeindlichkeit wird es wohl immer geben, wir bleiben eine Minderheit, auch wenn das, was uns zu einer Minderheit macht, an Bedeutung verlieren wird. Und Minderheiten werden immer Sündenbock, Symbol und Projektionsfläche für alles Mögliche sein. Ich glaube nicht so recht an Plädoyers für Diversität und Akzeptanz. Gesellschaft verändern wir, wenn wir die Räume füllen, die uns zustehen, wenn wir uns nicht länger verstecken, rechtfertigen oder schämen für das, was wir sind und denen, die Diversität und Akzeptanz bekämpfen, kraftvoll und selbstbewusst entgegenstellen.

In Berlin gibt’s jetzt auch eine kleine Neuerung in der Besetzung …
Wir wollen in Berlin noch ganz lange spielen und sind deshalb gerade dabei, nach und nach für alle fünf Positionen eine alternative Besetzung zu haben. Dafür hatten wir vor einigen Monaten eine Audition, in der uns Manuel Nobis überzeugt hat und wir sehr froh sind, ihn gefunden zu haben. Dass er noch Student an der UdK ist, hat dabei keine Rolle gespielt. Wir sind dankbar für weitere Bewerbungen – übrigens auch für die Tobi-Hauptrolle – vor allem von Darstellern aus Berlin.

Hat sich bei dir schon mal ein Ex gemeldet und beschwert, dass du Aspekte eurer Beziehung in die «Operette» eingebaut hast?
Auch wenn das viele oft nicht glauben möchten: So viel Biografisches ist in der Geschichte gar nicht drin. Einen Beziehungsstreit für oder gegen Champagner von Aldi hatte ich jedenfalls noch nicht.

Die Premiere der neuen Aufführungsserie von «Operette für zwei schwule Tenöre» im BKA-Berlin ist am 10. August. Weitere Informationen und Termine finden sich hier.


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