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Missbrauch in Polen: Bistum behauptet, Opfer (12) habe «Genuss» empfunden

Es geht um eine Klage gegen das Bistum Bielsko-Żywiec und einen ehemaligen Ministranten

Kirche
(Symbolfoto: Anna Hecker / Unsplash)

Das Nachrichtenportal Notes from Poland berichtet über den Fall eines Ex-Ministranten, der als 12-Jähriger von einem Priester missbraucht worden sein soll. Die Kirche fordert nun das Gericht auf zu klären, ob der Junge damals «Genuss» empfunden habe.

2021 reichte der ehemalige Ministrant Janusz Szymik eine Zivilklage gegen das Bistum Bielsko-Żywiec ein. Er fordert drei Millionen Złoty Schadensersatz, was 660.000 Euro entspricht. Das Bistum sei, so der Vorwurf, für den Missbrauch verantwortlich, den Szymik in den 1980er-Jahren durch den Priester Jan W. erlitten habe.

Ein Kirchengericht hatte Jan W. bereits wegen sexueller Vergehen gegen Szymik für schuldig befunden. Der Priester sei, laut Notes from Poland, 2017 mit einer fünfjährigen Sperre von allen priesterlichen Tätigkeiten (inkl. der Abnahme der Beichte) belegt worden. Ihm sei ausserdem auferlegt worden, in Isolation zu leben.

‼️ Kuria w Bielsku-Białej chce, aby sąd sprawdził, czy ofiara księdza pedofila mężczyzna jest homoseksualistą i czy relacja z księdzem nie była dla niego źródłem satysfakcji. Tylko, gdy koszmar się rozpoczął, ofiara miała 12 l. Ujawniam to dziś w @onetpl https://t.co/hKMOXn0MwK

— Szymon Piegza (@sz_piegza) January 11, 2022

Jetzt hat das Online-Nachrichtenportal Onet Teile der Gerichtsunterlagen zur Zivilklage von Szymik veröffentlicht, darunter befindet sich eine Stellungnahme des Bistums. Darin werden «Beweise von einem professionellen Sexologen» verlangt, um die «sexuellen Vorlieben» des Klägers zu belegen. Im Besonderen gehe es um die Klärung von dessen «sexueller Orientierung». (MANNSCHAFT berichtete über ein neues Gesetz, das LGBTIQ-Themen an polnischen Schulen verbieten will.)


Materielle Vorteile?
Es werde in dem Dokument verlangt, dass das Opfer zu seiner Beziehung mit dem Priester befragt werde und dazu, ob Szymik «Genuss dabei empfunden hat, die intime Beziehung mit Jan W.» zu unterhalten, ob er vielleicht sogar «Vorteile» davon gehabt hätte, «auch materielle».

Das Bistum weist demnach den Vorwurf zurück, dass die Beziehung auf «Versklavung oder Entmüdigung» basiert gewesen sei. Im Gegenteil: sie soll «freiwillig und basierend auf gegenseitigen Vorteilen» gewesen sein.

Ferner wird darauf hingewiesen, dass Jan W. im Kirchengerichtsverfahren nur zugegeben habe, ab 1987 mit dem Kläger sexuelle Kontakte gehabt zu haben, nicht ab 1984, wie Szymik behauptet. (MANNSCHAFT berichtete über die fragwürdige Sexualmoral der Kirche.)


Auf einer rein bürokratischen Ebene argumentiert das Bistum, dass die Treffen zwischen Jan W. und Szymik ausserhalb der Kirche stattgefunden hätten und Szymik «aus freien Stücken» daran teilgenommen habe. Deshalb seien sie nicht in Verbindung zu bringen mit Jan W.s Tätigkeit als Priester: «Die Sexualkontakte ereigneten sich nicht während der Ausübung seiner priesterlichen Tätigkeit.»

Mit einem weiteren Verweis auf technische Details schreibt das Bistum, dass der Fall für einen zivilrechtlichen Prozess verjährt sei. Mehr noch: Die Ereignisse hätten sich zugetragen, als das heutige Bistum Bielsko-Żywiec noch nicht gegründet war. Damals habe Jan W. dem Bistum Krakau unterstanden. (MANNSCHAFT berichtete über sie sogennante «Operation Hyacinth» im Polen der 1980er-Jahre, eine von der Geheimpolizei durchgeführte «Säuberungsaktion», bei der schwule Männer verhaftet wurden.)

«Pädophiles Denkmodell»
Der bekannte polnische Kommentartor Tomasz Terlikowski sagt zu diesem geleakten Dokument des Bistums, die Verteidigungsstrategie sei «skandalös» und «ein trauriger Beweis, dass der Bischof die Lehren der Kirche nicht kennt, deren Hirte er angeblich ist».

Auf Twitter wirft Terlikowski dem Bistum angesichts der vorgeschlagenen Fragen ein «pädophiles Denkmodell» vor, das dem Opfer abermals Schaden zufügen werde. Terlikowski fordert den Bischof auf, das Dokument zurückzuziehen, neue Anwält*innen zu engagieren und sich zu entschuldigen.

Biskup Roman Pindel powinien wycofać skandaliczne pismo, zmienić prawnika, przeprosić Janusza Szymika i ofiary. Jeśli nie jest w stanie tego zrobić, to powinien sprawą zająć się @Prymas_Polski jako delegat i skierować sprawę do Watykanu. 1/2

— Tomasz Terlikowski (@tterlikowski) January 11, 2022

Letztes Jahr wurde der ehemalige Bischof von Bielsko-Żywiec, Tadeusz Rakoczy, vom Vatikan gemassregelt, weil er es unterlassen hatte, auf die Vorwürfe von Szymik gegen Jan W. in den Jahren 1993 bis 2007 zu reagieren. Szymik ist davon überzeugt, dass der Priester auch andere Opfer missbraucht habe. (MANNSCHAFT berichtete über Ex-Kulturstaatsministerin Grütters, die mehr Respekt von der katholischen Kirche gegenüber Homosexuellen forderte.)

Privatsekretär von Papst Johannes Paul II.
Im Jahr 2012 sei der damalige Erzbischof von Krakau, Stanisław Dziwisz, ebenfalls über die Missbrauchsvorwürfe gegen Jan W. informiert worden.

Dziwisz ist der ehemalige Privatsekretär von Papst Johannes Paul II.. Ihm wird vorgeworfen, den Fall ignoriert und sogar Bestechungsgelder angenommen zu haben von denen, die beschuldigt worden seien.

Jan W. wurde erst 2014 aus seiner Gemeinde abberufen von Rakoczys Nachfolger, Roman Pindel. Rakoczy lebt heute, nach dem Kirchengerichtsurteil, in Zurückgezogenheit.

Da der Artikel des Chefredakteurs von Notes from Poland auf Englisch verfasst ist, haben mehrere englischsprachige LGBTIQ-Nachrichtenportale diese Woche über den Fall berichtet.


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