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Kann eine HIV-Diagnose etwas Gutes sein?

Veränderung als Chance

ViiV
(Bild: zVg)

Seit Jahren ergeben sich den Daten des Robert-Koch-Instituts (RKI) zufolge deutliche Verschiebungen in den HIV-Diagnosen.1 Dabei wird sichtbar: Immer weniger Männer, die Sex mit Männern (MSM) haben, infizieren sich mit HIV.

Ein Hauptgrund dafür ist die erfolgreiche Einführung der Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) in Deutschland als Möglichkeit des medikamentösen Schutzes vor einer HIV-Infektion. Ihre Akzeptanz unter MSM ist der vielleicht grösste Erfolg der HIV-Prävention seit 20 Jahren.

Kombiniert man das mit den Fortschritten der modernen HIV-Therapien und der Tatsache, dass HIV bei nicht-nachweisbarer Viruslast selbst bei Sex ohne Kondom nicht übertragen werden kann,2 3 versteht man besser, warum jüngere MSM vielleicht ganz zu Recht einen völlig anderen Umgang mit HIV haben, als ihre Vorväter. Denn Männer die Sex mit Männern haben, sind heutzutage meist gut über die Möglichkeiten sich zu schützen informiert.

Im Gegensatz dazu steigen die positiven Diagnosen bei heterosexuellen Menschen deutlich an. Beispielsweise wird den meisten heterosexuellen Frauen selbst bei Vorliegen von Erkrankungen, die auf eine Schwächung des Immunsystems hinweisen, von den wenigsten Ärzt*innen ein HIV-Test angeboten.

Der Moment der Wahrheit: Und jetzt?
Ist dieser dann doch mal gemacht, ein positives Testergebnis da und der erste Schock überwunden, ergeben sich nicht nur für Frauen, sondern für alle mit der Diagnose «HIV-positiv» konfrontierten Menschen die gleichen Fragen. Diejenige, die man einem anderen Menschen und sich selbst jetzt am häufigsten stellen würden: Wie geht es weiter?

Explizit nicht: Bei wem hast du dich infiziert? Das ist eine völlig andere Frage, die einen auch nicht wirklich weiterbringt. Denn es geht nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, sich das eigene Leben anzusehen und die nötigen Veränderungen herbeizuführen, die dazu beitragen nun auch mit HIV gut weiterzuleben.

HIV als Teil des Lebens akzeptieren
Den positiven HIV-Status anzunehmen und als selbstverständlichen Teil in das eigene Leben zu integrieren, trägt zu einem guten Leben bei. Das klingt zunächst erstmal einfacher, als es für viele Menschen ist. Aber: Über 95 Prozent aller Menschen, die in Deutschland mit HIV leben, sind laut RKI unter HIV-Therapie und die meisten von ihnen sind dabei unter der Nachweisgrenze.1 Das heisst, sie können HIV selbst bei ungeschütztem Sex nicht mehr übertragen und zudem ein normales Leben bei guter körperlicher Gesundheit führen.

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(Bild: zVg)

Herausforderungen abseits der körperlichen Gesundheit
Die grössten Herausforderungen sind vor allem Stigma und Diskriminierung, nicht HIV an sich. 70 Prozent aller Menschen mit HIV in Deutschland finden es laut einer Umfrage der Deutschen Aidshilfe (DAH) deswegen schwierig, offen über ihren Status zu sprechen.4 Allerdings wäre genau das sehr vorteilhaft: Denn Menschen, die die Chance haben, mit HIV in ihrem Leben offen umzugehen, schaffen es auch, HIV als Teil ihres Lebens zu akzeptieren und haben meist eine höhere Therapietreue sowie eine bessere mentale Gesundheit.

Aber, wo findet man Gesprächspartner*innen, mit denen man offen reden kann? Hier können die Selbsthilfeorganisationen weiterhelfen: In fast jeder mittelgrossen deutschen Stadt gibt es Aids-Hilfen, die allen – vom Jungpositiven bis zur 70-jährigen Rentnerin – Angebote zur Unterstützung machen können. Die Gemeinschaften, die man hier finden kann, sind eine gute Möglichkeit, das eigene Leben jetzt neu zu gestalten, von anderen einen entspannten Umgang mit HIV zu lernen und das positive Testergebnis vielleicht auch als Chance auf einen Neustart zu begreifen.

Wie mache ich das beste aus meiner Situation?
Fragen, die ein*e gute*r Psychotherapeut*in stellen würde, kann man sich auch erstmal allein beantworten, oder im Gespräch mit anderen positiven Menschen: Was in meinem Leben trägt dazu bei, dass ich mich wegen meiner HIV-Infektion nicht schlecht fühle, sondern gibt mir ein gutes Gefühl? Wie kann ich lernen, mit der Angst vor Stigma und Diskriminierung besser umzugehen? Was trägt zu meiner geistigen und körperlichen Gesundheit bei? Mit wem fühle ich mich verbunden? Wie gehe ich gelassener und stressfreier durch mein Leben?

All diese Dinge gilt es zu stärken. Nicht nur wegen HIV, sondern weil angstfreie, zufriedene und medizinisch gut versorgte Menschen auch glücklichere Menschen sind. Dieses Glück kann ganz unterschiedlich aussehen: Einer 65-jährigen gerade positiv getesteten Frau erschliesst sich vielleicht noch einmal ein ganz neuer Freundeskreis, ein 20-jähriger Grossstadtschwuler merkt vielleicht, dass es noch andere Formen von Spass gibt, als auszugehen. Ein beruflich gestresster Mittvierziger, traut sich vielleicht endlich sich selbst die Frage zu stellen, ob ihn sein Beruf wirklich erfüllt.

HIV als Chance zum Wachstum
Ohne Zweifel: Ein positiver HIV-Test ist ein Wendepunkt in jedem Leben. Er muss aber kein Wendepunkt zu etwas Schlechtem sein, sondern kann auch als Chance begriffen werden, das eigene Leben so zu verändern, dass die Diagnose der Motor für eine neue, im wahrsten Sinne des Wortes positive Lebenseinstellung ist.

Denn das Leben mit HIV ist für einen Menschen, der heute im Jahr 2023 die Diagnose «HIV-positiv» erhält, zumindest aus medizinischer Sicht kein grosses Problem mehr. Es gibt heutzutage eine grosse Vielfalt an Möglichkeiten in der Behandlung von HIV: Unterschiedliche Substanzen, verschiedene Wirkweisen der Medikamente sowie mehrere Applikationsformen – neben den Tabletten auch noch Spritzen oder Infusionen. Bei der Auswahl aus den verschiedenen Therapiemöglichkeiten befindet man sich heutzutage in der glücklichen Situation, dass man diese gemeinsam mit dem/r Ärzt*in passend zum eigenen Leben auswählen kann und sich dabei keine Gedanken mehr über die Wirksamkeit moderner Therapien machen muss.

Die gesundheitliche Versorgung in Deutschland ist hervorragend. Es kann einem mit HIV richtig gut gehen. Dabei helfen vor allem der Kontakt mit anderen positiven Menschen, ein achtsamer Umgang mit sich selbst und anderen, und die Erkenntnis, dass einen HIV nicht definiert, sondern inzwischen nur eine von vielen anderen chronischen Erkrankungen ist.

Weitere Informationen zum Leben mit HIV sowie persönliche Geschichten von HIV-positiven Menschen findest du unter www.livlife.de.


Referenzen:

1 RKI Epidemiologisches Bulletin 47/2022

2 Eisinger RW et al. JAMA 2019 Feb 5; 321(5): 451–452.

3 Leitlinien der European AIDS Clinical Society (EACS), Version 11.1, Stand Oktober 2022.

4 Deutsche Aidshilfe, «positive stimmen 2.0», Umfrage zu HIV-bezogener Diskriminierung.

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