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EuGH stärkt Regenbogenfamilien: Einmal Eltern, überall Eltern!

Konkret geht es um zwei verheiratete Frauen, die in Spanien leben und dort eine Tochter bekommen haben

Regenbogenfamilie
Symbolbild (Foto: AdobeStock)

«Wenn Sie in einem Land Vater oder Mutter sind, sind Sie in jedem Land Vater oder Mutter», sagte EU-Kommissionschefin von der Leyen 2020. Doch die Realität sieht anders aus. Der EuGH hat nun ein Urteil getroffen, das für Regenbogenfamilien in der ganzen EU wichtig ist. Von Michel Winde, dpa

Der Europäische Gerichtshof hat die Rechte von Familien mit zwei gleichgeschlechtlichen Elternteilen in einem wegweisenden Urteil gestärkt. In dem Fall eines Mädchens mit zwei Müttern entschied das Gericht am Dienstag, dass die von einem EU-Staat anerkannte Beziehung zwischen Kind und Eltern auch von allen anderen EU-Staaten anerkannt werden müsse. Dabei verwiesen die Richter vor allem auf das Recht des betroffenen Mädchens, sich frei in der EU bewegen zu können.

Der europäische LGBTIQ-Dachverband ILGA-Europe begrüsste das Urteil.

We welcome the judgement of European Court that a child and its same-sex parents must be recognised as a family, the child should be issued a Bulgarian passport, & the family should have free movement in all Member States of the European Union #parentswithoutborders

— ILGA-Europe (@ILGAEurope) December 14, 2021

«Die Entscheidung ist für Regenbogenfamilien europaweit von Bedeutung», sagte die Rechtsanwältin Gabriela Lünsmann vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland der Deutschen Presse-Agentur. «Ein ähnlicher Fall könnte auch in Deutschland auftreten.» Der europäische Dachverband der Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen-, Trans- und Intersexorganisationen Ilga sprach von einem richtungsweisenden Urteil.


Konkret geht es um zwei verheiratete Frauen, eine Bulgarin und eine Britin, die in Spanien leben und dort eine Tochter bekommen haben. In der spanischen Geburtsurkunde werden beide Frauen als Mütter des Kindes aufgeführt. Doch die Behörden in Bulgarien lehnten einen Antrag für eine bulgarische Geburtsurkunde des Mädchens ab, und wollten wissen, wer die leibliche Mutter sei. Die Angabe zweier Elternteile weiblichen Geschlechts laufe der öffentlichen Ordnung des Landes zuwider.

Ohne bulgarische Geburtsurkunde bekommt das Mädchen jedoch keinen bulgarischen Personalausweis oder Reisepass und kann sich somit nicht frei in der EU bewegen. Seine Rechte als EU-Bürger wären eingeschränkt. Da das Mädchen die spanische Staatsbürgerschaft nicht bekommen konnte, drohte die Staatenlosigkeit. Dem Verband ILGA zufolge kann das Mädchen Spanien ohne Dokumente nicht verlassen, zudem ist sein Zugang zu Bildung oder medizinischer Versorgung eingeschränkt. Die Mutter mit bulgarischer Nationalität klagte gegen die Entscheidung. Das zuständige Gericht rief den EuGH an und ging davon aus, dass das Kind die bulgarische Staatsangehörigkeit hat.

Der EuGH entschied nun, dass Bulgarien dazu verpflichtet ist, dem Mädchen einen Personalausweis oder Reisepass auszustellen, ohne zuvor eine Geburtsurkunde der eigenen Behörden zu verlangen. Bulgarien und auch die anderen EU-Staaten müssten die spanische Geburtsurkunde anerkennen. Rechtsanwältin Lünsmann betonte, das Urteil zwinge Bulgarien nicht dazu, gleichgeschlechtliche Elternschaft anzuerkennen, aber es müsse die spanische Geburtsurkunde anerkennen. Auch in anderen EU-Ländern wie Polen oder Ungarn werde die Ehe unter gleichgeschlechtlichen Partner*innen nicht akzeptiert (MANNSCHAFT berichtete).


In Deutschland dürfen gleichgeschlechtliche Paare heiraten, doch Lünsmann zufolge, die Fachanwältin für Familienrecht ist, könnte ein ähnlicher Fall hier dennoch auftreten. «Nach deutschen Recht gilt nur die leibliche Mutter als Mutter. Die andere Mutter müsste das Kind adoptieren.» Sollte das Paar in einem ähnlich gelagerten Fall also nicht angeben, wer die leibliche Mutter ist, würden die deutschen Behörden keine Geburtsurkunde und somit auch keinen Pass ausstellen.

Die neue Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP möchte das jedoch ändern (MANNSCHAFT berichtete). In ihrem Koalitionsvertrag heisst es: «Wenn ein Kind in die Ehe zweier Frauen geboren wird, sind automatisch beide rechtliche Mütter des Kindes, sofern nichts anderes vereinbart ist. Man wolle dafür eintreten, «dass Regenbogenfamilien und in der EU geschlossene gleichgeschlechtliche Ehen/Lebenspartnerschaften in allen Mitgliedsstaaten mit allen Rechtsfolgen anerkannt werden».

Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat das Problem bereits benannt. Die CDU-Politikerin sagte im September 2020, sie werde sich für die gegenseitige Anerkennung familiärer Beziehungen in der EU einsetzen. «Wenn Sie in einem Land Vater oder Mutter sind, sind Sie in jedem Land Vater oder Mutter.»

Zustimmung findet das Urteil auch in Österreich. «Ich freue mich über das richtungsweisende Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das zur Stärkung der Rechte von Regenbogenfamilien beiträgt», sagt Ewa Ernst-Dziedzic, Sprecherin der Grünen für Aussenpolitik, LGBTIQ und Menschenrechte, zum Urteil des EuGH.

«Die Anerkennung von Regenbogenfamilien und damit der Schutz von Kindern, die in Regenbogenfamilien aufwachsen, ist weltweit und auch in Europa höchst unterschiedlich. Dort wo Eltern diskriminiert und Regebogenfamilien angefeindet werden, wie zuletzt in Polen und Ungarn, passiert dies am Rücken der Kinder. Das heutige Urteil gibt uns Anlass, auch in Österreich die rechtliche Anerkennung von Regenbogenfamilien unter die Lupe zu nehmen. In den letzten Jahren ist hier viel passiert. Was wir jetzt noch brauchen ist die Klärung von abstammungsrechtlichen Fragen bei lesbischen Paaren mit Kind», so Ernst-Dziedzic.


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