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«Es ist schön, wenn Hetero­-Männer sich im Film einen romantischen Kuss geben»

Brillant. Clever. Gruselig. Abstossend. Die Reaktionen auf Daniel Radcliffes neuen Film «Swiss Army Man» decken das ganze Spektrum ab. Michel Benedetti traf den Schauspieler am Zurich Film Festival bei einem Pressetalk und hat die Höhepunkte des
Gesprächs ausgewählt.

Daniel, wie hast du auf das Drehbuch zu «Swiss Army Man» reagiert?
In der Zusammenfassung des Drehbuchs stand «selbstmordgefährdeter Mann freundet sich mit einer Leiche an». Ich dachte: «Cool, das ist mal was anderes.» Ich begann zu lesen und auf Seite zwei wurde die Szene beschrieben, in der Paul Dano die furzende Leiche – also mich – als Jet-Ski verwendet. Ich fand es grossartig! Das Drehbuch war nicht einfach bizarr, sondern auch verdammt gut geschrieben.
Ich bekomme viele Drehbücher zu Gesicht, viele davon sind genauso seltsam. Der Unterschied bei «Swiss Army Man» war sofort erkennbar. Hier geht es nicht nur darum, eigenartig und abgedreht zu sein. Die Idee dahinter ist intelligent und menschlich. Dann sah ich mir die Musikvideos der beiden Regisseure an und dachte: «Wenn es jemand durchziehen kann, dann diese beiden.»

Du hast sehr viele Szenen selbst gedreht, ohne Attrappe. Welche war die anspruchvollste?
Definitiv die Anfangsszene im Wasser. Alle denken, es handle sich um eine Attrappe. Doch das bin wirklich ich. Paul Dano steigt auf meinen Körper und reitet mich durchs Wasser.

 

Eine Leiche, die furzt, rülpst und Erektionen hat: Daniel Radcliffes Rolle in «Swiss Army Man». (Bild: A24)
Eine Leiche, die furzt, rülpst und Erektionen hat: Daniel Radcliffes Rolle in «Swiss Army Man». (Bild: A24)

Zwischen dir und Paul Dano kommt es im Film ja auch zum Kuss. Geht es um Liebe?
Es ist definitiv Liebe, aber keine spezifisch schwule oder heterosexuelle Liebe. Es ist einfach Liebe. Es ist etwas Schönes, wenn zwei heterosexuelle Männer sich in einem Film einen romantischen Kuss teilen, auch wenn er unter Wasser ist. Der Moment ist genial. Paul küsst mich, weil er mir das Erlebnis eines Kusses geben will, bevor ich sterbe, bis er realisiert, dass er mich als Sauerstofftank verwenden kann (lacht).


Trifft «Swiss Army Man» deinen Geschmack? Woody Harrelson sagte gestern, du würdest selbst auch Drehbücher schreiben. Du hättest einen ähnlichen Humor wie die Cohen-Brüder.
Das ist aber lieb von ihm, dass er mich mit ihnen vergleicht. Ich bin sicher, die werden das nicht gerne hören (lacht).
Der Humor in «Swiss Army Man» bewegt sich von ausserordentlich dumm zu ausserordentlich clever – es hat etwas von Monty Python. Es hat ganz viel Cooles dabei, aber auch viel Lächerliches.
Ich denke, ich habe einen ziemlich schwarzen Humor. Du siehst es, wenn mein Film rauskommt.

An welchem Drehbuch arbeitest du gerade?
Ich kann leider nicht allzu viel verraten. Unter anderem arbeite ich an der Adaption einer Kurzgeschichte. Ich würde gerne Regie führen. Das ist auch der Grund, weshalb ich mit dem Schreiben von Drehbüchern angefangen habe. Falls ich ein schlechter Regisseur bin, ist es besser, wenn ich mein eigenes Material vermassle (lacht).

Wusstest du nach den «Harry Potter»-Filmen bereits, wie es für dich weitergehen würde?
Mit vierzehn Jahren war mir klar, dass ich weiterhin in der Filmindustrie aktiv sein wollte. Wie das aussehen würde, wusste ich damals noch nicht. Als sich die «Potter»-­Serie dem Ende näherte, fragten mich Leute: «Wie fühlst du dich? Jetzt, wo dein Leben bald vorbei sein wird?» Man kommt nicht darum herum, sich selbst zu fragen: «Was ist, wenn sie Recht haben?» Versteh mich nicht falsch, «Harry Potter» war ein grossartiger Karrierestart. Einen besseren kann man sich gar nicht wünschen. Doch danach musste ich mir überlegen, was für ein Typ Schauspieler ich gerne sein würde. Jetzt stehe ich am Anfang meiner zweiten Karriere und dafür bin ich sehr dankbar und auch sehr glücklich. Auf jede Person, die sagt, ich sei nicht mehr als Harry Potter, kommt eine, die sagt: «Lass uns sehen, was er sonst noch so draufhat!»
Es gibt Regisseure, die sich von meiner Vergangenheit als Harry Potter abschrecken lassen. Andere sind begeistert von der Idee, einen Schauspieler neu zu erfinden und ihn der Welt vorzustellen. Wenn sich solche Gelegenheiten bieten, muss man sie beim Schopf packen.


[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]«Es gibt Regisseure, die sich von meiner Vergangenheit als Harry Potter abschrecken lassen.» [/perfectpullquote]

Nach «Harry Potter» hast du im Theaterstück «Equus» gespielt und einen grossen Erfolg gefeiert. Hat das für deine Karriere eine grosse Rolle gespielt?
Eine riesige Rolle! Um überhaupt eine Karriere zu haben, war «Harry Potter» das Wichtigste, was mir passiert ist. Um die Karriere zu haben, die ich gerne möchte, war «Equus» das Wichtigste. Einige Regisseure sagten mir, dieses Theaterstück habe ihnen gezeigt, dass ich es mit der Schauspielerei ernst meine.

Bei «Harry Potter» warst du doch auch schon ein Schauspieler.
Da bin ich völlig deiner Meinung. Leute fragen das oft: «Ist es nicht toll, bei aufregenden Independent-Filmen mitzuwirken?» Als wäre es verdammt einfach, bei einem Hollywood-Kassenschlager mitzuspielen? Wir haben jeweils elf Monate am Stück gedreht, es steckt sehr viel Arbeit hinter einem solchen Film. Leute denken, wenn man Geld zur Verfügung hat, ist alles einfacher. Geld kauft dir nur Zeit und den Luxus, Dinge nicht sofort entscheiden zu müssen. Bei Independent-Filmen muss man mit einem genauen Zeitplan ans Filmset kommen und genau wissen, was man machen muss. Man kann nicht einfach mal das oder mal jenes ausprobieren und schauen, was dabei rauskommt.

Unser Reporter Michel Benedetti schenkt Daniel Radcliffe passend zum Film ein Schweizer Taschenmesser – als Dank für sein Enagagement bei der LGBT-Stiftung «The Trevor Project». (Bild: Michel Benedetti)
Unser Reporter Michel Benedetti schenkt Daniel Radcliffe passend zum
Film ein Schweizer Taschenmesser – als Dank für sein Enagagement bei der LGBT-Stiftung «The Trevor Project». (Bild: Michel Benedetti)

Gehst es dir darum, das Harry-Potter-Image abzulegen, wenn du Rollen wie diese in «Swiss Army Man» annimmst?
Überhaupt nicht. Ich will nicht, dass man mich als Harry Potter vergisst. Hätte es diese Filme nicht gegeben, hätte ich auch keine Rollenangebote. Ich denke, Leute sind es gewohnt, mich in einer bestimmten Rolle zu sehen. Ich will Potter nicht zerstören, ich will meine Karriere weiterbringen. Ich bin zufrieden, wie es momentan läuft.

Hast du dich schon ins Zürcher Nachtleben gestürzt?
Nein. Ich musste früh aufstehen für die Presse, obwohl mir Woody Harrelson geraten hat, am Tag nach einer Filmpremiere keine Termine vor 14 Uhr anzusetzen (lacht). Ich trinke keinen Alkohol mehr, aber ich liebe es, mit Freunden auszugehen. Ihnen beim Trinken zuzusehen und sie abzufüllen (lacht). Aber mit Fremden macht es weniger Spass, daher bin ich gestern früh ins Bett.

[perfectpullquote align=“full“ cite=““ link=““ color=““ class=““ size=““]«Sei es das Furzen, Masturbieren, eine Erektion zu haben oder die eher psychischen Eigenschaften, ein Sonderling zu sein oder sich einsam zu fühlen: All das ist menschlich und uns wird von klein auf beigebracht, uns dafür zu schämen.» [/perfectpullquote]

Gab es ein bestimmtes Ereignis, das dich dazu veranlasst hat, mit dem Trinken aufzuhören?
Kein bestimmtes Ereignis, sondern eine Anhäufung von besonders schlimmen Ereignissen (lacht)! Das ist nun schon drei Jahre her und es stimmt so für mich. Wie schon gesagt, bin ich ziemlich gut darin, andere abzufüllen.

Hast du mit «Swiss Army Man» etwas Neues über dich selbst gelernt?
Ja, dass das Innere eines menschlichen Körpers absolut abstossend ist. Das ist auch das Schöne am Film. Er zwingt dich dazu, dich mit deinen physischen und mentalen Ich auseinanderzusetzen. Dass Scham uns von der Liebe abhält ist eine weitere Botschaft des Films. Sei es das Furzen, Masturbieren, eine Erektion zu haben oder die eher psychischen Eigenschaften, ein Sonderling zu sein oder sich einsam zu fühlen: All das ist menschlich und uns wird von klein auf beigebracht, uns dafür zu schämen. «Swiss Army Man» ist ein abstossender Film mit einer wunderschönen Botschaft über Liebe und Akzeptanz.

 

Ein «Swiss Army Knife» wird in den USA als Messer verstanden, das alles kann. Weil auch die Leiche alles kann, ist sie der «Swiss Army Man». (Bild: A24)
Ein «Swiss Army Knife» wird in den USA als Messer verstanden, das alles kann. Weil auch die Leiche alles kann, ist sie der «Swiss Army Man». (Bild: A24)

Der Film sorgte für Schlagzeilen, als am Sundance Festival mehrere Personen die Vorführung verliessen.
Wer den Kinosaal innert fünfzehn Minuten verlässt, kann nicht sagen, dass ihm der Film nicht gefallen hat. Man kann sagen, dass man gegangen ist (lacht). Was am Sundance passierte, war eine Kombination von mehreren Dingen. Einerseits hat das Magazin «Vanity Fair» uns zu Oscar-Anwärtern erkoren. Da dachte ich: «Oh, ihr wisst nicht, was wir für euch auf Lager haben.» Andererseits sind am Sundance viele Filmverleihe unterwegs, die sich entscheiden, ob sie einen Film vertreiben wollen oder nicht. Und in den ersten fünfzehn Minuten ist meistens klar, ob man den Film vertreiben will oder nicht. Daher glaube ich, dass viele im Publikum gedacht haben, «oh, das gefällt meinem Chef bestimmt nicht», und gegangen sind.
Ich beschreibe «Swiss Army Man» als zutiefst dumm und zutiefst clever, anders geht es nicht. Im Film gibt es viele Widersprüche, aber irgendwie wird alles zusammengehalten.

Bei welchem Film hast du zuletzt den Kinosaal verlassen?
Das war «Er steht einfach nicht auf dich». Ich habe ihn aber eine ganze Stunde ausgehalten. Stellvertretend für Frauen fühlte ich mich gekränkt. Als gäbe es in ihrem Leben nichts anderes als Männer! Der andere Film, den ich aufgehört habe zu schauen, war bei mir zuhause: «Daredevil» mit Ben Affleck. Ich bin ein grosser «Daredevil»-Fan und fühlte mich betrogen.


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