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Trotz «Bauchgefühl» und «Angriff auf die Familie» – 5 Jahre Ehe für alle

Wie die Eheöffung in Deutschland zustande kam

ehe für alle
Symbolbild: iStockphoto

Seit fünf Jahren steht die Ehe in Deutschland auch schwulen und lesbischen Paaren offen. Unser Autor blickt in seinem Kommentar* zurück auf Widerstände gegen die Eheöffnung auch in der Community und erinnert daran, welche Partei es ist, die kein Recht hat, die Eheöffnung als ihren Erfolg zu reklamieren.

Vor fünf Jahren, am 30. Juni 2017 hat der Deutsche Bundestag die Ehe für alle geöffnet (MANNSCHAFT+). Auch wenn niemand damit gerechnet hatte, dass die Eheöffnung noch zum Ende der Legislaturperiode kommt, war sie doch lange überfällig und der Endpunkt eines jahrzehntelangen Kampfes. Bereits im August 1992 stürmten nämlich lesbische und schwule Paare die Standesämter, um zu heiraten. Mit der «Aktion Standesamt» des LSVD begann der Kampf um die Ehe für Alle.

Dabei war die Frage, ob Lesben und Schwule überhaupt heiraten sollen, lange umstritten in der Community (MANNSCHAFT berichtete). Die Befürchtungen, dass mit der Übernahme dieser heterosexuellen Beziehungsform die Community sich zu sehr an die heteronormative Mehrheit anbiedert und spiessige Traditionen übernimmt, wurden kontrovers diskutiert. Schon bei der
Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft im Jahr 2001 gab es nicht wenige Stimmen, die der Meinung waren, dass dies dazu beitragen werde, die lesbisch-schwule Identität und Kultur zu schwächen und zu verwässern.

Wer die Ehe aus welchen Gründen auch immer für sich ablehnt, heiratet einfach nicht. So einfach ist das.

Ich erinnere mich noch gut, dass ich mich bei einem meiner ersten Auftritte als LSVD Bundesvorstand bei einer Podiumsdiskussion 2004 wütenden Angriffen ausgesetzt sah, wie der LSVD einen solchen Kniefall vor den Traditionen der Heterosexuellen auch noch als Erfolg verkaufen könnte. Mir fehlte damals wie auch 13 Jahre später, als nach der Ehe Öffnung ähnliche Stimmen laut wurden, jegliches Verständnis für diese Kritik. Es ging und geht nicht darum jemandem vorzuschreiben wie man sein Leben führen und seine Beziehung gestalten soll. Zu heiraten war und ist eine Möglichkeit, für die sich zwei Menschen entscheiden können, aber eben nicht müssen. Wer also die Ehe aus welchen Gründen auch immer für sich ablehnt, heiratet einfach nicht. So einfach ist das.


Für die vielen lesbischen oder schwulen Paare, die aber heiraten wollten, galt bis zu diesem 30. Juni 2017: Das dürft ihr nicht! Entgegen der in Artikel 3 unseres Grundgesetzes festgeschriebenen Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz war das Verbot der Eheschliessung einer der klaren Fälle, in welchem unser Staat queere Menschen ungleich behandelt hat. Wohlgemerkt es geht hier um das Standesamt und nicht um die kirchliche Trauung. Und diese Ungleichbehandlung hatte ganz
konkrete Folgen: angefangen vom Auskunftsrecht im Krankenhaus, Steuergesetzgebung, Zeugnisverweigerungsrecht bis hin zur Totenfürsorge und Erbschaft. Insofern hat dieser Beschluss des Deutschen Bundestages grosse Teile der Ungleichbehandlung von lesbischen und schwulen Menschen in Deutschland beendet.


«Toll, dass es jetzt möglich ist» – Thun hat sein erstes schwules Ehepaar: Perry und Lodewijk sind offiziell verheiratet (MANNSCHAFT+)


Heute ist es die freie Entscheidung von heterosexuellen und queeren Menschen, ob sie heiraten oder nicht. Was ein grosser Unterschied zu dem Zustand vorher ist, ob man heiraten kann oder nicht. (In Berlin waren Karl und Bodo am 1. Oktober 2017 die ersten – MANNSCHAFT+)


Mit Neugier erwarte ich nun die politische Biografie von Angela Merkel, die sie ja nach dem Ende ihrer Amtszeit angekündigt hat. Waren ihre Äusserungen bei einem Interview mit der Zeitschrift Brigitte ein «Betriebsunfall» oder hatte sie auf dem Schirm, was sich daraus dann innerhalb von einer Woche entwickelte. Ohne Frage hatte sie zu diesem Zeitpunkt mehr Bauchschmerzen davor, im anstehenden Wahlkampf wieder erklären zu müssen warum sie und die Union bei dem Thema
weiter blockieren. Vier Jahre zuvor hatte sie noch erklärt, dass sie wegen ihres „Bauchgefühls“ die gleichgeschlechtliche Ehe und Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare ablehnt. War das also
politisches Kalkül oder eine Meinungsänderung?

Eines sollten wir aber nicht vergessen: auch wenn bei der entscheidenden Abstimmung 75 Abgeordnete der Union für die Ehe für Alle stimmten und heute die Fraktion im Ganzen die Ehe-Öffnung gegen Angriffe, zum Beispiel von Seiten der AfD verteidigt, es war die Union, die mit
ihrer Blockade über zwei Jahrzehnte verhindert hat, dass es die Ehe für alle gibt. Und bis auf einzelne Abgeordnete hat diese Partei kein Recht diese Entscheidung als ihren Erfolg zu reklamieren.

Am Wochenende nach der Bundestagsentscheidung fand der CSD in Saarbrücken statt. War ich vorher noch als einziger Abschlussredner nach der Parade eingeladen, war ich nun der Abschlussredner nachdem die Parteien gesprochen hatten. Und natürlich hat jeder Redner und
Rednerin die besonderen Anstrengungen seiner und ihrer Partei hervorgehoben, die zu dieser historischen Entscheidungen geführt haben. Ich musste die Herrschaften dann in meiner Rede etwas korrigieren. Diejenigen, die sich diesen Erfolg auf die Regenbogenfahne schreiben konnten, standen nicht auf der Bühne, sondern vor ihr: die Community hatte diesen Kampf geführt und
gewonnen. Trotz aller Hindernisse, rechtlicher Bedenken und sonstiger verzögernder Argumente, die uns aus den Parlamenten immer entgegengehalten wurden.

Ehe für gleichgeschlechtliche Paare als «Angriff auf Ehe und Familie»
Und entgegen allen Befürchtungen der Gegner dieser Entscheidung zeigt sich fünf Jahre danach: es war und ist genug Ehe für alle da! Laut dem Statischem Bundesamt gab es Ende 2020 insgesamt 163.000 gleichgeschlechtliche Ehepaare. 34.000 Paare leben zudem in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft. Nicht wenige davon steuern auf die Silberhochzeit zu. Durch die Regelung im Gesetz wurden bestehende Lebenspartnerschaften rückwirkend zu Ehe. So sind manche gleichgeschlechtlichen Paare inzwischen 21 Jahre verheiratet und liegen damit deutlich über der durchschnittlichen Ehedauer, die bei 14,8 Jahren liegt. Vielleicht sollte ich das mal Norbert Geis schreiben, dem langjährigen Vorsitzenden der Arbeitsgruppe Recht der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er war ein Verfechter des Kampfbegriffs der reaktionären Unionsabgeordneten, dass die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ein «Angriff auf Ehe und Familie» sei.

Aber eigentlich habe ich keine Lust mich mit solchen Menschen, von denen es zu viele gab, noch abzugeben. Für mich bleibt der 30. Juni 2017 ein Tag der ungetrübten Freude über den errungenen Erfolg und kein Tag für Schadenfreude.

*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse zu einem aktuellen LGBTIQ-Thema. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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