Oper im Darkroom? Das Schall-&-Rausch-Festival in Berlin
Interview mit dem künstlerischen Leiter Rainer Simon zu den queeren Inhalten
Vom 17. bis 26. Februar veranstaltet die Komische Oper Berlin erstmals das Festival Schall & Rausch: «ohne Scheu vor Melodien, Beats und Stroboskopen».
MANNSCHAFT traf den künstlerischen Leiter, Rainer Simon, zum Interview, um mehr zu erfahren über das, was speziell LGBTIQ-Fans erwarten können. Simon war zuletzt Referent von Barrie Kosky und damit ganz dicht dran an der queeren Musiktheaterrevolution der letzten zehn Jahre in Berlin.
Die Komische Oper hat für Mitte Februar ein neues, jährlich stattfindendes Festival für «brandneues Musiktheater» angekündigt. Braucht Berlin wirklich noch ein Festival für «neue» Musik, wo es schon so viele gibt? Was ist bei eurem Festival anders? Den Untertitel brandneu haben wir ganz bewusst gesetzt. Er verweist auf die inzwischen auch schon in die Jahre gekommene Tradition des neuen Musiktheaters, aber grenzt sich zugleich durch das «brand» davon ab. Denn wir wollen zeitgenössisches Musiktheater präsentieren, das «brennt», das sinnlich, emotional und direkt, ja gewissermassen pop ist.
Die Künstler*innen, die bei uns auftreten werden – wie Schorsch Kamerun, Malonda, Albertine Sarges und Tianzhuo Chen – haben ihre Wurzeln eher in der Popkultur denn im neuen Musiktheater. Und für deren Arbeiten, also für zeitgenössische Produktionen zwischen Pop und Avantgarde, ernstem Tiefgang und funkelnder Oberfläche gibt es meines Wissens nicht so viele Festivals und Orte. Und wenn ein Haus in der Stadt aufgrund seiner Tradition solch einen Schwerpunkt setzen kann, ja sollte, dann doch wohl wir.
Ihr tretet u.a. im SchwuZ auf. Wieso ist euch diese Location wichtig? Welches Signal wollt ihr damit in die Opernwelt senden? Uns ist das SchwuZ und auch das gesamte Areal der ehemaligen Kindl-Brauerei – denn wir spielen auch im Kindl und im Vollgutlager – aus vielen Gründen wichtig: Zuerst einmal sind das tolle Räumlichkeiten. So zum Beispiel die alten Kellergewölbe aus dem 19. Jahrhundert, in dem das SchwuZ beheimatet ist. Zudem ist das SchwuZ ein Ort der Popkultur, was uns im Zusammenspiel mit dem Festivalprogramm wichtig ist. Und natürlich ist das SchwuZ vor allem ein queerer Ort. Das heisst nicht, dass Schall & Rausch ein ausschliesslich queeres Programm hat. Und selbstverständlich sind die Türen, in guter alter Komischer-Oper-Tradition, für alle Besucher*innen – egal ob queer oder nicht – weit geöffnet. Und doch haben wir zahlreiche queere Künstler*innen wie Benjamin Abel Meirhaeghe, Malonda oder Tianzhuo Chen im Programm.
Zwischen «queer culture» und Oper im Allgemeinen, zwischen Berlins queerer Community und der Komischen Oper Berlin im Speziellen gibt es zahlreiche, enge Verbindungen, die wir selbstverständlich auch während des Festivals und gerade an diesem Ort künstlerisch ausspielen möchten.
Du warst zehn Jahren Mitarbeiter von Barrie Kosky. Was hat er in Bezug auf Oper deutschlandweit verändert? Wie schliesst Schall & Rausch daran an? Barrie hat in den letzten zehn Jahren sowohl in seinen eigenen Inszenierungen als auch durch die Programmgestaltung an der Komischen Oper gezeigt, dass E und U nicht zu trennen sind, dass gute Unterhaltung ernst zu nehmen ist und ernstes Theater auch unterhalten muss. Langeweile ist der schlimmste Zustand, der in einem Zuschauer*innenraum herrschen kann. Ohne Oberfläche gibt es keinen Tiefgang und umgekehrt. Manchmal braucht es eine funkelnde Oberfläche als Motivation für die Tiefenbohrung. Und manchmal genügt sogar ein oberflächliches Glitzern – wie bei einem See im Winter, den ich mir gerne anschaue, aber in den ich ungern reinspringen möchte.
Barrie hat uns das vor allem durch die Ausgrabung von vergessenen Operetten der Weimarer Zeit und die Inszenierung von Musicalklassikern vorgeführt. Mit Schall & Rausch verfolgen wir ein ähnliches Anliegen, nur mit Blick auf die Gegenwart: Also wie kann zeitgenössisches Musiktheater aussehen und klingen, das Entertainment und Experiment vereint?
Zählst du eigentlich neue LGBTIQ-Musicals wie «Transparent – The Musical» oder «Drag – The Musical», «Fun Home» nach der Graphic Novel von Alison Bechdel oder «A Strange Loop» zu «brandneuem Musiktheater»? Wird das bei euch zu erleben sein? Bei Schall & Rausch werden wir verschiedenste Formen von Musiktheater präsentieren: Von der begehbaren Konzertinstallation «Der diskrete Charme der Reduktion» über die zwölfstündige Performance «Trance» bis hin zu «Gig Theatre»-Vorstellungen. Diese Diversität hat auch mit den Räumlichkeiten zu tun. Denn das Vollgutlager und das Maschinenhaus im Kindl sind keine Guckkastenbühnen, sondern leerstehende Hallen. Das SchwuZ hat zwar eine Bühne, ist aber kein Theater. Bei der Programmierung müssen wir uns genau überlegen, was zu welchem Raum passt.
Schall & Rausch ist ja auch Teil eines grösseren Vorhabens, also mit der Komischen Oper Berlin während der Sanierungszeit an verschiedenen Orten verschiedene Musiktheaterformate jenseits des Guckkastens aufzuführen und damit die Möglichkeiten von Oper zu erweitern. Für klassische Musicalproduktionen hingegen braucht es den voll ausgestatteten Apparat eines Theaters. Daher werden wir Musicalproduktionen in Zukunft schwerpunktmässig im Schillertheater aufführen. Und doch haben wir mit «African Exodus» eine Art Musical-Skizze im Programm von Schall&Rausch. Denn dessen Schöpfer, Nhlanhla Mahlangu und S’busiso Shozi, vom südafrikanischen Centre for the Less Good Idea haben das ca. 40-minütige Stück als ersten Entwurf für ein grösseres Musical geschaffen.
Im letzten Newsletter des Queerspiegel erzählte der Chef des Mutschmanns in Schöneberg, André, von Kunst im Darkroom. Er sagte, es ginge ihm darum, die Kunst in den Darkroom zu bringen, um ihn so für alle zu öffnen. «Wir wollen den Menschen einfach zeigen, dass sie keine Angst vor diesem Ort haben müssen.» Er erwähnt sogar ein Kind, das mit seiner Familie im Darkroom war. Wird’s in Berlin auch mal Oper im Darkroom geben? (Ist das nicht überfällig? Und welche Oper würde sich dafür eignen? Ich bin sehr dafür, Darkrooms zu enttabuisieren und damit gegen Homophobie, im ursprünglichen Sinne, also gegen «Angst» vor Schwulen und Lesben und deren Sexpraktiken, anzuarbeiten. Und wenn es passt, dann gerne auch mit künstlerischen Mitteln. Das ist immer ein Drahtseilakt, da solche Orte zugleich Safe Spaces sind, die ganz bewusst nicht für alle zugänglich sein sollen. Daher würde ich keine schon bestehende Oper in einen Darkroom reinpflanzen.
Der Impuls, die Idee und das Konzept für solch ein Musiktheatervorhaben müssten von einer zeitgenössischen, queeren Künstler*innenpersönlichkeit stammen, die sich dieser Komplexität bewusst ist und sie in ihrer Arbeit berücksichtigt. Generell ist jeder Ort für Kunst und Oper denkbar. Es kommt auf das konkrete Projekt und die beteiligten Künstler*innen an – gerade im Fall von Safe Spaces.
Meine 20-jährige Nichte weigert sich seit Jahren, in Berlin in die Oper zu gehen, weil sie sagt: «Das ist langweilig und hat nichts mit mir zu tun!» Wie willst du mit dem Festival solche jungen Menschen abholen, die zu viele negative Erfahrungen gemacht haben? (Meine Nichte u.a. auch mit Koskys «Zauberflöte», bei der sie nur Bahnhof verstand und einschlief.) Was muss sich in Bezug auf Musiktheater im deutschsprachigen Raum verändern, dass da wirklich frischer Wind reinkommt? Und was hat LGBTIQ damit zu tun (oder auch nicht)? Ich finde ich es total legitim, dass Menschen egal welchen Alters sich in der Oper langweilen. Ich würde mich auch bei einem Basketballspiel langweilen (und frage mich manchmal, warum das ausgerechnet bei Tennis nicht der Fall ist). Mit Schall & Rausch versuchen wir auch — aber nicht nur — ein jüngeres Publikum anzusprechen. Einerseits durch die Formate und deren Ästhetik. Beim einen bekomme ich einen Kopfhörer und bewege mich mit Musik im Ohr frei durch den Raum, beim anderen beginnen irgendwann nicht nur die Performer*innen, sondern das Publikum zu tanzen.
«Trance» erinnert zum Beispiel mehr an eine Berliner Clubnacht denn an einen klassischen Opernabend— und hat doch aufgrund der Opulenz, der Ausschweifung und der Sinnlichkeit viel mit Oper zu tun. Andererseits aber auch durch die Themen und die Diskurse, die die Aufführungen behandeln. Es werden eben auch brandheisse Themen wie die Wachstumsfrage bzw. degrowth in «Der diskrete Charme der Reduktion» oder Migration in «African Exodus» angefasst.
Kürzlich trat das queere Kollektiv für zeitgenössische Operette, tutti d*amore, im Techno-Club Kater Blau auf. Es war total toll ihnen bei ihrer durchgeknallten Performance zuzuschauen, die Stimmung vor Ort aufzusaugen. Sind die der Komischen Oper voraus? Werdet ihr auch mal solch eine «coole» Location bespielen und das Hipster-Publikum erreichen? (Der tutti-Tenor Ferdinand Keller ist immerhin bei euch Gast-Solist?) Mit Selam Opera!, unserem Operndolmus und der Pop-Up-Opera, gehen wir schon seit Jahren an verschiedenste Orte mit kleinen Musiktheaterprogrammen und -interventionen — sei es in einen Boxclub, zu einem Flughafen oder ins Kreuzberger Kulturzentrum. Das sind womöglich nicht unbedingt die hipsten Orte, aber auf jeden Fall wichtige Begegnungsräume des Alltags, an denen wir versuchen, musiktheatral in einen Austausch mit Menschen, die womöglich noch keine Berührung mit Oper hatten, zu kommen. Mit Schall & Rausch und auch den weiteren Vorhaben in den kommenden Jahren knüpfen wir daran an und ziehen die kleineren Formate der letzten Jahre gross. Und ich würde auch sagen, dass das SchwuZ, das KINDL und das Vollgutlager dafür «coole» Orte sind…
Berlin hat drei Opernhäuser, aber queere und international gefeierte Komponisten wie Thomas Adés oder Stücke wie erfolgreiche Stücke wie «Fellow Travelers» von Gregory Spears und Greg Pierce kommen hier nicht raus, seit Jahrzehnten nicht. Was läuft da schief? Trauen sich Berliner Intendanten nicht, LGBTIQ prominenter ins Rampenlicht zu rücken? Wieso schreitet ein Kultursenator wie Klaus Lederer nicht ein – der immerfort auf Diversität pocht –, wenn dann doch in Doublette und Triplette der nächste Wagner-«Ring» kommt, absolut heteronormativ übrigens? Ich glaube nicht, dass die Komische Oper Berlin ein Problem damit hat, LGBTIQ-Künstler*innen prominent ins Licht zu stellen. Und damit meine ich nicht nur Barrie Kosky, sondern auch viele andere Künstler*innen, die hier auf und hinter der Bühne arbeiten, wie Kiril Serebrennikov, die Geschwister Pfister, Axel Ranisch. Ich finde es allerdings interessant, dass du gerade Komponist*innen ansprichst.
Denn da geht die Frage für mich über die Queerness hinaus: Mit welchen Neukompositionen können wir unser Publikum wirklich erreichen? Welche Neukompositionen sind tatsächlich musikalisch und dramatisch so spannend, dass sie uns wie eine HBO-Serie packen, dass wir sie als Opernhaus aus ästhetischen Gründen unbedingt in Auftrag geben müssen und nicht nur, damit wir auch eine Uraufführung im Programm haben? Und da kommt Popkultur wieder ins Spiel. Vielleicht könnten zeitgenössische Konzeptalben, wie die von Anohni oder Benjamin Clementine eine Antwort darauf geben…
Ihr wollt mit Schall & Rausch explizit ein LGBTIQ-Publikum ansprechen: Wieso sollte das zu euch kommen, statt ein Ticket nach London zu buchen, um sich «Six», «& Juliet» oder ähnliche queerfeministische Meilensteine anzuschauen? Es gibt ja nicht nur ein LGBTIQ-Publikum mit ein und demselben Musiktheatergeschmack. Ich kann gut verstehen, warum Musical-Fans nach London pilgern, um dort die neuesten queerfeministischen Musicals zu sehen. Das haben wir hier nicht in der Art zu bieten. Aber dafür anderes. Zum Beispiel für queere Clubgänger*innen, die wir hoffentlich mit Trance erreichen werden. Oder für Fans von queerem Berliner Pop, die Malonda vielleicht beim schwul-lesbischen Strassenfest erlebt haben und nun eine performativere Arbeit von ihr im Rahmen von Schall & Rausch sehen möchten. Insgesamt ist das Programm von Schall & Rausch sicher postdramatischer ausgerichtet, als die Stücke am Londoner Westend.
Schliesst dein Festival eigentlich an die «La Cage»-Premiere und an die «Fledermaus» mit den Geschwistern Pfister an (MANNSCHAFT berichtete)? Oder sind das getrennte Welten? Ich würde lügen, wenn ich hier einen ausgeklügelten inhaltlich-dramaturgischen Faden behaupten würde. Die Aufeinanderfolge dieser Produktionen hat auch mit äusseren Umständen zu tun. So waren z. B. die Geschwister Pfister früher geplant und mussten pandemiebedingt verschoben werden. Aber: Es ist auch kein blosser Zufall, dass sich diese unterhaltsamen Produktionen und das Festival im Januar und Februar ballen. Denn ein Blick aus dem Fenster ins endlose Grau genügt, um zu verstehen, warum wir gerade jetzt Glamour, Pailletten und Entertainment benötigen. Und das haben wir bei der Spielplangestaltung im Kopf.
Du hast ein kleines Kind: Wie reagiert es auf Oper? Barrie sagte kürzlich in einem Interview «The kids are gonna save us». Siehst du das in Bezug aufs Musiktheater an der Komischen Oper auch so? Unser Regenbogenkind ist erst 13 Monate alt und kommt bislang nur über meinen mässigen, repetitiven Gesang mit der Oper in Berührung. Keine Ahnung, welche Folgen das haben wird. Hoffentlich keine negativen… Barrie zielt wahrscheinlich auf die ersten Begegnungen mit Oper ab, die, wenn sie schon früh in der Kindheit stattgefunden haben, einen häufig nicht mehr loslassen. Schon allein das Betreten eines Opernhauses, das Öffnen des Roten Vorhangs, die Musik aus dem Graben, das Bühnenbild, das Kostüm – all das wird umso erstaunlicher, magischer und wundersamer erlebt, je kleiner man ist.
Es gibt viele Menschen, die sich mit der Pubertät bis in ihre 30er, 40er Jahre von der Oper abwenden und nichts mit ihr anfangen können. Kamen sie allerdings in ihrer Kindheit mit der Magie der Oper in Berührung, erinnern sie sich irgendwann daran und werden wieder von ihr ergriffen.
Weitere Informationen zum Festival, alle Termine und auch die Daten für die sogenannten «Trinkgelage» («Künstler*innen ganz nah kennenlernen») finden sich hier.
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