«Glänzende Scheisse» – Als Abba noch gehasst und gedisst wurde
Die Anfänge waren für die Gruppe nicht leicht
Die ARD bringt in der ESC-Woche die Doku des preisgekrönten Filmemachers James Rogan: «Abba». Entlang ihrer Welthits von 1976 bis 1980 beschreibt der Film Aufstieg und Ruhm der Band, mit exklusivem Archivmaterial und Interview-Ausschnitten.
Von Thomas Petersen
Dokumentationen über die fulminante Karriere der schwedischen Popband Abba gibt es mittlerweile zuhauf und viele wiederholen sich, verfügen sie doch über beschränktes Archivmaterial und bringen wenig neue Aspekte. Anders bei der neuen Dokumentation «Abba – Die ganze Geschichte», von Regisseur James Rogan, der 2021 schon die bewegende Doku «Freddie Mercury: Der letzte Akt» umgesetzt hat.
Rogan hat mithilfe zahlreicher europäischer Fernsehsender seltenes Archivmaterial zusammengetragen, das einen etwas anderen Blick auf die Geschichte eines der grössten Popphänomene erlaubt.
Als Abba den 1974 Grand Prix Eurovision de la Chanson, der 1991 in Eurovision Song Contest umbenannt wurde, in Brighton gewannen, war das für einen ordentlichen Karrierestart in England und Schweden eher hinderlich. Gewinner*innen dieses Wettbewerbs wurden in der Regel direkt nach der Veranstaltung abgeschrieben.
Britische Musikjournalist*innen machten sich über die schwedische Popgruppe lustig – «plastic, cheesy, cringy» waren damals die Schlagworte. Die schwedische Presse und auch die schwedische Öffentlichkeit ging da noch ein Stück weiter. Im ersten Interview nach dem Sieg wurde Frida von einem schwedischen Journalisten gefragt, warum es ausgerechnet ein Song sein muss, der an eine Schlacht erinnert, bei der unendlich viele Menschen gestorben sein.
Was antwortet man da? Abba galt in den Anfängen fast schon als Antichrist der Musikszene in Schweden. 1975 gingen über 200’000 Demonstrant*innen in Stockholm auf die Strasse, um gegen die Ausrichtung des Wettbewerbs in Schweden zu protestieren.
Es gab sogar ein alternatives Festival, das Abba und die kommerzialisierte Musik in Schweden kritisierte, lächerlich machte und sogar ins schwedische Fernsehen gelangte. Angesichts der herrschenden Apartheit in Südafrika, immer wiederkehrender Militärputsche in Südamerika und den Kriegen in Südostasien, wollte man politische Stellungnahmen und kein «Honey, Honey».
Erste Anzeichen einer Wende gab es mit dem Album «Arrival», das im Oktober 1976 erschien. Vor allem in Australien kam die Popgruppe gut an. 1975/76 war Abba in Down Under insgesamt 42 Wochen die Nummer eins. Sie lieferten einen Hit nach dem anderen. Zu dieser Zeit beschrieb die britische Presse die Musik der vier immer noch als «glänzende Scheisse». Abba verlegten sich auf eine Tour nach Australien, auf der sie 1977 bei 11 Konzerten in 10 Tagen auftraten.
Ein ausgeklügeltes Soundsystem und nicht zuletzt die Stimmen der beiden Sängerinnen, schufen annähernd einen Studiosound unter live Bedingungen. Und das 20 Jahre vor Erfindung des heutzutage arg strapazierten «Autotunes»! Eine herrliche Anekdote aus dieser Zeit besagt, dass die Sex Pistols – zu dieser Zeit ebenfalls auf Tour – «Dancing Queen» in Dauerschleife auf dem Kassettenrekorder im Tourbus hörten…
Langsam nahm die Akzeptanz in Europa zu und Abba wollten nach Asien und Australien auch den US-amerikanischen Markt erobern. 1978 in der Fernsehshow von Olivia Newton-John und 1979 mit einer US-Tournee. Beide Versuche misslangen, trotz erheblich aufwändiger Werbekampagnen. Dazu trug auch die «Disco Demolition Night» im Juli 1979 bei. Abba war mit dem Album «Voulez Vous» auf den Discozug aufgesprungen und hatte Erfolg. Discorhythmen hatten sich aus schwarzem Funk entwickelt und traten vor allem über die Schwulenclubs in Amerika ihren Siegeszug an.
Der konservative Rock-DJ Steve Dahl von dem Radiosender WDAI in Chicago rief zur «Disco Demolition Night» auf, bei der im Rahmen eines Baseballspiels im Comiskey-Park-Stadium über 20’000 Schallplatten mit Discomusik – auch der von Abba – in die Luft gesprengt wurden. Die Menge war begeistert skandierte: «Disco sucks!» und stürmte auf den Platz. Mitgebrachte Discoplatten flogen umher und es wurde kaputt gemacht, was nur ging. Eine rassistische und homophobe Aktion, die heute noch schockiert.
1979 war aber auch das Jahr, in dem sich in Grossbritannien etwas bewegte. Die Musikkritiker*innen standen Schlange, um sich für den VIP-Bereich bei den sechs ausverkauften Konzerten im Wembley Stadion zu akkreditieren. Musikgrössen wie Led Zeppelin oder Pete Townshead von «The Who» kamen zu den Konzerten. Letzterer befand damals, dass «S.O.S.» der beste Popsong sei, der jemals geschrieben wurde. Von diesem Zeitpunkt wurde die Akzeptanz in der britischen Presse besser. Allerdings kam das reichlich spät, denn in den Liedtexten kündigte sich bereits das nahende Ende an…
Nicht zuletzt «The Winner Takes It All» (1980) und «One Of Us» (1981) sprechen eine deutliche Sprache. Ohnehin drängt sich beim genauen hinhören der Liedtexte der Eindruck auf, dass viele Songs stark Band-biographisch sind. Nachdem sich beide Paare haben scheiden lassen, konnten sie noch einige Zeit professionell und produktiv gemeinsam arbeiten. Aber auch das ging dann irgendwann nicht mehr.
Die Dokumentation von James Rogan erzählt die Geschichte einer Popband, die es nicht leicht hatte, ihren Weg zu finden. Etwas, dass angesichts ihres weltweit anhaltenden Erfolgs gerne in Vergessenheit gerät.
Als die Band im Dezember 1982 eine Pause verkündete, war niemandem klar, dass diese Pause tatsächlich das Ende war. Trotzdem hat es die Musik geschafft über vier Jahrzehnte zu bestehen. Nicht nur bei den immer älter werdenden Fans, sondern auch und gerade bei einem jüngeren Publikum, dass über das Musical «Mama Mia» und die gleichnamigen Filme die Musik für sich entdeckte. Die im Jahr 2022 gestartete, bahnbrechende virtuelle Show «Voyage» und ein neues Album tragen aktuell dazu bei, dass Abba nach wie vor eine feste Grösse im Popbusiness sind.
Am 31. Mai verleiht König Carl Gustav von Schweden den «Vasaorden» an die vier Bandmitglieder für deren herausragende Leistung im schwedischen und internationalen Musikleben (MANNSCHAFT berichtete). Spät – aber nicht zu spät.
Die ARD zeigt neue Dokumentation am 9. Mai, ab 2. Mai steht sie vorab in der Mediathek
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