Kein Fetisch beim CSD? Was denn noch: Keine öffentlichen Zungenküsse?
Über diesen Fall hat sich in der vergangenen Woche die halbe LGBTIQ Community ausgelassen
Der Verein CSD Bremen bat darum, auf der Parade auf die Darstellung sexueller Handlung zu verzichten. Das hat vor allem die schwule Fetisch-Szene aufgebracht. Beim CSD Bremen fühlte man sich missverstanden, hat aber im strittigen Passus mittlerweile das Wort «Fetisch» durch «Sex» ersetzt und sich entschuldigt. Unser Kommentator* warnt dennoch: Wer Fetischhaftes aussparen will, kann auch gleich fordern, das Schwules oder Lesbisches nicht zu laut geäussert werde.
Über diesen Fall hat sich in den vergangenen Tagen die halbe queere Community ausgelassen, zustimmend oder ablehnend, empört oder gelassen: Die CSD-Verantwortlichen in Bremen hatten nämlich dies für ihre Veranstaltung Ende August bekanntgegeben: «Keine Fetischdarstellung.» Lapidar, klar und verstehbar.
Ich finde es beinah in persönlicher Hinsicht kurios, dass der klassische Konflikt innerhalb der LGBTI-Szene seit jeher sich in Bremen abspielt, eine eher sonst unbeachtete Stadt von mittlerer Grösse, die eine gewisse Bedeutung nur deshalb über das Bremische hinaus hat, weil es, aus historischen Gründen, ein eigenes Bundesland in der Deutschland ist, einschliesslich aller Einflusschancen im gesetzesmitbestimmenden Bundesrat. Kurios deshalb, weil in Bremen 1979 – neben Westberlin – der erste deutsche CSD stattfand, und ich war dabei.
Jedenfalls ist der ganze Schutt der Diskussion auf die armen bremischen CSD-Leute gestürzt, mächtig. Dabei haben sie doch nur eben den Konflikt aller Konflikte unserer Szene offen artikuliert: Wie wollen wir uns darstellen? Und was halten wir aus, also bei Menschen, die nicht so sind wie wir selbst. (Hier kann jede*r davon ausgehen, dass alle erstmal anders als man selbst ist.)
So heisst es beim CSD Bremen wörtlich zur queeren Parade Ende August: «Wir wollen über die Probleme von queeren Menschen in der Gesellschaft aufklären.» Das ist nobel als programmatische Erklärung, hinter diesem Satz verbirgt sich der Wunsch nach Vermittlung. Gut so. Viele CSDs, was auch in Ordnung war und ist, wollen gar nichts aufklären, sondern nur klären, da zu sein. Pures Dasein – als Zeichen gegen Unsichtbarkeit und Übergangenwerden.
Weiter heisst es eher defensiv: «Wir wollen nicht bewerten, wessen Probleme grösser oder kleiner sind. Aber das Darstellen von Fetischen in der Öffentlichkeit finden wir nicht hilfreich, wenn wir bei der gleichen Demonstration und Kundgebung über Themen wie Asylrecht, Trans-Rechte oder queere Krankenversorgung sprechen möchten.» So weit, so gut (oder je nach Perspektive: schlecht). Die Paradenveranstalter benennen das Problem: Darstellungsfähigkeit.
Damals in Bremen, vor, ich staune selbst ob der vielen Jahre, die seither vergangen sind, 42 Jahren waren wir ungefähr 300 Leute, überwiegend schwule Männer, viele lesbische Frauen, manche Alliierte, wie man heute sagt. Und unter uns Männer waren ganz wenige im Fummel, einige mehr hatten sich die Augenränder mit Kajal umschwärzelt, um «schwuler», nichtheteromässig auszusehen. Es gab indes keine grossen Debatten, ob Männer in Textilien, die gewöhnlich Frauen tragen, das öffentliche Bild störten. Oder ob geschminkte Augen Frauen verhöhnen. Oder oder oder: Es waren ohnehin alles Schwulenbewegte. Der oder die gewöhnliche Homosexuelle traute sich noch längst nicht, in dieser Weise öffentlich zu catwalken.
Nachrichtensendungen wollen grelle, antipolitisch anmutende Bilder Aber der Hinweis auf die Vermittlung von konkreten, lebensweltlichen Problemen ist ja nicht falsch: Asylrecht, Trans-Rechte oder Krankenversorgung – nun ja, das ist wichtig zu erörtern und für die politische Öffentlichkeit ein Ding, das sie begreifen sollen. Das ist keine leichte Aufgabe: Dass ein CSD immer politisch ist, versteht der Heteromainstream meist nicht und zeigt, etwa in Sendungen wie der «Tagesschau», «heute» oder «RTL aktuell», in der Regel Bilder von Drag Queens (und manchen Kings), flamboyant anmutende Karnevalsvögel*innen, die gewiss auch Emanzipatorisches im Sinne haben – aber die Nachrichtensendungen wollen grelle, antipolitisch anmutende Bilder, und deshalb geht alles Politische in der Message so unten wie ein Zinnsoldat im Spülwasser. Weiter heisst es indes in der Bremer «Bitte»: «Gerade bei Fetischen, die für Zuschauende sexuell gelesen werden, stellt sich zusätzlich das Problem, dass das Publikum nicht einwilligen kann (fehlender Konsens im Sinne von Safe, sane, consensual).»
Wer Fetischhaftes, so gesehen, aussperren will, kann gleich fordern, das Schwules oder Lesbisches nicht so laut geäussert wird.
Und, gleich im nächsten Absatz: «Ganz zu schweigen davon, dass die Sexualisierung von Frauen* im Allgemeinen und Minderheiten im Besonderen problematisch genug ist.» Nun, das ist ein Satz wie eine Perlenkette voller Abstrusitäten. Denn: Fetische sollen, müssen aber nicht sexuell gelesen werden. Kinder können Dildos über Spielzeug halten, sie kennen Gerätschaften dieser Art ja (noch) nicht. Aber die Distanzierung vom Sexuellen überhaupt deutet auf eine gewisse Unterströmung in der queeren Community hin, die man als eine der Prüderie bezeichnen muss. Sexuelles, Sexualitäten sind das Einende der queeren Community. Und wer jetzt sagt: Nein, das ist das Identitäre, der lügt. Schwules, Lesbisches etc. meint Sexuelles – und wer dies wie liest oder empfindet, tut das sowieso in einer Weise, die nicht bestimmt werden kann. Wer Fetischhaftes, so gesehen, aussperren will, kann gleich fordern, das Schwules oder Lesbisches nicht so laut geäussert wird.
Die ganze queere Bewegung, seit Stonewall 1969, seit Bremen mit dem ersten CSD 1979 war immer sexualisiert, sexuell und sexhaft. So what? Wem das nicht behagt, muss aushalten lernen. Alle müssen wir uns Zumutungen gefallen lassen, und wir, damals in Bremen, waren für die Umstehenden unserer Bonsai-Parade, waren eine Zumutung. Wer Fetische ausgespart sehen will, wird eines Tages auch zur Debatte stellen, keine Zungeküsse öffentlich auszutauschen. Ausserdem: Wer sich sexuell gelesen zu werden verweigert, darf sich nicht wundert, wenn plötzlich am Rande Reaktionäre, Klerikale und offen Homo- wie Transphobe stehen und lauthals fordern, nicht getriggert zu werden, durch öffentliche Queers.
Nebenbei: Es gibt gerade viele Frauen, die sich als sexpositiv verstehen – und sexbejahend gelesen werden wollen. Sie verdienen Wertschätzung, nicht die Zeigefinger, die sie als unzüchtig erkennen möchten.
Nein, wer Fetischhaftes in die chemische Reinigung der Zumutbarkeitsprüfung für den Mainstream bringt, hat den Kampf um öffentliche Impulse, ja, Provokationen schon verloren.
*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar oder eine Glosse, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.
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