HIV-Schutz: Der Selbstimport von PrEP boomt

Eine Monatsration PrEP kostet ungefähr 800 Euro. Um die hohen Kosten zu umgehen, bestellen Männer billige Nachahmerpräparate aus dem Internet, die aus Asien vertrieben werden. Den Anfang machte Greg Owen mit einer einfachen Website.

Die provisorischen Zahlen von 2016 lassen Unglaubliches vermuten. Im Grossraum London sind die HIV-Neuinfektionen bei schwulen Männern um geschätzte 40 % gesunken, 30 % in ganz England. Einen so drastischen Rückgang hat es in der über dreissigjährigen Geschichte von HIV und AIDS in Grossbritannien noch nie gegeben.

Londons HIV-Experten geben sich vorsichtig, sind sich aber einig: Für den massiven Rückgang sind der Markteintritt und der zunehmende Gebrauch der PrEP – kurz für Prä­expositionsprophylaxe – verantwortlich. Durch eine tägliche Einnahme des HIV-­Medikaments Truvada kann eine Ansteckung mit HIV fast gänzlich verhindert werden. Nur: Die blaue Pille kostet monatlich 500 Britische Pfund (in der Schweiz und Deutschland ist das Medikament mit 900 Franken, beziehungsweise 800 Euro, sogar noch teurer) und wird vom «National Health Service NHS», dem staatlichen Gesundheitssystem Grossbritanniens, nicht übernommen. Viele Männer, die aufgrund ihres Risikoverhaltens am stärksten von HIV betroffen sind, können sich die Präventionsmassnahme nicht leisten. Dazu gehören Nachtschwärmer, Sexworker, Konsumenten von Partydrogen und Männer mit häufig wechselnden Sexual­partnern.

Die Alternative: Das Bestellen eines Generikums – das ist ein vom Hersteller autorisiertes, billiges Nachahmerpräparat – aus Thailand oder Indien, das mit 50 Pfund pro Monatsration nur mit einem Zehntel der Kosten von Truvada zu Buche schlägt. Doch mit der Einnahme dieser Generika ist es nicht getan. Ein negativer HIV-Test und regelmässige Blut- und Urinkontrollen beim Arzt sind Voraussetzung, um PrEP sicher und effizient als Präventionsmassnahme gegen HIV einsetzen zu können.

Bis zu zehnmal teurer als Generika: Das Medikament Truvada des Pharmakonzerns Gilead.
Bis zu zehnmal teurer als Generika: Das Medikament Truvada des Pharmakonzerns Gilead.

Ein engagierter Aufklärer  «Die Situation ist lächerlich», sagt Greg Owen, Gründer von iwantPrEPnow.co.uk gegenüber der Mannschaft in einem Telefongespräch. Seit anderthalb Jahren betreibt der 37-jährige Nordire die Website, die Besucher über PrEP informiert und sie direkt mit den Onlineshops der Billighersteller verlinkt. Er kann nicht verstehen, weshalb es in Europa für Männer, die sich aktiv gegen HIV schützen wollen, so viele Hürden gibt, um an bezahlbare Präventionsmedikamente zu gelangen.

Owen nimmt kein Blatt vor den Mund. Er tat es auch im August 2015 nicht, als er auf seinem Facebookprofil verkündete, mit der PrEP anfangen zu wollen. Ein HIV-positiver Bekannter würde ihm überschüssige Truvada-Pillen überlassen, die er aufgrund eines Medikamentenwechsels nicht mehr benötigte. Zu dieser Zeit war die Präventions­massnahme noch weniger präsent, und HIV-­Forschende hatten in England erst damit begonnen, schwule Männer für klinische Studien anzuwerben.

Owen sah sich selbst als Teil der Höchst-­risikogruppe. Nach einem Beziehungsende und einem Selbstmordversuch verlor er seine Wohnung und wurde zum ständigen Gast auf den Sofas von Freunden. Ein Job in einer Bar hielt ihn über Wasser, an den Wochenenden lenkte er sich mit Partydrogen wie GHB oder Crystal Meth ab. PrEP sollte sein Rettungsring werden. «Zu diesem Zeitpunkt war ich genug Risiken eingegangen», sagt er.

Kurz nach seiner Ankündigung auf Facebook in jenem August kam für Owen jedoch der grosse Schock. Der für PrEP vorausgesetzte HIV-Test fiel positiv aus. «Mir wurde schlecht», erinnert sich Owen an den Moment in der Klinik, als ihm die Arztgehilfin das Resultat mitteilte.

Doch auch jetzt wollte Owen nicht schweigen. Während der Arbeit in der Bar verkündete er auf Facebook seinen HIV-Status. Schliesslich warteten viele Freunde auf ein Update bezüglich PrEP. «Als ich zwei Stunden später in die Pause ging, hatte mein Status 375 Likes, 175 Kommentare und wurde über fünfzig Mal geteilt», sagt er. Dazu kamen über fünfzig private Nachrichten von Menschen, die seinen Mut lobten oder ihm anvertrauten, dass sie selbst HIV-positiv sind. «Ich bekam Nachrichten wie ‹Ich bin auch HIV-positiv und habe es niemandem gesagt› oder ‹Ich habe es nur meiner Familie gesagt, und du hast es 5000 Menschen gesagt!›»

Das Interesse an PrEP wächst In den darauffolgenden Tagen ging die Anteilnahme an seinem HIV-Status zurück, die neugierigen Fragen bezüglich PrEP kamen aber weiterhin. Freunde und Unbekannte wollten von ihm wissen, was «dieses PrEP-Zeugs» sei, ob er sich nicht mit HIV angesteckt hätte, wenn er es genommen hätte, und wo man es kaufen könne. «Täglich fragten mich zehn Menschen über PrEP aus – das sind zehn Menschen mit je zehn Fragen», sagt er.

Owen beschloss, eine Website mit den gängigen Fragen zu PrEP zu lancieren. Sein Plan war es, die Anfragen jeweils auf die URL zu verweisen, damit er nichts mehr mit PrEP zu tun haben musste. So entstand im September 2015 die Website iwantPrEPnow.co.uk.

Täglich fragten mich zehn Menschen über PrEP aus – das sind zehn Menschen mit je zehn Fragen.

Über einen Bekannten, der in einer Klinik für sexuelle Gesundheit arbeitete, erfuhr Owen, dass eine Handvoll Männer bereits billige PrEP-Medikamente über das Internet bestellten und ihre Blut- und Urinwerte dort kontrollieren liessen. Das Klinikpersonal konnte sich dadurch eine Übersicht über die verschiedenen Generika und ihre Wirksamkeit verschaffen. Owen spielte mit dem Gedanken, die Hersteller dieser Generika direkt auf seiner Website zu verlinken, um Besuchern den Kauf zu erleichtern.

«Du musst es tun», sagte ihm der Bekannte, der an dieser Stelle anonym bleiben will. Das Klinikpersonal dürfe die Patienten nicht über die Einfuhr von Billigmedikamenten beraten, ihnen aber sehr wohl einen Link zu einer Website mit mehr Informationen über PrEP geben. «Wir warten schon lange auf jemanden, der das tut. Jeden Tag diagnostizieren wir Menschen mit HIV. Weisst du, wie herzzerreissend es ist, zu wissen, dass PrEP etwas dagegen tun könnte?»

Greg Owen wird zum PrEP-Botschafter Gesagt, getan. Während die Kostenübernahme von Truvada vom NHS weiterhin abgelehnt wurde, hob Owens Website ab. Im Juli 2016 verzeichnete iwantPrEPnow.co.uk nach eigenen Angaben über 12 000 unterschiedliche Besucher. Der Zeitraum deckt sich mit den Zahlen von Professorin Sheena McCormack, einer der führenden Forscherinnen im Gebiet HIV in London. «Die Zahl der neuen Nutzer von PrEP erreichte zu diesem Zeitpunkt ihren Höchststand, danach haben wir einen ersten grossen Rückgang der Neu­infektionen bemerkt», sagte sie gegenüber dem Newsportal Buzzfeed.

Es ist Greg Owen, den McCormack zu einem grossen Teil für den drastischen Rückgang von 40 % verantwortlich macht. Er war der Erste, den sie im Dezember 2016 über die provisorischen Zahlen informierte.

«Ich werde immer ein bisschen emotional, wenn ich daran denke» sagt Owen, seine Stimme am Telefon beginnt zu zittern. Er ist den Tränen nahe. «Ein solcher Rückgang … irgendwie bin ich immer noch davon überwältigt und kann es nicht wahrhaben. Aber wir wollen diese Zahlen vorerst noch mit Vorsicht geniessen.»

Owens ursprünglicher Plan, sich von PrEP zu distanzieren, ist offensichtlich gescheitert. «Im letzten Jahr habe ich über 1000 Menschen beraten, sei das über die sozialen Medien, an Veranstaltungen oder per E-Mail», sagt er. Owen verbringt weiterhin viel Zeit mit der Pflege der Website, dem Beantworten von Anfragen und dem Verhandeln von Verkaufsbedingungen mit den entsprechenden Herstellern der Generika. So ist es zum Beispiel sein Verdienst, dass der Hersteller Dynamix nicht nur Dreimonatspackungen anbietet, wie sie in Grossbritannien zum Eigengebrauch eingeführt werden dürfen, sondern auch einzelne Monatsrationen. Somit können Medikamente von Dynamix auch in die Schweiz bestellt werden, wo eine Maximaleinfuhr von einer Monatsration pro Person zum Privatgebrauch zugelassen ist.

Dass Owen von vielen als «Mr. PrEP» bezeichnet wird, stört ihn nicht, auch wenn er eher unfreiwillig in diese Position gerutscht ist. Eher zu schaffen macht ihm seine finanzielle Situation, die immer noch nicht stabil ist. Die Informationen auf iwantPrEP.co.uk sind kostenlos, die Arbeit, die er dort reinsteckt, ist ehrenamtlich. «Ich habe bis vor Kurzem noch für die Bar gearbeitet und lebe von den kleinen Beiträgen, die über die Website gespendet werden.» Durch die Unterstützung einer AIDS-Stiftung kann er sich vorerst weiter auf PrEP konzentrieren.

In Deutschland werden billige PrEP-­Medikamente beschlagnahmt Viele Anfragen erhält Greg Owen auch aus Deutschland, wo sich die gesetzliche Lage rund um PrEP um einiges schwieriger gestaltet. Hier ist ein direkter Import über die Hersteller, die auf iwantPrEPnow.co.uk aufgeführt sind, nicht erlaubt – auch nicht für Privatpersonen zum Eigengebrauch. Wer es trotzdem tut, riskiert eine Beschlagnahmung durch den Zoll und eine saftige Busse. «Der einzige legale Weg, um Medikamente aus dem Ausland nach Deutschland einzuführen, ist bei der Einreise im Handgepäck», sagt Emmanuel, der lieber nur mit Vornamen erwähnt werden möchte.

Der einzige legale Weg, um Medikamente aus dem Ausland nach Deutschland einzuführen, ist bei der Einreise im Handgepäck

Der Berliner betreibt einen Infoclub zur PrEP auf Planet Romeo und steckt hinter der E-Mail-­Adresse [email protected]. Ihm leitet Greg Owen Anfragen aus Deutschland weiter. «Wer eine Adresse in England hat, kann die Pillen dahin schicken lassen, hinfliegen und sie abholen», sagt Emmanuel gegenüber der Mannschaft. Für die meisten sei das aber keine richtige Lösung. Als Alternative bietet sich ein Paketweiterleitungsdienst an, der die Medikamente in Grossbritannien empfängt und nach Deutschland weiterverschickt. «Da Pakete innerhalb der EU nicht durchsucht werden, klappt das.»

Der Berliner Emmanuel berät Männer zum Thema PrEP und Selbstimport von Generika. (Bild: zvg)
Der Berliner Emmanuel berät Männer zum Thema PrEP und Selbstimport von Generika. (Bild: zvg)

Die Lage in der Schweiz: «PrEP klingt sexy» In der Schweiz ist die Situation entspannter. Wie bereits erwähnt, dürfen Privatpersonen eine Monatsration von PrEP-Medikamenten bedenkenlos in die Schweiz liefern lassen.

Gefährlich wird es, wenn Leute kopflos irgendetwas einkaufen und die PrEP einfach einnehmen, dann kann der Schuss nach hinten losgehen.

«Ich finde das super, auch die Aids-Hilfe Schweiz steht dahinter», sagt Andreas Lehner, Programmleiter MSM und stellvertretender Geschäftsführer der Aids-Hilfe Schweiz, gegenüber der Mannschaft. Um eventuelle Probleme mit dem Zoll zu vermeiden, empfiehlt er die Beilage des Ärzterezepts bei der Bestellung. «Enorm wichtig ist uns, dass die PrEP-­Nutzer während der gesamten Einnahme medizinisch betreut werden», sagt Lehner und verweist auf die verschiedenen Checkpoints, die in der ganzen Schweiz vertreten sind und PrEP-Anwender begleiten. Zudem können die im Ausland bestellten Medikamente bei Unsicherheiten dem Checkpoint-Team zur Begutachtung gezeigt werden. «Die Krankenkasse zahlt zwar nicht das Medikament, übernimmt jedoch die Kosten der Konsultationen und der erforderlichen Tests.»

Immer mehr Männer geben auf ihren Profilen in schwulen Dating-Apps an, dass sie auf PrEP sind. Das hat die Maschine angekurbelt.

«Gefährlich wird es, wenn Leute kopflos irgendetwas einkaufen und die PrEP einfach einnehmen, dann kann der Schuss nach hinten losgehen», sagt er und betont die Wichtigkeit des vorgängigen HIV-Tests. Ist jemand nämlich HIV-positiv, benötigt er zusätzliche Medikamente, um die Virenlast zu unterdrücken und allfällige Resistenzen zu vermeiden. Die Aids-Hilfe Schweiz erhält täglich zirka zwei bis drei Anfragen zur PrEP. Nicht selten empfiehlt Lehner auch Greg Owens Website weiter. «Immer mehr Männer geben auf ihren Profilen in schwulen Dating-Apps an, dass sie auf PrEP sind. Das hat die Maschine angekurbelt», sagt er. «PrEP kann man auf ein T-Shirt drucken, es klingt sexy.»

Kein grosser Rückgang erwartet Wichtiger als der Hype sei jedoch die regelmässige Einnahme der PrEP, um wirkungsvoll gegen HIV geschützt zu sein. «Es gibt viele Anwender, die nach ein paar Monaten realisieren, dass sie doch nicht so viel Sex haben, und die Pillen absetzen.»

Möglich ist nebst der täglichen Einnahme auch ein punktueller Einsatz der PrEP, wenn man zum Beispiel im Voraus weiss, wann man ungeschützten Sex haben wird. «Das betrifft Männer, die zum Beispiel ein verlängertes Wochenende in Berlin planen oder auf eine schwule Kreuzfahrt gehen», sagt Lehner. Er weist jedoch darauf hin, dass alle Wirksamkeitsstudien von PrEP auf einer langfristigen Einnahme der Medikamente basieren. «Wir empfehlen, zur Sicherheit eine Woche vorher anzufangen. Aber auch hier gilt, jedes Mal einen neuen HIV-Test zu machen, nachdem man die PrEP abgesetzt hat und sie wieder einnehmen möchte.»

Im Vergleich zu London rechnet Lehner mit keinem ähnlich drastischen Rückgang der HIV-Neuinfektionen. «Sowohl in London als auch in Berlin hat HIV einen Epidemiestatus erreicht», sagt er. «In der Schweiz ist das nicht der Fall, auch nicht in Zürich. Daher erwarte ich einen leichten Rückgang der HIV-Zahlen durch die PrEP, nicht aber im selben Ausmass wie in London.» Schliesslich komme hinzu, dass PrEP nicht jedermanns Sache sei und nur einen Teil der schwulen Szene anspricht. Zur Lebensrealität von PrEP-Usern ist nächstes Jahr eine schweizweite Studie geplant.

Es gilt, jedes Mal einen neuen HIV-Test zu machen, nachdem man die PrEP abgesetzt hat und sie wieder einnehmen möchte

Obwohl das Patent von Truvada 2018 ausläuft, geht Lehner nicht davon aus, dass der Hersteller Gilead die Preise für den europäischen Markt bald senken wird. «Obwohl das natürlich zu hoffen wäre», sagt er.

Was London betrifft: In Grossbritannien hat der NHS mittlerweile eine gross angelegte klinische Studie über drei Jahre für 10 000 Probanden angekündigt, die Mitte 2017 starten soll. Bis günstige PrEP-Medikamente jedoch europaweit und ohne grosse Hürden erhältlich sind, werden wohl noch viele Männer auf die Unterstützung von Greg Owen und seiner Website zählen müssen.

Am 6. Juli findet in Zürich ein Infoanlass zur PrEP statt, organisiert vom Checkpoint Zürich.

«Die Lage in Deutschland ist bedauerlich» Mit der PrEP hat Emmauel beruflich nichts zu tun. Seine Motivation, anderen Männern bei der Beschaffung von billigen Medikamenten zu helfen, stammt aus dem eigenen Bedürfnis, sich vor HIV zu schützen. «Als ich mich selber um einen Weg zur PrEP bemühte, habe ich mich so geärgert, dass die deutschen Behörden nicht nur die PrEP nicht anbieten, sondern einem jeden möglichen Schritt bei der Beschaffung erschweren.»

Gemäss Emmanuel hätten schwule Männer zur HIV-Prävention stets nur zwei Optionen gehabt: Auf die bewährte Methode mit Kondom setzen in der Hoffnung, auch im entscheidenden Moment daran zu denken, oder es darauf ankommen lassen mit der Einstellung, die Krankenkasse müsse die Therapie ja sowieso übernehmen. «Ich treffe leider immer wieder junge Männer, die sich für die zweite Option entscheiden», sagt er. «Heute haben wir aber eine dritte Option, die PrEP! Ich möchte diese Männer erreichen und ihnen einen Weg aufzeigen, wie sie ihre Sexualität ausleben können, ohne eine HIV-Infektion zu riskieren.»

Emmanuel weist darauf hin, dass das Billigmedikament Tenvir-EM von Millionen HIV-positiver Menschen auf der südlichen Erdhalbkugel als Bestandteil ihrer Therapie verwendet wird und von Gilead, dem Hersteller von Truvada, lizenziert ist. Tenvir-EM wird vom indischen Unternehmen Cipla produziert. «Cipla ist nicht irgendeine kleine Hinterhofklitsche, sondern ein Pharmakonzern mit über 22 000 Mitarbeitenden», so Emmanuel. «Es liegt einzig an den Patenten von Truvada für den Globalen Norden, dass die Cipla-Produkte hier nicht auf dem Markt sind.»

Die Lage in Deutschland ist bedauerlich. Ein systemisches Versagen auf der ganzen Linie»

Vor Ablauf dieses Patents – voraussichtlich 2018 – wird sich an den Preisen in Deutschland nicht viel ändern. Doch bis die Diskussion in Deutschland um die Preise der Generika losgeht und diese dann auch eingeführt werden, können mehrere Jahre vergehen. «Bis auf Weiteres heisst PrEP in Deutschland Selbst­import PrEP», sagt Emmanuel. «Die Lage in Deutschland ist bedauerlich. Ein systemisches Versagen auf der ganzen Linie. Während in anderen Ländern die PrEP schon längst angeboten wird, infizieren sich in Deutschland jährlich 3000 Menschen weil immer noch diskutiert wird, wer überhaupt dafür zuständig ist, dieses Thema anzugreifen. Die Behörden sollen sich schämen.»

PrEP nicht auf eigene Faust einnehmen Christoph Kolbe von der Deutschen AIDS-Hilfe hat Verständnis für Männer, die in Eigenregie Medikamente aus Asien importieren. Er fordert einen bezahlbaren, regulären Zugang zur PrEP in Deutschland. «Aus unserer Sicht sollen die Krankenkassen dafür aufkommen. Dann erübrigen sich alle Fragen», sagt er gegenüber der Mannschaft.

Aufgrund der verschiedenen Hürden zur Beschaffung der billigen Medikamente kann man sich sehr schnell im Stich gelassen fühlen. Wichtig sei in solchen Situationen, dass man auf die Unterstützung von auf HIV-spezialisierten Ärztinnen und Ärzten zählen kann, egal, wie man an das Medikament herangekommen ist.

«Die PrEP schützt zuverlässig, aber nur, wenn man sie richtig einnimmt», sagt Kolbe. «Ansonsten kann man sich mit HIV infizieren, obwohl man sich geschützt fühlt. Und wenn man bestimmte medizinische Werte nicht kontrollieren lässt, kann man zum Beispiel seine Nieren schädigen.» Ausserdem solle man sich bewusst sein, dass die PrEP nur vor HIV schützt, nicht aber vor anderen Geschlechtskrankheiten wie Tripper oder Syphilis.

Billigmedikamente – ein Graubereich Ein weiterer, wichtiger Punkt sei, dass man sich nicht ein x-beliebiges Medikament aus dem Internet bestellen soll. Kolbe kennt die Website iwantPrEPnow.co.uk und die darauf verlinkten Händler. Deren Medikamente haben sich bei einer Untersuchung als sicher erwiesen. «Aber natürlich ist man hier immer in einem Graubereich unterwegs, der nicht den Qualitätskontrollen des deutschen Gesundheitssystems unterliegt», sagt er. Mehr Informationen darüber hat die AIDS-Hilfe in ihrem HIV-Report zusammengetragen (hivreport.de).

Noch ist PrEP in der Beratung nicht zum Hype geworden. Trotzdem sei das Thema in der Community angekommen. «Es fällt aber schon auf, dass in den letzten Monaten mehr Anfragen zum Thema bei uns eingehen, natürlich auch zur Frage, wo man die PrEP günstig bekommen kann.»

Kolbe kann keine Prognose wagen, ob die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland mit der PrEP ähnlich stark zurückgehen wird wie in London. Die Frage der Neuinfektionen sei von zu vielen Faktoren abhängig. «Die PrEP kann aber definitiv zahlreiche HIV-Infektionen verhindern, und das wird sich natürlich auch in der Statistik niederschlagen», sagt er. «Wichtiger ist aber: Für manche Menschen ist die PrEP die einzige Möglichkeit, sich zuverlässig zu schützen.»

Was London betrifft: In Grossbritannien hat der NHS mittlerweile eine gross angelegte klinische Studie über drei Jahre für 10­ 000 Probanden angekündigt, die Mitte 2017 starten soll. Bis günstige PrEP-Medikamente jedoch europaweit und ohne grosse Hürden erhältlich sind, werden wohl noch viele Männer auf die Unterstützung von Emmanuel und Greg Owens Website zählen müssen.

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