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Homoerotik beim Militär: «100 Tage, Genosse Soldat»

Bei der Berlinale 1994 war der Film erstmals ausserhalb Russlands zu sehen

Genosse Soldat
Foto: Still/«100 Tage, Genosse Soldat» (Salzgeber)

Salzgeber Club zeigt den russischen Film «100 Tage, Genosse Soldat» zum 30. Geburtstag seiner Entstehung in digital restaurierter Fassung.

Als einer der wenigen Klassiker des schwulen Kinos aus Russland wird «100 Tage, Genosse Soldat» angekündigt, der ab diesem Donnerstag in digital restaurierter Fassung exklusiv im Salzgeber Club als Video-on-Demand zum Streamen verfügbar ist. Das Werk von Regisseur Hussein Erkenov, das vor genau 30 Jahren entstanden ist, so zu beschreiben ist ebenso richtig wie traurig (weil es schwules Kino aus Russland eben kaum gibt) – und weckt womöglich doch auch falsche Erwartungen.

Wer hier nämlich nun eine Coming-out-Geschichte, schwule Küsse unter Soldaten oder ähnliches erwartet, liegt falsch. Überhaupt, so etwas wie eine echte Handlung hat der knapp 70-minütige Film nicht zu bieten. Erkenovs Ansatz ist weniger ein narrativer, als ein beobachtender, geradezu poetischer, und mit diesem folgt er momentweise fünf jungen Soldaten durch den Alltag in der sowjetischen Armee, während der Vorbereitungen auf einen in rund drei Monate bevorstehenden Einsatz.

Ohne es auszubuchstabieren, ist «100 Tage, Genosse Soldat» ein Film über die dem Militär innewohnende Gewalt auch unabhängig von Kriegszeiten, über die Schikanen und den Druck hierarchisch-patriarchaler Systeme, in denen die Grenzen zwischen Täter und Oper fliessend sind, über die Entpersönlichung, das Überwachen und Beobachten, über Einsamkeit und die verzweifelte Wut einer ganzen Generation, die in eine sich auflösende Welt hineingeboren wurde.


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Und ja, Erkenov erzählt in seinen teilweise semi-dokumentarischen Bildern und mal handfesten, mal traumartigen Szenen auch etwas über Männlichkeit und Kameradschaft, über stilles Begehren, Intimität und Homoerotik unter Soldaten. Auch hier wird er nie explizit, und auch hier verschwimmen mitunter die Parameter. Sei es zwischen Lust und Erniedrigung, wenn ein Soldat nachts einem rangniedrigeren nachts ins Gesicht pisst, oder zwischen Freundschaft und Liebe, wenn sich bei einer Verabschiedung die Körperlichkeit vom Glattstreichen der Uniform zu Umarmungen und Küssen steigert.

Dass «100 Tage, Genosse Soldat» auch im Heimkino eine enorme, durchaus irritierende bis verstörende Faszination entwickelt, liegt nicht nur an der eindrucksvollen, erotisch aufgeladenen Szene, in denen sich die nackten jungen Männer minutenlang und ungemein gründlich gegenseitig einseifen und waschen müssen. Sie verdankt sich der ganzen Inszenierung des usbekischen Regisseurs, mit seinen langen Einstellungen und raffinierten Überblendungen, den Bildern im 4:3-Format und der eindringlichen Tonspur samt Musik von Johann Sebastian Bach.

Darüber hinaus trägt natürlich auch das Wissen um die Einzigartigkeit dieses Films dazu bei, ihn zu etwas ganz Besonderem zu machen. Schon 1990 war «100 Tage, Genosse Soldat», dem ein Roman von Kuri Poljakov zugrunde liegt, kein Film wie jeder andere; erst bei der Berlinale 1994 war er erstmals ausserhalb Russlands zu sehen.


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Heute würde er so dort angesichts der allgegenwärtigen Homophobie (MANNSCHAFT berichtete) und des staatlichen Einflusses auf die Filmbranche sicherlich gar nicht erst entstehen können. Auch unter diesen Gesichtspunkten wirkt das letzte Bild des Films – ein Regenbogen als Zeichen längst verblasster, aber doch stets präsenter Hoffnung – besonders lange nach.


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