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Amazon Prime zeigt «God’s Own Country» ohne Sexszenen

«Schämt euch für diese Zensur» schrieben User auf der Amazon-Seite, als sie bemerkten, dass der bewegende schwule Liebesfilm nur in «bereinigter» Fassung angeboten wurde

Josh O'Connor als Johnny (unten) und Alec Secăreanu als Gheorghe in «God’s Own Country» von Francis Lee (Foto: Salzgeber)

Francis Lee, der britische Regisseur des Films «God’s Own Country», hat diese Woche zu einem Boykott von Amazon Prime aufgerufen, weil dort seine ergreifende schwule Liebesgeschichte zwischen den Schafzüchtern Johnny (Josh O’Connor) und Gheorghe (Alec Secăreanu) nur in einer «zensierten» Version angeboten wurde – bei der die expliziten Sexszenen herausgeschnitten sind.

Auf Twitter schrieb der empörte Regisseur: «Das ist nicht der Film, den ich machen wollte oder gemacht habe.» Konkret geht es um die Szenen unter freiem Himmel, in denen die beiden jungen Männer beim Ringen im Gras körperlich zueinanderfinden und letztlich ihre Gefühle füreinander entdecken, was in mehreren Folgeschritten als romantisches Erwachen dargestellt wird, mit nackter Haut und eindeutigen Bewegungen – die aber eher andeuten, was passiert, statt dies in einer pornografisch expliziten Weise auf die Leinwand oder den Bildschirm zu bringen. (MANNSCHAFT berichtete über den Film.)

Ausserdem wurde die brutale Fickszene mit einem Pferdeauktionator (John McCrea) im Pferdetrailer herausgeschnitten, die quasi als Gegenentwurf zur Beziehung von Johnny und Gheorghe als bewusst kalt und mechanisch (und wiederum mit Nacktheit) dargestellt wird.

In einer Antwort auf seinen eigenen Tweet fragte Francis Lee, ob es vergleichbarer Zensur beim Streaming auch gäbe, wenn «nackte Frauen oder Intimszenen bzw. Sexszenen in heterosexuellen Geschichten» vorkämen, oder würden «nur queere Geschichten zensiert»?


Sein Fazit: «Bis das untersucht ist, bitte ich euch nichts bei Amazon Prime zu leihen oder zu kaufen.»

Liebesszene in der Badewanne zwischen Johnny und Gheorghe in «God’s Own Country» (Foto: Salzgeber)

Amazon-Nutzer empören sich in den Kommentaren
Mehrere Nutzer hatten zuvor in ihren Kommentaren auf Amazon darauf hingewiesen, dass «in dieser Version die Sexszenen («graphic scenes») fehlen», gepostet am 6. Mai 2020. Andere sprachen am 11. Mai von einer «gekürzten Fassung».

Und noch am 16. Mai schrieb jemand, dass er enttäuscht sei, dass Amazon Prime «bestimmte Szenen herausgeschnitten» habe. Er endete seinen Beitrag mit den Worten: «Schämt euch für diese Zensur» («Shame on you for censorship»).


Mehrere Nutzer hatten sich auf Amazon zu der gekürzten Fassung des Films geäussert (Foto: Screenshot / Amazon)

Schlecht für Image – Umgehende Reaktion
Da es sich bei «God’s Own Country» immerhin um einen der berühmtesten schwulen Liebesfilme der letzten Jahre handelt, mit Stars in den Hauptrollen, die seit der ursprünglichen 2017 Kinoveröffentlichung bemerkenswerte Karrieren gemacht haben – speziell Josh O’Connor, der in «The Crown» in Staffel 3 und 4 Prince Charles spielt und dieses Jahr in «Emma» dabei war, oder John McCrea, der mit dem Musical «Everybody’s Talking About Jamie» berühmt wurde –, und weil solche Zensurvorwürfe von einem gefeierten Regisseur, der gerade mit Kate Winslet und Saoirse Ronan einen Film über ein lesbisches Paar im 19. Jahrhundert gedreht hat, der in Cannes in Premiere gehen sollte, nicht gut fürs Image sind, hat sich Prime Video umgehend geäussert.

Dabei stellt sich heraus, dass es ausschliesslich um die US-Variante von Amazons Prime geht, in Deutschland kann man «God’s Own Country» über Amazon Prime nur leihen für 2,99 Euro, nicht als Teil des Free-Angebots sehen, während hierzulande die komplette unzensierte Fassung via Netflix angeboten wird, als Teil von deren umfangreichem LGBTIQ-Programm.

Reichweite erhöhen ohne Sexszenen
Mit Bezug auf die USA teilte Amazon Prime am 20. Mai mit, dass es sich um einen «Prime Video Direct»-Titel handle, d. h. er wird direkt von der Verleihfirma hochgeladen, in diesem Fall ist das Samuel Goldwyn Films. Diese wiederum habe sich möglicherweise um die Altersbeschränkung gesorgt, die für die Kinofassung «Mature» lautet. Das schränke die Reichweite des Films ein und könnte hinter der offensichtlichen Entscheidung der US-Verleihfirma stehen, Szenen herauszuschneiden ohne (!) den Filmregisseur vorher darüber zu informieren.

Neben der entschärften Fassung könne man den kompletten Film aber als Video in den Vereinigten Staaten bei Amazon Prime leihen bzw. kaufen, die Zensur beschränke sich demnach «nur» auf das Prime-Mitgliedschaft-Streamingangebot.

Diese Airlines zensieren Filme mit LGBTIQ-Inhalten

Francis Lee dankte auf Twitter für die Klarstellung und riet «allen Filmschaffenden zu Vorsicht, wenn sie mit diesem Filmverleih zusammenarbeiten». In Deutschland wird «God’s Own Country» über Salzgeber vertrieben, die solche Prüderie aus Sorge um Reichweite nicht kennen.

Neoprüderie im Netz
Als Folge des Twitter-Sturms gab Amazon Prime in den USA inzwischen bekannt, dass der Film nicht mehr angeboten würde in der «Included with Prime»-Sektion der Webseite und damit auch nicht mehr in der zusammengestückelten Fassung. Samuel Goldwyn Films hat sich verschiedenen Medienberichten zufolge nicht öffentlich zu dem Vorfall geäussert.

Festzuhalten bleibt, dass Amazon in der Tat – genau wie Apple und Facebook – eine moralinsaure Zensurpolitik unter dem Stichwort «Gemeinschaftsstandards» etabliert hat, die dazu führte, dass alles was nichtheteronormative Nacktheit oder (sexuelle) Beziehungen angeht, geradezu schamhaft behandelt wird – so dass oft entsprechende Inhalte «gemeldet» werden und viele User, aus Sorge gesperrt zu werden, entsprechende Inhalte aus Selbstzensur meiden. Was eine Neoprüderie im Netz und im tatsächlichen Leben kreierte, die für viele nach dem Gay-Liberation-Kampf nicht vorstellbar schien.

Dass es hierbei ausgerechnet jüngere US-amerikanische Internetfirmen sind, die dafür verantwortlich sind, ist eine besondere Ironie der Geschichte. Denn die über Gerichte durchgefochtene Befreiungsbewegung, speziell zu sexuellen und homosexuellen Inhalten, inklusive vermeintlich pornografischen LGBTIQ-Darstellungen, ging von den USA aus … allerdings zwei Generationen vor Amazon & Co.


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