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LGBTIQ-Schutz ins Grundgesetz? «Starkes Signal» bei Anhörung

Im Gegensatz zur AfD scheinen sich Teile der CDU/CSU in dieser Frage zu bewegen, berichtet der LSVD

LGBTIQ-Schutz ins Grundgesetz
Bild: iStockphoto

Am Mittwoch fand im Deutschen Bundestag eine Anhörung zum Gesetzesentwurf der Fraktionen FDP, LINKE und GRÜNE im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz statt. Ziel: LGBTIQ-Schutz ins Grundgesetz aufnehmen.

«Die Ergänzung des Artikels 3, Absatz 3 würde endlich verfassungsrechtlich festschreiben, dass die Ungleichbehandlung von Menschen aufgrund der sexuellen Identität nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Dass haben heute die Sachverständigen im Bundestag einhellig bestätigt. Jetzt ist der Gesetzgeber am Zug zu handeln und das Grundgesetz zu ergänzen», erklärt Axel Hochrein aus dem LSVD-Bundesvorstand, der als Sachverständiger geladen war. In der Anhörung ging es um den «Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes – Änderung des Artikels 3 Absatz 3 – Einfügung des Merkmals sexuelle Identität». Auch die Mehrheit der Deutschen ist dafür (MANNSCHAFT berichtete).

Ein deutliches Ja zum Schutz vor Hass

Seit mehr als 20 Jahren fordert der LSVD die Ergänzung des Grundgesetzes. Die sexuelle Identität ist im Gleichstellungsgebot nicht genannt. Wer dort nicht erwähnt wird, läuft Gefahr, in der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit ignoriert zu werden. Die Diskriminierung und Ungleichbehandlung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen würde ohne die Ergänzung weiter legitimiert werden.

«Das Fehlen dieses Diskriminierungsgrundes im Text des Grundgesetzes hat in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland zu menschenrechtswidriger Behandlung von homosexuellen und bisexuellen Menschen geführt. Die Korrektur dieses Anfangsfehlers durch eine Ergänzung der sexuellen Identität würde auch dazu beitragen, dass zukünftig den bedrohlichen Entwicklungen von Rechts klare und sichtbare Verfassungsschranken entgegengestellt werden», so LSVD-Bundesvorstand Hochrein weiter.


Union bewegt sich offenbar
Bei einer Umfrage zur letzten Bundestagswahl hatten sich noch CDU/CSU und die AfD gegen eine Ergänzung ausgesprochen. Im Gegensatz zur AfD scheinen sich Teile der CDU/CSU in dieser Frage zu bewegen. Hier schreibt der Berliner Senator Dirk Behrendt (Grüne) in einem MANNSCHAFT-Gastbeitrag, warum die geschlechtliche und sexuelle Identität in den Schutzbereich des Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 Grundgesetz aufgenommen werden soll.

LGBTIQ-Schutz ins Grundgesetz
LGBTIQ-Schutz ins Grundgesetz? So sollte das aussehen (Grafik: LSVD)

Das sagen die Sachverständigen
Für die vorgeschlagene Verfassungsänderung sprächen gewichtige Gründe, sagte beispielsweise Sigrid Boysen von der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Der Entwurf benenne einen klassischen Diskriminierungsgrund, der den übrigen Merkmalen des Grundgesetzartikels gleichrangig sei. Demgegenüber vermöge insbesondere das Argument, es handele sich angesichts der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts um «reine Symbolpolitik“, nicht zu überzeugen. Offen bleibe aber die Frage, mit welcher Begründung der Gesetzentwurf die Anstrengung einer Verfassungsänderung auf Fragen der sexuellen Orientierung beschränke, während trans- und intergeschlechtliche Personen wiederum auf bereits bestehenden Diskriminierungsschutz unter der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung verwiesen würden.

LGBTIQ-Schutz ins Grundgesetz – wäre zu begrüssen
Petra Follmar-Otto vom Deutschen Institut für Menschenrechte erklärte, trotz grosser rechtlicher und faktischer Fortschritte bei der Verwirklichung der Menschenrechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen sowie transsexuellen, transgeschlechtlichen und intergeschlechtlichen Menschen (LSBTI) in Deutschland stellten diese nach wie vor eine strukturell diskriminierungsgefährdete Gruppe dar. Eine Ergänzung des Diskriminierungsverbots im Grundgesetz um die Merkmale sexuelle Orientierung sowie körperliche Geschlechtsmerkmale und Geschlechtsidentität wäre deshalb zu begrüssen.


Ulrike Lembke von der Humboldt Universität Berlin betonte, dass Diskriminierungen auf Grund der sexuellen Identität traurige Realität darstellten und dass diese Realität grundsätzlich rechtliche Gegenmassnahmen erfordere. Sie verwies darauf, dass für bestimmte politische Richtungen, die in Europa zunehmend stärker würden, die aggressive Ablehnung nicht-heterosexueller Lebensweisen zum politischen Programm gehörten. Diskriminierungsschutz als Minderheitenschutz sei im demokratischen Rechtsstaat zuvörderst die Aufgabe des Gesetzgebers.

Es ist unbedingt geboten, für klare Verhältnisse zu sorgen und den Schutz von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen in das Grundgesetz aufzunehmen.

Anna Katharina Mangold von der Europa-Universität Flensburg erklärte, die vorgeschlagene Grundgesetz-Erweiterung diene einer expliziten Klarstellung, dass nämlich in Deutschland niemand mehr aufgrund der sexuellen Identität Diskriminierung erfahren soll. Allen demokratisch orientierten Parteien im Bundestag müsse es Anliegen sein, Schutz vor Diskriminierung für vulnerable Personengruppen in der Verfassung zu verankern. Es sei unbedingt geboten, für klare Verhältnisse zu sorgen und den Schutz von gleichgeschlechtlich liebenden Menschen in das Grundgesetz aufzunehmen. Gleiches gelte für alle Menschen, die nicht dem binären Geschlechtsmodell entsprechen können oder wollen, insbesondere trans- und intergeschlechtliche Personen.

Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer sagte, das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes erstrecke sich bislang nicht auf die sexuelle Orientierung beziehungsweise sexuelle Identität. Die vom Gesetzentwurf beabsichtigte Einfügung dieses Merkmals schliesse daher eine Schutzlücke. Dies sollte vor allem deswegen erfolgen, weil nicht nur die Nationalsozialisten Menschen wegen ihrer sexuellen Identität verfolgt haben, sondern auch unter der Geltung des Grundgesetzes das Bundesverfassungsgericht 1957 und 1973 die Verfassungsmässigkeit der Strafbarkeit homosexueller Handlungen bestätigt und damit Homosexuelle staatlich diskriminiert hat.

Ferdinand Wollenschläger von der Universität Augsburg erklärte, zwar bewirke die vorgesehene Ergänzung aus verfassungsrechtlicher Sicht keine nennenswerte Verstärkung des Schutzes vor Diskriminierungen im Vergleich zur aktuellen Rechtslage und erscheine insoweit nicht erforderlich. Vor dem Hintergrund namentlich der Leitbildfunktion der Verfassung seien die im Gesetzentwurf betonte «Symbolfunktion» der Verfassungsänderung und deren «Signalwirkung in die Gesellschaft hinein» jedoch legitime Anliegen. Dies sei das gewichtigste der im Gesetzentwurf angeführten Argumente. Insoweit sei politisch zu entscheiden, ob eine entsprechende Ergänzung angezeigt ist.

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Auch der Berliner Rechtsanwalt Dirk Siegfried, der vor dem Bundesverfassungsgericht wichtige Urteile für die Gleichstellung von Eingetragenen Lebenspartnerschaften errungen hat, unterstützte den Entwurf der drei Parteien. Die Leitsätze des Bundesverfassungsgerichts seien angesichts von weiterhin in der Gesellschaft propagierten Familienbildern wenig wert, sagte Siegfried. Deswegen werde eine grundgesetzliche Absicherung der sexuellen Identität und anderer Lebensweisen dringend gebraucht.

Nach der Anhörung im Ausschuss am Mittwoch erklärte Jens Brandenburg, Sprecher für LGBTIQ der FDP-Bundestagsfraktion, von der Anhörung gehe ein «starkes Signal für die Community aus. «Die Sachverständigen waren sich in der Sache einig: Die sexuelle oder geschlechtliche Identität eines Menschen darf kein Grund für Diskriminierung sein. Das soll das Grundgesetz im Wortlaut garantieren.

Am verfassungsrechtlichen Schutz der sexuellen Identität darf der Gesetzgeber keinen Zweifel zu lassen. Verfassungs- oder verwaltungsrechtliche Bedenken hat keiner der Sachverständigen geäußert. Jetzt ist die beste Gelegenheit, den Wortlaut des Grundgesetzes für stürmischere Zeiten zu wappnen. Deshalb streben wir eine gemeinsame Lösung mit den Koalitionsfraktionen an, um die sexuelle Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes zu schützen.»

Auch Doris Achelwilm, queerpolitische Sprecherin der Linksfraktion, fordert: «Die ‚sexuelle Identität‘ von u.a. Schwulen und Lesben jenseits heterosexueller Normen unter besonderen Schutz vor Benachteiligung, Anpassungsdruck und Gewalt zu stellen, lehrt die Vergangenheit und wirkt in eine ungewisse Zu­kunft: Weil Mehrheiten unter Umständen bereit sind, Minder­hei­tenrechte preiszugeben, müssen Gleich­heits­grundsätze deutlich und bindend sein.»

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«Zwar haben sich durch beharr­liche emanzipatorische Kämpfe über die Jahrzehnte die gesellschaftliche Akzep­tanz und die Rechtslage queerer Menschen stark verbessert. Doch das Er­reich­te ist brüchig, lückenhaft und unter Beschuss. Die Absicht von rechts, den erreichten Fortschritt um­zu­kehren, ist unverkennbar. Eine Ergänzung im Grundgesetz enthebt nicht von weiteren Pflichten, Diskriminierung und Hasskriminalität gesellschaftlich entgegenzuwirken, aber sie setzt einen verbindlicheren Rahmen, (potenziell) Betroffene wirksam zu schützen», so Achelwilm.


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