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Schutz vor Diskriminierung ist auch ein christlicher Wert

Diese Woche wurde ein Antrag zur Ergänzung von Artikel 3 des deutschen Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität ins Parlament eingebracht

Paraguay Homophobie
(Symbolbild: istockphoto)

Die EU-Grundrechte-Charta verbietet Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung. Entsprechend soll es nun auch eine Grundgesetzänderung geben. Dass das gemeinsam mit der Union gelingen kann, scheint ausgerechnet die Rede eines CSU-Mannes anzudeuten, schreibt Stefan Mielchen, Erster Vorsitzender beim Hamburg Pride, in seinem Samstagskommentar*.

Selten kommt es vor, dass FDP, Linke und Grüne im Deutschen Bundestag an einem Strang ziehen. Bei den Grundrechten sexueller Minderheiten ist das nun gelungen: Mit dem in dieser Woche ins Parlament eingebrachten Antrag zur Ergänzung von Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der sexuellen Identität starten die drei Oppositionsfraktionen einen erneuten Anlauf zu einer Verfassungsänderung (Berlins Justizsenator Behrendt hat dazu einen Gastbeitrag für MANNSCHAFT geschrieben). Die hierfür notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit scheint keine unüberwindbare Hürde mehr zu sein. Ausgerechnet ein CSU-Abgeordneter machte dies deutlich.

Dieser Präsident liebt seinen schwulen Sohn

Es war um 1.16 Uhr in der Nacht zu Freitag, als der Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich ans Rednerpult im Plenarsaal schritt. Zu nachtschlafender Zeit hielt er eine bemerkenswerte Rede. Zumal für einen Politiker, der 2017 selbst noch gegen die Ehe für alle gestimmt hatte. Doch mit dem Fakt, dass Lesben und Schwule seither in Deutschland heiraten dürfen (MANNSCHAFT berichtete), geht der CSU-Politiker pragmatisch um: Entschieden ist entschieden, so ist das in der Demokratie. Diese Wendigkeit könnte auch damit zu tun haben, dass man sich als Konservativer nicht mit Gauland, Weidel und Co. gemein machen will.

Deren Homophobie ist offenkundig (MANNSCHAFT berichtete). So will die AfD beispielsweise die Ehe für alle wieder abschaffen. Zwar gab und gibt es auch in Ullrichs eigener Partei klare Vorbehalte gegenüber der Gleichstellung. Doch der frühere Ehe-für-alle-Gegner sagte nun, vor allem mit Blick auf die Rechtsextremisten im Parlament: «Wir stellen uns gegen all diejenigen, die das Rad zurückdrehen wollen in dieser Frage.» Diese Abgrenzung nach rechts könnte Bewegung in die Sache der Grundgesetzerweiterung bringen.


Ablehnung klingt anders
Während die Union bislang stets zu den Blockierern eines verfassungsrechtlichen Diskriminierungsschutzes aufgrund der sexuellen Orientierung oder der geschlechtlichen Identität zählte, klingen Ullrichs Einlassungen nun deutlich positiver. Der Antrag, der nach der ersten Lesung in den Rechtsausschuss überwiesen wurde, müsse «ergebnisoffen» diskutiert werden, sagte der CSU-Mann. Er wünschte sich eine ausführliche Anhörung zu der Frage, welche Begrifflichkeit in die Verfassung gehöre (sexuelle Identität oder Ausrichtung) und welche Auswirkungen dies in der Praxis habe. Ablehnung klingt anders. Ausserdem baut es eine Brücke auch für diejenigen in der Union, die sich mit der Gleichstellung weiterhin schwer tun und noch überzeugt werden müssen. Auch sie werden gebraucht.

Sichtbarmachung von LGBTIQ ist laut AfD «übergriffig»
Den Skeptikern hilft vielleicht ein Blick auf die Argumentationsmuster der AfD. Deren Abgeordneter Fabian Jacobi sagte in der nächtlichen Debatte, es gebe eine gewisse Minderheit von Menschen mit einer übersteigerten Fixierung auf Sexualität, «mit der diese dem Rest der Menschheit nachhaltig auf die Nerven gehen». Der Antrag sei reine Symbolpolitik. Die gesellschaftliche Sichtbarmachung von Menschen aufgrund ihrer Sexualität bezeichnete Jacobi als Anmassung und Übergriffigkeit. In seinen Augen wollen die meisten Homosexuellen nämlich gar nicht sichtbar sein; Sexualität sei ausserdem Privatsache. Jacobis Beitrag war noch eine der gemässigteren Einlassungen der AfD zu diesem Thema.

Die Rede des CSU-Mannes klang wohltuend anders. Zumal wenn man bedenkt, dass die Christsozialen vor nicht allzu langer Zeit noch das Bundesverfassungsgericht anrufen wollten, um Gleichstellung zu verhindern. Ein Sinneswandel? Abgeordnete wie Ullrich scheinen zumindest in der Realität des Jahres 2019 angekommen zu sein und begriffen zu haben, dass es um den gesellschaftlichen Grundkonsens, aber auch um den Bestand des Erreichten geht. «Wir können durch eine grundgesetzliche Verankerung Menschen noch viel stärker vor Diskriminierung schützen», betonte er nun.


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Zudem könnten durch eine Ergänzung von Artikel 3 «wichtige gesetzgeberische Entscheidungen eine verfassungsrechtliche Fundierung bekommen». Nicht nur die Ehe für alle. Ullrich nannte hier ausdrücklich den aktuellen Gesetzentwurf zu so genannten Konversionstherapien (MANNSCHAFT berichtete) sowie das diskutierte Verbot geschlechtszuweisender Operationen. Bei diesen Fragen vertritt die AfD, wie so häufig, dezidiert diskriminierende Positionen. Hier kann der Union ebenfalls nur daran gelegen sein, sich deutlich abzugrenzen.

Auch wenn es kaum jemand mitbekommen hat: An dem, was in der nächtlichen Debatte gesagt wurde, muss die Union sich im weiteren Verfahren messen lassen. Menschen vor Diskriminierung zu schützen, entspricht schliesslich genau jenen christlichen Werten, auf die sich die C-Parteien so gerne berufen. Wer es weltlicher mag: Artikel 21 der EU-Grundrechte-Charta verbietet längst Diskriminierungen aufgrund der sexuellen Ausrichtung, wie es dort heisst. Das sollte der Massstab auch für unsere Verfassung sein.

Grundgesetzänderung ist überfällig
Die Grundgesetz-Änderung ist daher überfällig. Ein breiter Konsens zur Ergänzung von Artikel 3 hilft nicht nur den Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichten Identität von Diskriminierung gefährdet oder betroffen sind. Er stärkt die Demokratie insgesamt und setzt ein klares Zeichen gegen Rechts. Die Grosse Koalition sollte das Thema daher offensiv angehen und den Antrag der Opposition mit aller Kraft unterstützen.

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*Jeden Samstag veröffentlichen wir auf MANNSCHAFT.com einen Kommentar zu einem aktuellen Thema, das die LGBTIQ-Community bewegt. Die Meinung der Autor*innen spiegelt nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.


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